Ein Beispiel aus dem Kreis Gütersloh

Die romantisch verklärte Sicht auf den Wald ist einer eher sorgenvollen gewichen. Mit 11,4 Millionen Hektar geht es um ein Drittel der Gesamtfläche Deutschlands. Die Folgen von Stürmen, Trockenjahren, Schädlingsbekämpfung – nicht zuletzt der Klimawandel – haben die Förster das Fürchten gelehrt. Trotzdem gelingt es Johannes-Otto Lübke, optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Wie sollte der Wald den vielfältigen Anforderungen der Menschen gerecht werden: ein guter Holzlieferant sein, der Erholung dienen und nicht zuletzt ein C02-Speicher sein? Die Geschehnisse der vergangenen Jahrzehnte erfordern ein komplettes Umdenken und ein Planen auf Jahrzehnte im Voraus. Das betrifft auch den Forstbetriebsbezirk (FBB) Halle, für den der Förster Lübke vom Regionalforstamt Ostwestfalen-Lippe des Landesbetriebs Wald und Holz NRW zuständig ist. Der FBB Halle erstreckt sich auf die Wälder in Halle, Steinhagen und Werther.

Schnell wachsende Baumart Fichte
Auf einer mehrstündigen Tour durch den Forstbetriebsbezirk Halle gab es jede Menge Informationen und „Waldbilder“ zur aktuellen Waldsituation. An einem grauen und kalten Wintertag erscheint die Situation des Waldes besonders dramatisch. Ausgefahren und feucht sind die Wirtschaftswege, vorbei geht es an den vielen Kahlflächen, die den Blick weit über den Teuto-Nordhang Richtung Werther freigeben. Warum wurden hier einmal so viele Fichten gepflanzt? Das kann Lübke schnell erläutern: Durch Übernutzung waren um 1900 viele Wälder hier im Gebiet nur locker bestockt oder sogar verschwunden. Großflächig hatten sich Wacholderheiden ausgedehnt. Da der Bedarf an Holz durch Bautätigkeit, zunehmende Industrialisierung und steigende Kohleförderung unter Tage im Ruhrgebiet (Grubenholz) immens groß war, realisierten die Privatwaldbesitzer in den 1930er-Jahren große Wiederaufforstungen – insbesondere mit der schnell wachsenden Baumart Fichte.

„In Nordrhein-Westfalen hätte sich – ohne Einwirkung des Menschen – nach dem Ende der letzten Eiszeit vor ungefähr 10.000 Jahren fast überall die Buche durchgesetzt“. Obwohl sie hier bisher optimal wächst, änderte sich die Baumartenverteilung in den vergangenen 250 Jahren wesentlich: Fichten und Kiefern waren hinsichtlich des Holzzuwachses und der Holzverwendungsmöglichkeiten der Buche überlegen. „Da die Wälder in der Regel bewirtschaftet werden, hat man das angepflanzt, was man besonders brauchte“, so Lübke weiter.

Im Bezirk des Försters machen die Fichten nur 20 Prozent aus. Ein Großteil der Fichtenbestände hatte Windwurfschäden durch die Stürme „Kyrill“ 2007 und „Friederike“ 2018 erlitten. Die Windwurffichten mussten möglichst schnell aus dem Wald transportiert werden, da sie sonst ein gefundenes Fressen für Schädlinge wie den Borkenkäfer, Fichtenbock und die Holzwespe sind. Der „Zwangseinschlag“ führte zu mehreren Problemen. „Wir haben in den vergangen Jahren das Vier- bis Fünffache von dem fällen müssen, was vorgesehen war“, beklagt Lübke. Diese Menge brauchten die heimischen Sägewerke nicht, und ein Teil wurde deshalb exportiert. In naher Zukunft wird die Holzknappheit in Nordrhein-Westfalen spürbar sein. Aber wie der Waldfachmann sagt, kann die Aufarbeitung toter Fichten nicht jahrelang hinausgeschoben werden, weil eine Holzentwertung durch Trockenrisse, Pilze und Insekten erfolgt. Das Schlimmste ist, dass Bäume aller Altersklassen betroffen sind. Jahrzehnte dauert es, bis ein Baum nachgewachsen ist. Der extrem wichtige Grundsatz der Nachhaltigkeit ist ins Wanken geraten.

Aspekt der Biodiversität
Trotzdem sieht der Förster auch eine Chance, nach den Kahlschlägen alles neu zu überdenken: „Was hat sich bewährt, was kann man besser machen oder muss aufgrund des Klimawandels anders entschieden werden?” Verantwortlich für die Forstbetriebsgemeinschaft Halle mit 2.500 Hektar Wald, spricht er alles mit den 250 Eignern ab. Als Grundlage für seine individuellen Beratungen dient ihm die Forsteinrichtung (Waldinventur) und eine Standortkarte, anhand der er verschiedene Szenarien abrufen und Empfehlungen aussprechen kann. Lübke kennt jeden Waldabschnitt, jeden Waldbesitzer. „Der Wald erfüllt vielfältige Aufgaben, ist multifunktional. Ökologie und Ökonomie schließen sich im Regelfall nicht aus. Waldwirtschaft arbeitet mit und nicht gegen die Natur. Auch der Aspekt der Biodiversität wird immer mitbedacht und bei der Beratung der Waldbesitzer berücksichtigt“, erklärt Lübke.

Das Landesforstgesetz lässt den Waldbesitzern viele Freiheiten für die Bewirtschaftung des Waldes.  Aber unmissverständlich heißt es: „Wald muss Wald bleiben.“ Entsprechend fallen die vielen Neupflanzungen auf. Auf unserem Weg durch den Steinhagener Wald begegnen wir Waldarbeitern, die gerade Douglasien, Küstentannen und Buchen pflanzen, rund 3.500 Bäumchen pro Hektar. Auffallend ist, dass es keine Schutzzäune gibt. Um Wildschäden zu verhindern, werden die Jungbäume drei bis fünf Jahre lang mit einem Verbiss- und Fegeschutzmittel eingepinselt. Dass oft 90 Prozent der gepflanzten Sämlinge angehen, mag auch daran liegen, dass die Jungpflanzen bereits gestärkt und für den Wald gewappnet aus der Baumschule kommen.     

Klimastabile Mischwälder
Lübke macht sich viele Gedanken über den Wald. Er weiß, dass er sich mit seiner Beratung für Jahrzehnte festlegt. Und dass man beim Waldumbau einen langen Atem haben muss, denn Fehler rächen sich womöglich erst in ferner Zukunft. Noch immer ist aktuell: „Wir suchen Baumarten, um die Fichte zu ersetzen.” Von den Exoten, so Lübke, hat sich die Douglasie in Nordrhein-Westfalen schon seit hundert Jahren bewährt. „Wegen der dicken Rinde und dem Harzfluss ist sie für die Schädlinge kein idealer Brutbaum. Auch die Große Küstentanne scheint für sie nicht attraktiv zu sein. Die Wuchsleistung der Douglasie und Küstentanne ist ebenso groß wie die der Fichte.“

Bei der Wiederbewaldung setzt Lübke auf klimastabilere Mischwälder, um das Schadensrisiko zu minimieren. Denn unterschiedliche Baumarten auf einer Fläche können die Standortgegebenheiten besser ausnutzen, wurzeln unterschiedlich tief und haben verschiedene Feinde. Wo vorher ein Fichtenreinbestand vorhanden war, wird in der Regel künftig ein Laub-Nadel-Mischwald wachsen. Bei der Waldbewirtschaftung legt Lübke auf „Minderheitenschutz“ wert. Das bedeutet, dass nur einzeln vorhandene gesunde Ulmen, Eichen und Birken stehengelassen werden. Buchenwälder sollen möglichst erhalten bleiben und sich natürlich verjüngen. Mit einem Blick auf die lichten Kronen bedrückt es den Waldkenner schon, dass in den vergangenen drei Jahren viele alte Buchen den Trockenstress nicht überlebt haben.

Neupflanzungen erfolgen in „kleinbestandsweiser“ Mischung, da jede Baumart eine andere Wuchsdynamik hat. Außer den Hauptbaumarten – je nach Standort unterschiedlich – werden als weitere Baumarten häufig Elsbeere, Vogelkirsche, Spitzahorn und Esskastanie sowie am Waldrand Sträucher wie Heckenrose, Weißdorn und Gemeiner Schneeball gepflanzt. Es bleibt nicht verborgen, dass
der Förster die Vielfalt in seinem Revier schätzt. Dazu gehört auf dem Hermannsweg ein Stück ehemalige Heide mit Wacholdersträuchern und Glockenheide, die heute behutsam regeneriert wird und wo früher die Beeren für die Schnäpse von Kisker und Schlichte wuchsen. 

Herausforderung für die Politik
Spricht man über den Wald, kommt man an dem populären Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben nicht vorbei. Wenn er sagt, „dass die Wälder mein berufliches Zuhause und die Arbeit mit Bäumen mein Leben sind“, dann trennt . ihn auf den ersten Blick nichts vom heimischen Revierförster Lübke. Auch er sieht die menschengemachten Fehler und die daraus entstandenen Schäden im Wald. Nur der von Wohlleben bevorzugten Naturverjüngung und Selbstheilung des Waldes hält er die jetzige Neupflanzung eines Mischwalds entgegen. Dass Lübke dabei verantwortungsvoll mit „seinem“ Wald umgeht und dabei behutsam die Interessen der Waldbesitzer umsetzt, spricht für seinen realistischen Blick einer zeitgemäßen Forstwirtschaft.  
Ein eigenes Thema wäre der Klimawandel und der Wald als CO2-Speicher. Schon minimal steigende Temperaturen bedingen nicht nur eine verlängerte Vegetationsphase und einen gesteigerten Holzzuwachs, sondern auch zunehmend Trockenstress und eine erhöhte Schadensgefahr durch Insekten und Pilze. Eine wichtige Rolle spielen Wälder beim Klimaschutz, weil dort durch das Baumwachstum das Treibhausgas CO2 gebunden wird. Die Wälder Deutschlands können jedoch lediglich einen Bruchteil des hierzulande emittierten Treibhausgasvolumens aufnehmen. Für den Waldfachmann ist das eine „riesige Herausforderung für die Politik, Gesellschaft und Industrie, wirksame Maßnahmen umzusetzen, um die Treibhausgase ganz erheblich zu reduzieren.“ 

Noch hat Lübke den Mut nicht verloren. Sinnvoll findet er das Engagement von Bürgern, die zum Beispiel Pflanzaktionen mitmachen und so Mitverantwortung tragen. Man kann vieles erreichen,  wenn man die Menschen mitnimmt. In Zusammenarbeit mit Schülern geht es ihm immer darum, das Bewusstsein für die Bedeutung des Waldes zu wecken und zu steigern.  

Durchgefroren und voller Eindrücke verlassen wir nach vier Stunden den Wald. Und ich verstehe,  warum mir Johannes-Otto Lübke als besonderer Gesprächspartner für diesen „Ausflug“ empfohlen wurde. Der Sohn eines naturliebenden Pastors, der bereits mit 14 Jahren seine ersten Bäume pflanzte, braucht keinen eigenen Wald, um sich mit ihm zu identifizieren. Der Wald liegt ihm auch so am Herzen.

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