Papier ist seit geraumer Zeit ein knappes Gut. Die Gründe für diese Verknappung sind vielschichtig, die Folgen für Drucker und Verleger gravierend. Die Preise vor allem für grafische Papiere sind binnen Jahresfrist in ungeahnte Höhen geschnellt, und der Markt ist aufgrund der wieder deutlich gestiegenen Nachfrage leergefegt. Wir haben mit Dirk Kemmerer, CEO der Bertelsmann Printing Group, über die Lage auf dem Papiermarkt gesprochen, ihn gefragt, welche Folgen die Papierknappheit für die Druckereien von Bertelsmann hat und dabei unter anderen erfahren, wie das Verhalten von uns Verbrauchern in der Coronakrise zu der aktuellen Misere beigetragen hat.

Herr Kemmerer, das Handelsblatt hat getitelt „Verlage und Druckereien leiden unter Papiermangel“ der SPIEGEL textete mit leicht ironischem Unterton „Von der Rolle“. Wie schlimm ist die Situation auf den Papiermärkten wirklich?

Dirk Kemmerer: Sie ist seit mehreren Wochen gleichbleibend herausfordernd. Die weiterhin hohe Nachfrage nach Papier, verbunden mit der eingeschränkten Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe, zu denen unter anderem Holz und Altpapier zählen, hat dazu geführt, dass es seit Sommer vergangenen Jahres mit massive Versorgungsengpässe gibt. Und die Tatsache, dass einige große Papierfabriken in Finnland seit Beginn des Jahres bestreikt werden, hat eher zu einem Ausbleiben der erhofften Entspannung geführt.

Was bedeutet diese Entwicklung ganz konkret für die Druckbetriebe innerhalb der BPG, beispielsweise für Mohn Media in Gütersloh?

Dirk Kemmerer: Bislang ist es uns innerhalb der Bertelsmann Printing Group vor allem dank langfristiger Lieferanten-Verträge gelungen, diese schwierige Situation in engem Austausch mit unseren Auftraggebern so zu gestalten, dass wir zumindest allen Kundenverpflichtungen nachkommen und besonders negative Auswirkungen vermeiden konnten. Im Verlauf der Krise hat sich die Lage aber derart zugespitzt, dass Format- und Umfangsreduzierungen nicht mehr zu vermeiden waren. Und den ein oder anderen neuen Auftrag mussten wir aufgrund von Papiermangel absagen.

Stehen alle Druckereien vor diesem Problem und sind alle Druckprodukte gleichermaßen betroffen?

Dirk Kemmerer: Ja und nein! Zunächst einmal ist die gesamte Druckbranche von der Papierknappheit und den massiven Preissteigerungen betroffen. Aber wenn wir uns die Situation einmal genauer anschauen, so gibt es sowohl regionale als auch produktspezifische Unterschiede.

Dann fangen wir doch mal mit den regionalen Unterschieden an.

Dirk Kemmerer: Sehr gern. Zur BPG gehören unter anderem Druckereien in den USA und in Europa. In Amerika produzieren wir fast ausschließlich Bücher, während wir in Zentraleuropa deutlich diversifizierter aufgestellt sind. Dementsprechend verwenden wir in den USA auch nur Papiere, die für den Buchdruck geeignet und in Summe besser verfügbar sind. In Europa und insbesondere in Deutschland drucken wir zwar auch jede Menge Bücher, darüber hinaus aber vor allem Prospekte, Zeitschriften, Kataloge und Produkte für datengetriebenes Dialogmarketing. Dementsprechend haben wir einen deutlich höheren Bedarf an altpapierbasierten Papiersorten. Und insbesondere bei diesen Sorten ist die Knappheit gravierend. Die Papierverfügbarkeit hat sich wieder etwas entspannt, die weiterhin rückläufige Angebotslage führt aber weiter dazu, dass wir bei Papier die höchsten Kostensprünge in der Geschichte beobachten müssen.

Wieso das?

Dirk Kemmerer: Das hat unter anderem etwas mit dem Verhalten von uns allen während der Corona-Pandemie zu tun, denn wir alle haben während dieser Zeit beispielsweise weniger Zeitschriften und Zeitungen gekauft, dafür aber viel mehr online bestellt.

Und deswegen gibt es jetzt weniger Altpapier?

Dirk Kemmerer: Das nicht, aber wenn wir in unsere Blauen Tonnen schauen, dann sehen wir darin immer mehr Kartons aus Wellpappe und immer weniger grafisches Altpapier, dass die Papierproduzenten als Basis für grafische Recyclingpapiere aber dringend benötigen. Dazu muss man wissen, dass gut drei Viertel des bedruckten Papiers üblicherweise aus Altpapier hergestellt wird. Nur ein Drittel ist frisches Papier aus Holzfasern.

Und warum produziert die Industrie dann nicht ganz einfach mehr Frischfaserpapier?

Dirk Kemmerer: Die Gründe für die Knappheit bei Frischfaserpapier liegen – wenn auch nur indirekt – ebenfalls in der Pandemie. Da die Nachfrage nach grafischen Papierprodukten vor allem im Jahr 2020 deutlich zurückgegangen ist, haben die Papierhersteller ihre Produktionskapazitäten zurückgefahren, Maschinen auf die Produktion von Verpackungspapier umgestellt und sogar zahlreiche Betriebe komplett stillgelegt. Seit Mitte 2021 zieht die Nachfrage wieder deutlich an, aber das Angebot kann kurzfristig nicht wieder ausgeweitet werden.

Und was können Sie jetzt ganz konkret dagegen tun?

Dirk Kemmerer: Die Papierknappheit bestimmt seit Mitte vergangenen Jahres unser tägliches Handeln. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserer Organisation sind mit vollem Einsatz und hoher Kreativität darauf fokussiert, die negativen Auswirkungen für unsere Kunden zu minimieren. Da einfach nicht genug Papier zur Verfügung steht, ist es für uns besonders wichtig, ganz nah an unseren Kunden zu sein, diese lösungsorientiert zu beraten und ihnen tagtäglich zu beweisen, dass sie in uns einen Partner haben, auf den sie sich auch in Ausnahmesituationen zu 100 Prozent verlassen können. Da die Ursachen für die aktuelle Situation außerhalb unseres gemeinsamen Gestaltungsspielraums liegen, können wir ansonsten nur darauf setzen, dass die Papierhersteller ihr Angebot an grafischen Papieren perspektivisch wieder an die gestiegene Nachfrage anpassen.

Herr Kemmerer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

INFO PAPIER

Papier wird aus Faserstoffen hergestellt, die aus dem Rohstoff Holz und aus Altpapier gewonnen werden. In der Papierproduktion unterscheidet man vor allem drei Faserstoffe. Erstens: Zellstoff, der in einem chemischen Prozess entsteht, bei dem das Holz in einer meist Sulfathaltigen Lauge gekocht wird. Zweitens: Holzstoff, bei dessen Herstellung die entrindeten Holzstücke mithilfe eines rotierenden Schleifsteins zu Holzfasern verschliffen werden. Und drittens: Altpapierstoff, der im Rahmen eines Recyclingprozesses gewonnen wird, bei dem Altpapier mithilfe von Seifenlauge oder Enzymen in seine einzelnen Papierfasern zerlegt, gereinigt und entfärbt wird. Zellstoff und Holzstoff bilden die Grundlage für Frischfaserpapiere, Altpapierstoff ist die Basis für Recyclingpapiere.
Die industrielle Papierherstellung erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst werden die aufbereiteten Faserstoffe im Verhältnis 1 zu 99 mit Wasser vermischt. Diese Masse wird in einer Papiermaschine zwischen zwei laufende Siebe eingespritzt und zu Papierbahnen geformt. Diesen Bahnen wird dann in einem aufwändigen Prozess durch Filtern, Pressen und Trocknen das Wasser entzogen. Abschließend folgen noch die Oberflächenbehandlung sowie das Schneiden und Verpacken des produzierten Papiers.
Mit einer Einsatzquote von etwa 80 Prozent sind Fasen aus Altpapier heute der mit Abstand größte Rohstoff für die deutsche Papierindustrie, die im Jahr 2020 rund 22 Millionen Tonnen Papier produziert hat. Deutschland ist aber nicht nur viertgrößter Papierhersteller der Welt, sondern steht auch beim Papierverbrauch hinter China, den USA und Japan weltweit auf dem vierten Platz. Der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland lag im Jahr 2019 bei beachtlichen 227 Kilogramm.

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