Manchmal ist der Rückblick in die Vergangenheit ermutigender als die Wahrnehmung der Gegenwart, erst recht der Ausblick in die Zukunft. Seit Ende Februar leben wir alle in großer Sorge und sehnen uns nach einer unbeschwerten Zeit, vor allem im Rückblick auf die 1980-er Jahre.
Aber war da nicht der Kalte Krieg? Und hat er uns keine Sorgen bereitet? Als Ende 1959 in Borgholzhausen erste Kundschafter den verträumten Ort auf seine Tauglichkeit für eine NATO-Raketenstellung hin prüften, ahnte niemand, dass die Lebkuchenstadt zu einem Hotspot des sich verschärfenden Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion werden würde. Nach anfänglicher Unruhe und vielen Gerüchten fügte sich der Ort in sein Schicksal, das aufgrund der verteidigungspolitischen Verpflichtungen des noch jungen NATO-Mitglieds Bundesrepublik Deutschland unabwendbar schien. Bald schon schlug die Verunsicherung in Zustimmung um, schien man doch von einem bislang beispiellosen Konjunkturprogramm zu profitieren, das die bis 1963 aus dem Boden gestampfte militärische Infrastruktur bedeutete.
Die strategisch exponierte Lage Borgholzhausens in einem Pass des Teutoburger Waldes schien selbst für einen Atomkrieg noch von Bedeutung zu sein. Stationiert wurden Langstrecken-Luftabwehrraketen vom Typ Nike Hercules. Mit Atomsprengköpfen bestückt, hätten sie im Ernstfall auch von Borgholzhausen aus sowjetische strategische Atombomber in großen Höhen angreifen sollen – mit der Konsequenz, dass Mitteleuropa nahezu ausgelöscht worden wäre.
Ein solches Szenarium schien die Menschen vor Ort nicht zu beunruhigen, über die Gefahren waren sie nicht aufgeklärt. Zur Tarnung wurden die Atomsprengköpfe mit dem noch immer gebauten Hubschrauber Chinook CH-47 zwischen den einzelnen Basen hin- und hergeflogen. Dabei hätte schnell mal etwas schiefgehen können. All das löste keinerlei Bürgerproteste aus. Mit den Familienangehörigen des militärischen Personals der niederländischen Einheit wuchs die Kleinstadt um annähernd 800 Personen und damit um Kaufkraft und Wohlstand. Entsprechend groß war das Bedauern, als die Zeit des Einsatzes 1983 beendet wurde.
Erst in der Folge des sogenannten NATO-Doppelbeschlusses vom Dezember 1979 flammten mit der sich formierenden Friedensbewegung auch hierzulande der Widerstand gegen ein Wettrüsten auf, das sich wieder zu beschleunigen drohte. Einen ersten Höhepunkt erlebten die Proteste, als sich am 16. Mai 1981 annähernd 8.000 Menschen in einem vier Kilometer langen Friedensmarsch von Werther nach Borgholzhausen aufmachten. 1984 übernahm eine britische Einheit die Feuerleitstelle auf dem Hollandskopf. In geheimer Mission installierten die Briten eine Trainingsradaranlage als „Übungseinrichtung für elektronische Waffen“. Es folgten extreme Tiefflugübungen der NATO-Jagdflugzeuge in Flughöhen unter 150 Metern, die einen beispiellosen Fluglärm verursachten, der die Menschen spürbarer belastete als das imaginäre Damoklesschwert der atomaren Bedrohung. Vor allem senkrecht startende Jagdflieger vom Typ „Harrier“ verursachten einen Höllenlärm. Seit 1981 gehörten Demos gegen den „Tiefflugterror“ zum politischen Alltag. Ändern tat sich nichts. Noch im Herbst 1989 wurde im Bonner Verteidigungsministerium die „Borgholzhausener Resolution“ gegen den Fluglärm übergeben, zu der sich 13 Kommunen aus vier Landkreisen zusammengeschlossen hatten. Erst 1992 wurde die Radarstation aufgegeben.
Dann kamen 30 Jahre ohne Angst, und wir dachten, es ginge immer so weiter. Eigentlich war es eine kurze Zeit, aber doch lang genug, um das Davor zu vergessen. Nun ist die Zukunft für alles offen, und wir fürchten nichts mehr als einen kalten Winter.

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