Blick in einen modernen Kreißsaal

Das Schwerpunkthema dieser Ausgabe heißt „NEU“. Und was könnte neuer sein als die Geburt eines kleinen Erdenbürgers, der erste Atemzug eines Kindes, der Beginn eines Lebens? 3.800 Babys sind im Jahr 2021 im Kreis Gütersloh zur Welt gekommen – zu Hause, im Geburtshaus oder, und das wohl am häufigsten, in einem der ärztlich geleiteten Kreißsäle in den Krankenhäusern in Gütersloh und Halle. Allein das Klinikum Gütersloh verfügt über drei hochmoderne, bestens ausgestattete Exemplare, in denen sich werdende Eltern auf eine intime Atmosphäre, optimale medizinische Versorgung und eine Vielzahl an unterstützenden Angeboten freuen dürfen, die die Geburt zu einem einmaligen Erlebnis werden lassen sollen.

Text: Kathrin Jünger . Fotos: Detlef Güthenke

Eine Geburt? – Ein Klacks!

Und so bietet so ein moderner Kreißsaal dann auch eine faszinierende Mischung aus Technologie und Wissenschaft und der Privatheit des heimischen Schlafzimmers. Warme Farben, die beruhigend wirken und dem Raum den Anschein von Gemütlichkeit und Geborgenheit verleihen, sind der Background für allerlei hochentwickelte Geräte. Neben Wehentropf und Ultraschallgerät finden sich die Entbindungswanne zum Entspannen, Pezzibälle für Frauen, die nicht im Bett liegend entbinden wollen, bequeme Sitzgelegenheiten für Familienangehörige und noch einiges mehr. In Verbindung mit den brav besuchten Geburtsvorbereitungskursen, dem sorgfältig erstellten Geburtsplan, in dem die werdende Mutter ihre Wünsche bezüglich Geburtsstellung, Musik und Einsatz von Medikamenten festhalten darf, und den intensiv studierten Ratgebern ist die Erwartungshaltung klar: Hier wird in Kürze etwas stattfinden, das perfekt geplant und für alle Beteiligten gut kontrollierbar ist. Eine Geburt? – Ein Klacks!

Das alles hat seine Berechtigung, und es ist wunderbar, dass Frauen Einfluss nehmen können auf das, was da mit ihrem Körper geschieht, statt, wie in grauer Vorzeit, passiv „entbunden“ zu werden. Allerdings, und das sollte wohl auch nicht unerwähnt bleiben, sind die vielfältigen Möglichkeiten eben auch nichts mehr als das. Etwas, was man nutzen kann, aber nicht muss. Angebote, die man in Anspruch nehmen darf, wenn sie einem gut tun, die aber nicht die Erwartungen an das, was unter der Geburt vonstattengeht, ins Unermessliche steigern sollen. Denn manchmal gleicht dieses Ereignis dann doch eher einer über die Beteiligten hereinbrechenden Naturgewalt, die sich der menschlichen Kontrolle ein Stück weit entzieht und nicht unbedingt Rücksicht nimmt auf die zuvor akribisch durchdachten Pläne.

Für die meisten werdenden Eltern ein Mysterium

Ein slawisches Sprichwort sagt: Lieber einmal im Jahr gebären, als sich täglich rasieren. Diesen Satz hat bestimmt ein Mann gesagt, denn Sprichwörter sind in der Regel alt, und dass Frauen sich neben dem Gebären auch noch mit der Entfernung angeblich unästhetischer Körperbehaarung herumschlagen, ist ja nun auch eher ein Auswuchs der Moderne. Und selbstverständlich haben diese beiden Arten von Strapazen überhaupt nichts miteinander gemein, außer vielleicht, dass immer nur das Ergebnis sichtbar ist und wenig darüber gesprochen wird, welcher Weg dorthin geführt hat.

Dass sich nach der Geburt das Leben der frischgebackenen Eltern für immer verändert, hört man immer wieder. Und wer nicht gerade als Erstes im Freundeskreis diesen neuen Abschnitt erreicht, hat es auch schon das eine oder andere Mal hautnah mitbekommen: Wie es ist, wenn die Verabredungen mit den Kumpels plötzlich von der Zubettgehzeit des Nachwuchses abhängig sind. Wenn übermüdete Menschen in eine in Wäschebergen erstickende Wohnung einladen, in der man sich zwischen „Kannst du mal kurz das Baby halten?“ und Spucktücher anreichen den Kaffee selbst kocht. Oder wenn man dann schließlich allein auf dem Sofa hockt und auf dem Handy rumdaddelt, weil sich die Gastgeberin zum Stillen ins Schlafzimmer zurückgezogen hat. Wer ein bisschen aufmerksam ist, hat also schon eine gewisse Vorstellung davon, was es so bedeuten könnte, Eltern zu werden.

Was es aber bedeutet, ein Kind tatsächlich aus dem eigenen Körper herauszupressen, bleibt für die meisten werdenden Eltern ein Mysterium. Denn im Normalfall ist man bei einer Geburt nur live dabei, wenn man in irgendeiner Form direkt daran beteiligt ist. Alles, was man also weiß, sind Informationen aus zweiter Hand: Aus den bereits erwähnten Büchern und Kursen, aus Erzählungen der Eltern und Großeltern und, wenn man Glück hat, von Menschen derselben Generation, die dann doch zumindest Überschneidungen mit den eigenen Erfahrungen und den Gegebenheiten in einem modernen Kreißsaal aufweisen dürften. Und bei all diesen Informationen ist man darauf angewiesen, dass die Informanten sich bei der Weitergabe für die richtigen Details entscheiden, die nämlich, die einem in der eigenen Situation irgendwie von Nutzen sein könnten. Wenn das der Fall ist, hat man die Chance, auch mal etwas anderes zu hören als „Wenn du dein Kind dann in den Armen hältst, hast du sofort alles vergessen“. Dann werden vielleicht auch die nicht so schönen Geschichten ausgepackt und über all das berichtet, was schieflaufen kann. Über den Einsatz von Saugglocke und Geburtszange, das Nähen des Dammrisses, das so manche Frau als den schmerzhaftesten Teil des Ganzen erlebt, über Exkremente in der Badewanne und vielleicht sogar über das Trauma, wenn das Baby keinen perfekten Start ins neue Leben hinlegt. Aber es ist wohl ein bisschen wie mit den allzu häufig ausgesprochenen Warnungen vor den wesensverändernden Auswirkungen des jungelterlichen Schlafmangels: Man nimmt diese zwar zur Kenntnis, aber glaubt doch nicht so richtig, dass sie einen selbst genauso treffen könnten wie alle anderen – schließlich war man ja schon immer eher eine Nachteule.

Nicht das höchste der Gefühle

Und sowieso gibt es da diesen Eindruck, dass die Geburt eine Leistung ist, die die Frau erbringt und die, wenn sie sich so richtig ins Zeug legt und optimal abliefert, eigentlich nur gelingen kann. Entspannt soll sie sein, die Gebärende, sich der Natur ergeben und auf ihr Bauchgefühl hören. Die Wehen einfach veratmen, wie sie es gelernt hat, während des Pressens nicht knurren, weil das die Sauerstoffversorgung von Mutter und Kind gefährdet und, wenn möglich, alles ganz ohne Intervention in Form von Periduralanästhesie hinter sich bringen. Ein Kaiserschnitt ist in diesem Szenario dann auch das letzte Mittel der Wahl, das nur zulässig ist, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht und dessen Einsatz beinahe einem Versagen gleichkommt. Der Mann (oder welche Begleitperson auch immer zugegen ist), soll indes die Ruhe bewahren, der Partnerin beistehen, ihr den Rücken massieren, Wasser anreichen und den feuchten Waschlappen stets in greifbarer Nähe halten. Wenn das Kind dann auf der Welt ist, setzt bei den Eltern automatisch das überwältigende Gefühl der bedingungslosen Liebe ein, dass als Lohn für die ertragenen Strapazen dankbar entgegengenommen werden soll. So die Theorie.

Was nicht so oft erzählt wird, ist, dass all die erwarteten romantischen Momente manchmal einfach im Wehensturm verpuffen. Dass es Frauen gibt, denen in der Badewanne der Kreislauf zusammenbricht und die das wohlige Nass dann ganz schnell wieder verlassen müssen. Dass es nicht jedem hilft, eine Hand zu drücken oder permanent angefasst zu werden, weil nämlich manche Frauen die Dinge mit sich selbst und ihrem Körper ausmachen und dabei wenig Kapazitäten haben, die passenden Anweisungen zu geben oder sich um irgendetwas außerhalb dieses Selbsts zu sorgen. Und genauso gibt es Männer, für die es nicht das höchste der Gefühle ist, der Partnerin hilflos und einigermaßen handlungsunfähig dabei zuzusehen, wie sie gegen Schmerzen kämpft und versucht, auch nach 12 Stunden Wehen noch frisch und wach zu sein. Trotzdem scheint es allgemeiner Konsens zu sein, dass, ganz unabhängig von den eigenen Präferenzen, bei der Geburt ein Partner zugegen zu sein hat, denn schließlich geschieht hier ein Wunder, dem beiwohnen zu dürfen man doch bitte als Segen empfinde.

Festzuhalten ist also, dass, wie so oft im Leben, auch bei der Geburt eines Kindes Erwartung und Realität manchmal weit auseinanderklaffen. Und was nutzt es nun, sich das vor Augen zu führen? Sollen wir jetzt all die Errungenschaften der Geburtshilfe über Bord werfen und die Frau ihr Ding allein durchziehen lassen? Natürlich nicht! Es sei einer jeden Frau ihre Badewanne gegönnt und einem jeden Partner die bequeme Sitzgelegenheit. Trotzdem bringt es vielleicht die Erkenntnis, dass uns die schöne neue Welt mit ihren modernen Kreißsälen und aufgeklärten Gesprächen zwar eine große Stütze sein kann, die vieles erleichtert. Aber eben auch, dass es hin und wieder, insbesondere wenn es um eine so existenzielle Erfahrung geht, reichen darf, bei sich zu sein, tatsächlich auf sich selbst zu hören und zu tun, was man für richtig hält, statt vermeintlichen Erwartungen von außen hinterher zu hecheln. Das wird eine Geburt nicht schöner machen, nicht leichter oder schmerzfreier. Aber es eröffnet die Möglichkeit, sich auf das Neue einzulassen und selbst herauszufinden, was davon wirklich brauchbar ist.

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