Text: Kathrin Jünger . Foto: Detlef Güthenke . Plastik: Martina Schmidt

Eigentlich ist Gütersloh die perfekte Stadt zum Radfahren: Kein Weg ist zu weit, um ihn nicht mit ein paar Pedaltritten überwinden zu können, der Verkehr ist meist überschaubar und das Parken zumindest in der Innenstadt unlängst so teuer geworden, dass es nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch Sinn macht, das Auto stehen zu lassen. Und doch gibt es da das eine oder andere Hindernis, das es einem nicht immer leicht macht, sich des Morgens in den Sattel zu schwingen.

Vereinzelte Fahrradstraßen
Einige dieser Barrieren sind ziemlich güterslohspezifisch: So gibt es zwar inzwischen vereinzelte Fahrradstraßen. Das bedeutet aber nicht, dass diese auch von sämtlichen Verkehrsteilnehmern respektiert werden. Wer hier zu gemächlich oder zu mittig auf der Fahrbahn unterwegs ist, muss ein dickes Fell haben. Da bekommt man schon hin und wieder mal den Fahrtwind ungeduldiger Autos zu spüren oder wird aus runtergekurbelten Fenstern lauthals angeblafft. Sowieso gibt es Orte in Gütersloh, an denen man sich im Vorfeld gut überlegen sollte, ob man sich traut, diese auf einem Gefährt zu durchqueren, das nur durch einen Balanceakt aufrecht gehalten wird. Wer einmal morgens um kurz vor acht im Schulendreieck an der Bismarckstraße unterwegs war, weiß, dass hier sämtliche Verkehrsregeln außer Kraft gesetzt sind. Da flitzen die Teenies auf ihren E-Rollern und allem, was sonst noch Räder hat, kamikazemäßig wie Kraut und Rüben und blockieren zahlreiche Elterntaxis jede Ausweichstrecke. Selbst als Fußgänger muss man über eine außergewöhnliche Reaktionsfähigkeit verfügen, um unbeschadet über den Zebrastreifen zu gelangen.
Natürlich ist das ein Ballungszentrum und nur zur Rush-Hour wirklich problematisch. Aber auch, wenn man sich in kluger Voraussicht für weniger befahrene Wege im Stadtzentrum entscheidet, ist nicht alles einfach Easy Riding. Der empfindliche Pöter sollte auch hier weise wählen, denn es findet sich so mancher Bodenbelag, der sich schnell als Schmerztest entpuppt. Um beispielsweise von der Lindenstraße aus in den malerischen Stadtpark zu gelangen, ist zunächst ein schön anzusehendes, aber äußerst unbequemes Kopfsteinpflaster zu überwinden, das mit Sicherheit jede einzelne, nicht ganz so fest angezogene Schraube zu lockern vermag. Bewältigt man dieses ohne größere Zwischenfälle, die eine Spontanreparatur nötig machen, folgt prompt ein Parkour zwischen enormen Schlaglöchern hindurch, die sich bei Regenwetter in reißende Gewässer verwandeln und denen man auf dem dann rutschigen Untergrund nur mit einigem Geschick ausweichen kann. Aber immerhin, die Mühe lohnt sich. Denn liegen Matsch und Fallgruben hinter einem, kann man ewig weit fahren und es schön haben. Hinterm Stadtpark nämlich beginnen die Felder und Landstraßen, wo man fernab vom KFZ-Verkehr entspannt radeln und die Aussicht genießen kann.

Beherzte Wadenbewegungen
Für den sportlichen Ehrgeiz finden sich außerdem immer passende Reiseziele. Denn auch das ist eine besondere Qualität Güterslohs: Um ins Grüne zu kommen, braucht es in der Regel nur ein paar beherzte Wadenbewegungen. Scheut man die Fahrt bergauf über die Autobahnbrücke nicht, kann man es bis nach Rietberg in den Gartenschaupark schaffen, während in der entgegengesetzten Richtung das Café im Hühnerstall bei Marienfeld zumindest an den Wochenenden zur Einkehr bei Kaffee und Kuchen taugt.
Oder man folgt einfach der Dalke und landet irgendwann in den zu ihr gehörigen Auen, an der Neuen Mühle oder, mit einem kleinen Schlenker, im Wapelbad. Diese Orte sind im Übrigen allesamt wichtige Bestandteile der Radfahrkultur unserer Stadt. Jedes Kind kennt schließlich die Tradition, bei der sich am 1. Mai ganze Familien oder Freunde-Pulks auf den Weg dorthin machen. Selbstverständlich stets mit Picknick oder einer Kiste Bier und der passenden Beschallung ausgestattet. An diesem Tag gibt es regelrechte Völkerwanderungen zu beobachten, die den Eindruck vermitteln, dass hier wirklich niemand jemals ein anderes Fortbewegungsmittel in Betracht ziehen würde. Denn eins ist klar: Die Gütersloher lieben ihre Feste und sie lieben das Fahren auf dem Rad.
Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die e-motorisierte Variante handelt oder um den Lastentransporter, ob ein klappriges Hollandrad oder ein schickes Mountain-Bike zum Einsatz kommt -hauptsache, man spürt den Fahrtwind im Gesicht! Selbst durch Alter und Körperfitness sind dem Ganzen keine Grenzen gesetzt. Wer nicht mehr ohne Weiteres in der Lage ist, aus eigener Kraft in Gang zu kommen, hat nämlich die wunderbare Gelegenheit, sich mit der Rikscha kutschieren zu lassen. Im Rahmen des Projektes „Radeln ohne Alter“ und dank der dort engagierten Ehrenamtlichen können Senior*innen seit 2022 nicht nur in den Genuss einer Tour mit dem Radtaxi kommen, sondern erhalten bei dieser Gelegenheit auch gleich noch einen zugewandten Gesprächspartner, mit dem sie die Ausflugseindrücke teilen können.

Der innere Schweinehund
Und wem das alles noch nicht genug Substanz hat, der kann radfahrenderweise einfach die Lokalpolitik mitgestalten. Denn auch die immer wiederkehrenden Proteste gegen den Ausbau der B61 werden traditionell in dieser Manier durchgeführt.
Es ist also nicht zu leugnen, das Fahrradfahren gehört zu Gütersloh und das ist gut so. Wäre da nur nicht der innere Schweinehund, den jeder ganz individuell zu überwinden hat, wenn er so richtig dazugehören will. Denn bei aller Romantik des ökologischen Reisens bringt dieses auch ganz allgemeingültige, nicht nur auf unsere Stadt bezogene, Tücken mit sich.
So wird auch auf dem Stahlross niemand von Murphy‘s Law verschont. Es gibt Gesetze, die greifen einfach immer. Eines lautet, dass es grundsätzlich erst auf halber Strecke regnet, dafür dann aber sintflutartig. Dabei ist die Wetterlage bei Fahrtantritt völlig irrelevant – nass wird es erst, wenn es zu spät zum Umkehren ist. Die einzige Entscheidungsgewalt, die man dann noch innehat, ist die darüber, ob man lieber durchweicht, während man die Regenhose aus dem Rucksack kramt oder während man todesmutig bis nach Hause durchzieht.
Ein weiteres Gesetz besagt, dass es stets irgendetwas zu warten oder zu reparieren gibt. Denn Fahrräder, insbesondere solche, die täglich in Gebrauch sind, sind wahre Mimosen. Sie haben immer mindestens ein kleineres oder größeres Wehwehchen. Sei es das Schutzblech, das auch nach der zehnten Nachjustierung immer noch schleift, das Licht, das aus Prinzip mit Beginn der dunklen Jahreszeit streikt, oder die Kette, die trotz allen Öls der Welt nicht aufhören mag, zu quietschen. Das Fahrrad, an dem nichts auszubessern wäre, ist ziemlich sicher eine übertrieben ausgeschmückte Legende, an die nur naive Menschen glauben. Mindestens mit dem wiederkehrenden Platten muss man als hartgesottener Velo-Verfechter ständig rechen und akzeptieren lernen, dass sich dieser in der Regel am Hinterrad befindet. Wäre ja auch keine Herausforderung, wenn man zum Schlauchwechseln nicht wenigstens einen Kettenschutz entfernen müsste. So ein Rad will also gut gepflegt und geschützt sein: Vor Witterung, vor Diebstahl oder auch vor Vogelschiss.
Schließlich ist die Fortbewegung mittels Wadenkraft modisch eher weniger vertretbar. Das dritte Gesetz des Radfahrens nämlich will, dass man sich vor Stürzen schütze und dass die dafür vorgesehene Kopfbedeckung grundsätzlich schäbig aussehe. Man muss sich schon entscheiden, ob man lieber das Risiko schwererer Verletzungen in Kauf nimmt oder leuchtet wie eine Boje auf dem Meer. Letzteres geht natürlich einher mit dem Verlust der sorgfältig gestylten Föhnfrisur. Andererseits ist diese ohnehin überflüssig, wenn sie sich sowieso auf halber Strecke im Regen auflöst. Und zur unvermeidlichen Kettenschmiere am Hosenbund würde ein geschniegelter Look wohl auch nicht recht passen.

„Fahrrad abstellen verboten“
Immerhin muss man mit dem Rad keinen Parkplatz suchen. Meistens. Mit dem Lastenrad ist es schon manchmal nicht so einfach, nicht im Weg zu stehen und es finden sich doch an erstaunlich vielen Stellen Schilder mit der Aufschrift „Fahrrad abstellen verboten“. Hier hilft dann aber Mut zur Lücke, denn warum sollte man es da anders halten, als die motorisierten Mitmenschen? Noch wurde zudem kein Ordnungsamtler gesichtet, der Knöllchen an falsch geparkte Drahtesel verteilt hätte.
Ja, es gibt tausend gute Gründe, das Fahrrad morgens nicht aus Keller, Schuppen oder Garage zu holen. Es ist wohl nicht abzustreiten, dass dieses Radeln mit einigen Mühen verbunden ist und hin und wieder auch zum echten Ärgernis werden kann. Aber der belgische Rennradfahrer Eddy Merckx soll mal gesagt haben: „Das Rennen gewinnt der Fahrer, der am meisten leiden kann.“ Da ist vielleicht was dran und so ein bisschen Leidensfähigkeit ist schließlich auch lohnenswert. Es führt nämlich mindestens zu einem intensiven Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Wer das nicht glauben mag, kann ja beim nächsten Hadern, ob der Weg nach Spexart nicht möglicherweise zu weit und unbequem sei, um ihn auf zwei Rädern zu bewältigen, mal versuchen, so ad hoc mit dem Bus dorthin zu kommen. Viel Glück …