Es sind die 1980er, die Zeit der Bioläden und Anti-Atomkraftbewegung. Grüne Politik kommt auf, das Bewusstsein der Menschen für den Umgang mit unserer Umwelt wächst. So auch bei Gisela Kaufmann-Maas und Reinhard Maas, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes auf der Suche nach einer Alternative zur müllintensiven Plastikwindel sind. Fündig werden die Beiden bei einem Produzenten in Süddeutschland, der allerdings nur an gewerbliche Kunden liefert. Also melden sie ein Gewerbe an, ohne zu ahnen, welche Erfolgsgeschichte damit beginnt.
Text: Vera Corsmeyer | Fotos: Detlef Güthenke
Über Mund-zu-Mund-Propaganda wächst die Nachfrage im Bekanntenkreis und sukzessive auch das Sortiment, immer orientiert am eigenen Bedarf an Naturtextilien. Schnell fällt die Entscheidung, als Versandhändler zu agieren und so eine breitere Zielgruppe bei geringerem Risiko zu erreichen. Schon die ersten kleinen Kataloge werden dabei auf Recyclingpapier gedruckt. Ausschließlich Naturtextilien anzubieten ist eine mutige Entscheidung – in einer Zeit, in der öko-faire Mode noch unterrepräsentiert ist, die sich doch als wegweisend herausstellt. Maas Natur wird zu einem Pionier der Branche.
Nach dem ersten Umzug von Verl nach Isselhorst wird aus dem bisherigen Kellerverkauf das erste stationäre Geschäft. Die Nachfrage wächst weiter, 1999 wird der heutige Standort gebaut, mit Logistik, Administration, Design und Laden auf knapp 2.000 Quadratmetern. Parallel öffnet die erste Filiale an der Universität in Oldenburg. Mittlerweile findet man deutschlandweit elf Läden der Firma Maas.
Der erste Onlineshop launcht 2003, ein logischer Schritt für das Unternehmen. Sind für die Kataloge die Artikel bereits fotografiert und beschrieben worden. So werden in einer frühen Form des „Omni-Channel“-Marketings neue Zielgruppen erreicht.
Ein weiterer Beweis für das Unternehmer-Gen der Familie Maas. Bis heute ist das Unternehmen ein reiner Familienbetrieb, ohne Mitgesellschafter oder sonstige Shareholder. Und wird es auch zukünftig sein, sind inzwischen beide Kinder im Unternehmen tätig.
Nora Maas arbeitet nach ihrem Modedesignstudium in Berlin bereits als Absolventin in der Designabteilung, die zu der Zeit noch von ihrer Mutter Gisela Kaufmann-Maas geleitet wird, und kehrt 2015 dorthin zurück. Heute leitet sie den Bereich Einkauf und Design, ist unter anderem verantwortlich für die Fotoproduktionen, den Katalog und gemeinsam mit drei Designerinnen für die moderne wie zeitlose Gestalt der Mode.
Ihr Bruder Philipp Maas ist in Hamburg für verschiedene Agenturen und selbstständig im digitalen Bereich tätig, bevor er mit der Optimierung des Onlineshops wieder erste engere Verbindung zum operativen Geschäft knüpft. Inzwischen ist mit dem erneut komplett überarbeiteten Shop sein erstes großes Projekt im Unternehmen online gegangen. Zukünftig soll auch die interne Organisation digital neu aufgestellt werden.
Das zugleich eingeführte neue „Maas-Blau“ unterstreicht den derzeitigen Prozess der Unternehmensnachfolge: Neben Reinhard Maas und den beiden Geschwistern, die mit und im Unternehmen groß geworden sind, gehören zu aktuellen Geschäftsleitung mit Prokura auch Sabine Wiemann-Seiter und Inka Özkan.
Sabine Wiemann-Seiter ist seit Mitte der 1990er bei Maas und kennt das Unternehmen wie kaum jemand. Sie hat alle Phasen der Entwicklung nicht nur miterlebt, sondern auch mitgestaltet. Verantwortlich für die Bereiche EDV und Einkauf, ist sie häufig auch die „Troubleshooterin“, die mit ihrer Erfahrung flexibel auf Herausforderungen und Anfragen reagieren kann.
Inka Özkan landet 2018 auf der Suche nach einem Arbeitgeber, dessen „Wertekonzept, sie zu hundert Prozent“ teilt, bei Maas. Hier leitet sie seit 2019 die Personalabteilung und ist verantwortlich für die circa 200 Beschäftigten des Unternehmens. Mit dem Ziel, auch hier ein rundum nachhaltiges Arbeitsumfeld zu schaffen.
Zu den zentralen Unternehmenswerten, die bis heute gelten, gehören ebenfalls die Verantwortung allen Beteiligten und der Respekt der Umwelt gegenüber. Maas Natur agiert nach dem Prinzip der „Corporate Social Responsibility“, einem Konzept, das eine ganzheitliches, nachhaltiges wirtschaftliches Agieren in den Mittelpunkt stellt. Und das mit Maßnahmen, die weit über gesetzliche Vorgaben hinaus gehen.
Nachhaltig ökologisch – nachhaltig sozial
Bereits kurz nach der Unternehmensgründung fällt die Entscheidung, eigene Kollektionen zu entwerfen, entwickeln und produzieren. Heute stammen rund 60 Prozent der vertriebenen Kleidungsstücke aus eigener Produktion. Nicht zuletzt, um möglichst genau Lieferketten nach zu halten und eigene Qualitätsstandards um zu setzen. Auch das schon zu einer Zeit, als diese Begriffe noch nicht Teil des Diskurses sind.
Maas Natur verwendet nur Naturfasern aus nachwachsenden Rohstoffen, möglichst aus kontrolliert biologischem Anbau oder Tierhaltung. Das gilt bis zum letzten Knopf und Reißverschluss. Ebenso essentiell sind die ethischen und sozialen Kriterien, Kinderarbeit und unhumane Arbeitsbedingungen sind tabu. Produziert wird überwiegend in zertifizierten Betrieben in Europa, schwerpunktmäßig in der Türkei und Portugal, wo über Jahre hinweg enge und persönliche Beziehungen gewachsen sind. Darüber hinaus arbeitet Maas Natur mit zwei Strickern aus dem Kreis Gütersloh zusammen, eine Nähe, die in der Branche selten ist.
Die eigenen Qualitätskriterien lässt das Unternehmen laufend durch verschiedene Zertifizierungen und Siegel überprüfen. Als Gründungsmitglied des „Internationalen Verband Naturtextilien e.V.“, einem führenden Zusammenschluss von Unternehmen, deren Ziel es ist, hochwertige Naturtextilien nach den strengsten ökologischen und sozialen Richtlinien herzustellen, engagiert sich Maas Natur auch hier für Transparenz. Durch Siegel und Zertifikate wie GOTS (Global Organic Textile Standard) und die langfristige Zusammenarbeit mit einem Prüflabor vor Ort, ist garantiert, dass die nachhaltige Kleidung nicht nur aus ökologisch wertvollen Materialien besteht, sondern zusätzlich unter extrem fairen Bedingungen produziert wird. So wird Verantwortung in allen Herstellungsstufen übernommen: Rohstoffgewinnung, Rohstoffverarbeitung, Konfektionierung.
Textilproduktion ist nicht ohne Emissionen möglich, dem stellt die Firma zahlreiche Maßnahmen zur Reduktion entgegen:
Seit 2007 betreibt sie eine eigene Solaranlage, mit dem Ziel der kompletten Eigenversorgung. Sie ist Teil des regionalen „Ökoprofit-Projekts“ der Städte Herford, Gütersloh und Bielefeld, Eine Obstbaumwiese und die Teilnahme an der Bielefelder KlimaWoche sind weitere Beispiele des Engagements. Das sich auf gesellschaftlicher Ebene fortsetzt: Regional unterstützt Maas Natur heilpädagogisches Reiten für Kinder mit Behinderung in Bethel. Im Rahmen des AWO-Projekts „Brotzeit“ bereiten Mitarbeitende Frühstücke an einer Gütersloher Grundschule zu. Seit vielen Jahren unterstützt Reinhard Maas den Transport von Weihnachtspaketen für Kinder in Rumänien und Ungarn und stellt dafür auch die Unternehmenslogistik zur Verfügung.
Nachhaltiges (Ver-)kaufen?
Doch wie gelingt es, das Konsumgut Mode wirtschaftlich erfolgreich zu vertreiben und zugleich im Einklang mit den eigenen Werten zu agieren? Wer bei Maas Natur bestellt, erhält seinen Einkauf hochwertig in Papier und Stoff verpackt. Kartons können wiederverwertet werden. Auch die Lieferungen der Produzenten laufen so plastikarm wie möglich ab. Noch ressourcenschonender ist der Filialversand, bei dem die Ware in Mehrwegboxen geliefert wird und in der entsprechenden Filiale abgeholt werden kann. Um Retouren schon im Vorfeld zu vermeiden, setzt man im Designprozess auf qualitativ hochwertige Entwürfe, die nicht jeden Trend jagen, sondern langfristig über Saisons hinweg kombinierbar sind. Trotzdem ist das Design zeitgemäß, das öko-faire Mode mit fairen Preisen verbindet.
Mittels möglichst detaillierter Artikelbeschreibungen und entsprechenden Fotos können Vorstellungen der Kund*innen bereits im Bestellprozess erfüllt werden. Die Retourenquote ist entsprechend nur knapp halb so groß ist wie bei vielen Mode-Onlineshops. Entsorgt wird allerdings nichts. Die Kleidung wird wiederaufbereitet und angeboten, zum Teil im Bielefelder Outlet oder bei regelmäßigen Lagerverkäufen. Final werden die unverkauften Kleidungsstücke an persönlich bekannte Projekte gespendet.
Nachhaltig zukünftig
Mit dem begonnenen Generationsübergang stellt sich Maas Natur schon heute für die Anforderungen von Morgen auf – die großen Themen der Gegenwart finden sich auch hier wieder:
» Derzeit werden Vertrieb und Design sukzessive auf jüngere Zielgruppen angepasst, ohne dabei die bisherigen aus dem Fokus zu verlieren. Maas Natur soll weiterhin die Alternative zur konventionellen Mode für viele sein. Dafür spielen auch Social Media, Digitalisierung und KI zunehmend eine Rolle.
» Während andere vermehrt auf synthetische Materialien wie Lyocell oder Modal setzen oder Recyclingfasern verwenden, bleibt Maas Natur sich treu: „Wir wollen wissen, was wir verkaufen!“, unterstreicht Nora Maas. Das bedeutet, weiterhin ausschließlich Naturfasern zu verwenden, deren Ursprünge einwandfrei nachzuhalten sind. Auch über das 40. Firmenjubiläum im kommenden Jahr hinaus bleibt Maas Natur ein Pionier der Branche – nachhaltig sozial – nachhaltig ökologisch und nachhaltig transparent.