Letzte Ruhe im Herzebrocker Begräbniswald
Fotos: Detlef Güthenke
Unter Bäumen zur letzten Ruhe gebettet – mit der Natur vereint und im ewigen Kreislauf aus Werden und Vergehen, das ist das Prinzip der Waldbestattung. Im Kreis Gütersloh bietet der Herzebrocker Begräbniswald eine solch besondere Ruhestätte, die immer stärker nachgefragt wird.
Sanft rauschen die Bäume, Vögel zwitschern, goldene Sonnenstrahlen flirren durchs grüne Blätter-Dach, tauchen den federnden Waldboden in warmes Licht, und erdiger Duft steigt empor. Hier schlägt das Herz des Waldes. Hier finden Verstorbene ihre letzte Ruhe, Leben und Tod treffen aufeinander – im Herzebrocker Begräbniswald.
Das Waldstück an der Groppeler Straße am Rande Herzebrocks ist geprägt von mehr als 100 Jahre alten Eichen und bietet eine vielfältige Auswahl würdiger Baumgrabstellen. Insgesamt erstreckt sich das Areal über 30 Hektar, doch nur ein Teil davon wird als Begräbnisforst genutzt. Betreiber des Herzebrocker Begräbniswaldes ist das Fürstlich zu Bentheim-Tecklenburgische Forstamt mit Sitz in Rheda. Maximilian Fürst zu Bentheim-Tecklenburg höchst persönlich hat hier ein Auge auf das Geschehen und inspiziert das Gelände regelmäßig. Verantwortliche Försterin ist Kathrin Fieseler, die den Wald vor anderthalb Jahren unter ihre Fittiche nahm und seitdem behutsam und dennoch ökologisch kreativ gestaltet. „Wir wollen den Trauerwald in erster Linie naturnah bewirtschaften, schaffen aber beispielsweise mit Biotopen, mit dem Igelhotel oder mit Anpflanzungen besonderer Bäume und Sträucher einen Mehrwert für Flora und Fauna“, beschreibt Kathrin Fieseler ihren gestalterischen Ansatz.
Bäume sind wie Biografien
Von zwei Parkplätzen aus ist der Begräbniswald gut zu erreichen. Auf dem herkömmlichen Friedhof an der Groppeler Straße 1 bietet eine öffentliche Trauerhalle Raum für Gedenkfeiern „im Trockenen“. Von dort führt der Weg in den vorderen Teil des Begräbniswaldes. Direkt im Forst befindet sich der kreisförmig angelegte Andachtsplatz. Das mit Steinen umsäumte Rund dient nicht nur als zentrale Stätte für die Trauerfeier unter freiem Himmel, sondern auch als Ort des Verweilens für Besucher des Begräbniswaldes. In diesem Bereich ist der Forst eher übersichtlich gestaltet und hat fast parkähnliche Strukturen. Das Gros der Bäume steht in geordneter Reihung. Sie sind überwiegend geradlinig, rank und schlank und standen bis vor kurzem hoch im Kurs. Heute stellt Maximilian Fürst zu Bentheim-Tecklenburg bei der Auswahl der Bäume eine Trendwende fest: „Außergewöhnliche Bäume (schiefe, krumme, knorrige) werden immer häufiger gewünscht. Die Leute wollen in der Gestalt des Baumes ihre eigene Biografie verkörpert sehen. Das Abbild all der Brüche und Krisen ihres Lebensweges sehen sie in besonderen Bäumen manifestiert.“
Kathrin Fieseler ergänzt: „Menschen, die aus der Stadt kommen und eher urban geprägt sind, wählen gerne Bäume, die leicht zugänglich sind, nah am Wegenetz stehen, mit wenig wildem Bodenbewuchs. Andere wiederum finden ihre letzte Ruhestätte so verborgen wie möglich tief im Innern des Waldes. Sie möchten Bäume mit tiefer Beastung, dichte Büsche und Gestrüpp rund um den Baum halten sie nicht ab, sondern vermitteln vielmehr das Gefühl von abgeschiedener Geborgenheit.“ Solche Bäume finden sich eher im hinteren Teil des Waldes, der deutlich unberührter ist. Naturbelassener. Egal wo im Begräbniswald: Jeder Baum ist mit einer Nummer gekennzeichnet und kann per GPS gefunden werden.
Wunschbäume aussuchen
Vorsorglich suchen sich viele Lebende eine Grabstelle aus. Mache wählen einen bestehenden Baum, einen der Jahrzehnte, bisweilen Jahrhunderte an Ort und Stelle verwurzelt ist. Andere bevorzugen einen Jungbaum, einen schmalen Sprössling, der im Laufe der Jahre an Format gewinnen und seinen Platz im Forst einnehmen wird. Außerdem besteht die Möglichkeit, eine Jungpflanze in der Baumschule vorbereiten zu lassen und diesen ganz persönlichen Wunschbaum dann eigenhändig anzupflanzen. Grabstellen gibt es beispielsweise an Einzelbäumen oder an Gemeinschaftsbäumen, an Paar-, Familien- oder auch an Freundschaftsbäumen. Seit einiger Zeit gibt es in einen besonderen Baum extra für Sternenkinder. Hier kehren die Allerjüngsten zurück in den Schoß von Mutter Natur, schließt sich der Zirkel aus Leben und Tod viel zu früh.
Im ökologischen Gleichgewicht
Per Hand wird in Herzebrock ein Loch für die Urne geschaufelt. Baumschonend. Zirka 90 Zentimeter tief und sowie einen Meter vom Stamm entfernt wird die Urne eingelassen. Ist Wurzelwerk im Weg, weicht man aus. Motorisierte Erdbohrer kommen ganz bewusst nicht zum Einsatz. Bis zu zwölf Urnen werden sternförmig um einen Baum versenkt. Ganz wichtig: Die Urne muss biologisch abbaubar sein – das muss sogar per Zertifikat belegbar sein. Holz, Flüssigholz oder Maisstärke gehören zu den gängigen Materialien, die den ökologischen Anforderungen einer Naturbestattung entsprechen. Urne samt Asche gehen ein ins Erdreich und nähren Boden und Baum. Im ewigen Kreislauf aus Werden und Vergehen wird die Grabpflege von der Natur übernommen.
Ein schlichtes Aluminium-Schild markiert auf Wunsch die Grabstätte mit Namen, Geburts- und Sterbedaten. Weniger kann, mehr darf nicht. Tabu im Trauerwald ist Grabschmuck. Ein Verbot, das nicht immer leicht zu vermitteln und noch schwerer durchzuhalten ist, erzählt Maximilian Fürst zu Bentheim-Tecklenburg und entfernt kopfschüttelnd ein brennendes Grablicht in rotem Glas. Wir sind verantwortlich für das ökologische Gleichgewicht im Wald, für das Wohl der Tiere und natürlich für den Brandschutz!
Ewige Ruhe
Die Waldbestattung etabliert sich zunehmend als Alternative zum Begräbnis auf dem herkömmlichen Friedhof. Menschen, die der Natur besonders verbunden sind, wählen einen Begräbniswald als letzte Ruhestätte. Sie wollen über den Tod hinaus mit dem Wald verbunden und in den natürlichen Kreislauf eingebunden sein. Vielen ist ein herkömmlicher Friedhof zu steril, zu gekünstelt. Der Begräbniswald ist an keine Konfession, an keine Kirche gebunden. Die Art der Trauerfeier ist frei wählbar. Beerdigungen mit kirchlichem Beistand finden hier ebenso statt wie freie Bestattungen mit Trauerredner oder ganz private Abschiede. Manchmal obliegt es Kathrin Fieseler, das letzte Totengeleit zu gestalten. Sie verweist dann immer auch auf den Trost, den die Natur im Begräbnisforst spendet, wo Tod auf Leben trifft: Spaziergänger führen ihre Hunde aus, Jogger und Radler folgen dem Prälatenweg. Vögel brüten, Pflanzen erblühen.
Der Begräbniswald lebt – und ist dennoch ein würdiger Ort der ewigen Ruhe.