Second-Hand-Kaufhäuser haben die Nischen der Bedürftigkeit verlassen und leisten ihren Beitrag zum nachhaltigen Leben 

Text: Susanne Zimmermann | Fotos: Detlef Güthenke

Voilá, die Kaffeetafel ist gedeckt. Einmal komplett die „Wildrose“ von Villeroy & Boch, darunter das weiße Damast-Tischtuch. Das „gute Besteck“ ist auf Hochglanz poliert, und neben der bauchigen Kanne steht eine einzelne Rose in schlanker Vase. Um den Esstisch aus Kiefernholz gruppieren sich gepolsterte Stühle mit hohen Lehnen. Alles etwas „Yesterday“, aber so feinfühlig arrangiert, dass man sofort Platz nehmen möchte an diesem heimeligen Ort. Weil der Kaffee hier vermutlich so schmeckt, wie die Kanne verspricht und die Sahne zum Kuchen noch mit der Hand geschlagen worden ist. Man wird ja noch träumen dürfen.

Gebrauchtwagen-Umschlagplatz
„Ja,“ sagt Malin Frank, die Geschäftsführerin des Verler Second-Hand-Kaufhauses am Westfalenweg in Verl. „Das ist schon auch ein Treffpunkt hier.“ Wenngleich die Vision vom handgebrühten Kaffee und der Schwarzwälder-Kirschtorte nicht unmittelbar zum Geschäftsmodell gehört. Denn das Kaufhaus im ehemaligen Bauhof-Gebäude der Stadt Verl ist zuallererst eines: ein Gebrauchtwaren-Umschlagplatz. Zum anderen ist es ein Kleinkosmos der unentdeckten Schätze, der wachgeküssten Schönheiten und der zu neuem Leben erweckten Gegenstände. Wem das zu poetisch daherkommt, der sei herzlich eingeladen zum Stöbern in der Warenwelt der zweiten Chance, in der nur die Preise von gestern sind.
Die Preise waren in der Vergangenheit der entscheidende Faktor für den Einkauf aus zweiter Hand. Und sie sind es heute noch für diejenigen, die mit ihrem Budget auf Kante kalkulieren müssen, und das sind nicht wenige. Darüber hinaus hat in den vergangenen Jahren eine Entwicklung stattgefunden, die Gebrauchtes und Recyceltes aus der Bedürftigkeitsecke mitten ins Trendsetting geholt hat. Die Online-Plattformen waren hier die Türöffner, die Angebote vor Ort in bester Kaufhausatmosphäre sind ihnen gefolgt. Ihr Vorteil: ein Kreislauf der kurzen Wege, denn die Second-Hand-Kaufhäuser bieten das, was aus der Region ins Haus kommt und geben ortsnah ab. Erzeugt schonmal einen guten ökologischen Fußabdruck.
Das Netz im Kreis Gütersloh ist inzwischen nämlich ganz gut geknüpft, allein der Verein Pro Arbeit e.V. betreibt als Träger neben dem Verler Kaufhaus Standorte in Rheda-Wiedenbrück, Herzebrock-Clarholz, in Schloß Holte-Stukenbrock und Rietberg. Die Arbeitslosenselbsthilfe Gütersloh (ash gGmbH) ist mit Sozialkaufhäusern in Gütersloh, Steinhagen und Harsewinkel vor Ort. Hinzukommen bei beiden Trägern Angebote von Recycling und Reparatur – etwa für Fahrräder, Haushaltsgeräte, Möbel und vieles mehr. Manchmal entsteht daraus erstaunlich Neues – „Upcycling“ ist der Trendbegriff, „aus Alt mach Neu“ sagte die patente Tante mit der Nähmaschine früher.

Spezialisten zusammemgefunden
Die Genese der Second-Hand-Kaufhäuser im Kreis Gütersloh ist eng mit der Geschichte und den Zielen ihrer Träger verbunden. Dazu gehören Arbeitsangebote und die Gestaltung von Arbeitsplätzen für Menschen, die lange arbeitslos waren, die aus unterschiedlichen Gründen verlernt haben, einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen, die Anleitung brauchen, um ihre möglicherweise verschütteten Fähigkeiten wieder zu entdecken. „Menschen qualifizieren und stabilisieren,“ beschreibt Klaus Brandner, Vorstandsvorsitzender von Pro Arbeit die Zielsetzung. „In den Second-Hand-Kaufhäusern haben die Mitarbeitenden die Möglichkeit, Lebenswirklichkeit, sprich ein ganz normales Geschäftsleben zu erfahren – von der Warenannahme bis zum Einsatz an der Kasse.“  Als vorbereitende Maßnahmen, die Arbeitsbereiche für die Zukunft eröffnen definiert der langjährige heimische Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (bis 2009) die Arbeitsplätze im Verler Kaufhaus und  der dort angeschlossenen Werkstatt. Dort haben sich Spezialisten zusammengefunden, „zwei junge Kollegen, sehr Elektronik-affin,“ beschreibt Brandner die besonderen Talente der Männer, die in der Lage sind, auch älteren Geräten neues Leben einzureparieren. So gehören etwa HiFi-Anlagen und Plattenspieler zum Angebot –  ein Geheimtipp für Trendforscher, die im Netz nichts Adäquates gefunden haben. Vinyl gibt’s im übrigen gleich dazu im Regal nebenan.
Die Abteilung „Nostalgie“ mit ihren Schnäppchen, die auf den bekannten Flohmärkten nur noch für ganz Ausgeschlafene zu finden sind – das ist die eine Seite des Angebots im Verler Second-Hand-Kaufhaus. Das Hauptaugenmerk liegt hier – wie in den anderen Filialen – auf dem täglichen Haushaltsbedarf – von der Bekleidung, über das Kinderspielzeug, Haushaltswaren, Lampen oder Gardinen bis hin zu Möbeln aller Art.  Eine komplette Wohnung ansehnlich einzurichten ist im Netzwerk der Sozial- und Second-Hand-Kaufhäuser eine leicht lösbare Aufgabe, denn die Auswahl ist groß und bedient weit mehr als den Geschmack in „Eiche rustikal“. Menschen, die mit so gut wie Nichts hier angekommen sind, Geflüchtete zum Beispiel, finden hier eine Grundausstattung, auf der sich aufbauen lässt.
Doch die Kaufhäuser, die ihr Domizil häufig in größeren Hallen ehemaliger Firmenareale, städtischen Immobilien oder auch mal in einem ehemaligen Fitness-Studio (Rietberg) gefunden haben, stehen eben nicht nur bedürftigen Kunden und Kundinnen offen. „Wir haben eine total gemischte Kundschaft,“ berichtet  Malin Frank und kann das gleich belegen, nachdem ab 13 Uhr geöffnet ist: die Oma, die Spielzeug und Kinderkleidung für den Enkel sucht, die Kundin, die eine Original Sechziger Jahre-Stehlampe aus lauter Lamellen im Psychedelic-Stil nach Hause trägt, Mutter und Tochter, die für den Abiball „was Abendtaugliches“ suchen und gleich noch einen Blazer für jeden Tag finden.  Es herrscht lebhaftes Treiben, mittendrin hat Malin Frank Zeit für einen Small Talk, „denn auch die Anzahl der Stammkundschaft ist groß,“ sagt sie nicht ohne Stolz. Immerhin gibt es das Verler Kaufhaus erst seit gut einem Jahr und es ist nicht gerade im Stadtzentrum angesiedelt – wie viele andere im übrigen auch.
„Mundpropaganda“ ist hier offensichtlich ein wirksames Marketing-Instrument, ebenso wie die Präsentation der Waren, die sich nicht im adrett gedeckten Tisch erschöpft. Malin Frank, die seit Oktober 2023 den Verkauf leitet und die Mitarbeitenden anleitet, hat zu zuvor unter anderem im Ikea-Kundenservice, bei „Depot“ und im „Homestaging“ für Immobilienfirmen gearbeitet. Das heißt: Sie weiß, wie man Gegenstände in Szene setzt. Und sie kennt sich aus mit Kundenansprache und Kassensystemen.

Größtmögliche Flexibilität im Nutzungskreislauf
Im Second-Hand-Kaufhaus wird der Absatz in den jeweiligen Warengruppen detailliert nachgehalten. Das ist zum einen Schulung für die Mitarbeitenden, aber auch Kompass für das, was gefragt ist und Nachweis für das, was durch Verkauf letztlich an Müll vermieden wird. Die Tatsache, dass Pro Arbeit mit Rheda-Wiedenbrück und Herzebrock-Clarholz zwei Recycling-Höfe betreibt und eng mit dem Wertstoffhof der Stadt Verl kooperiert, verschafft größtmögliche Flexibilität im Nutzungskreislauf, inklusive des Angebots zur Durchführung von Haushaltsauflösungen in Herzebrock-Clarholz und Rheda-Wiedenbrück.
So breit gefächert wie das Angebot im Verler Second-Hand-Kaufhaus sind allerdings auch die Zuschreibungen, die mit Ware aus zweiter Hand verbunden werden. Aussagefähige Allgemein-Statistiken sind schwer zu finden, was an den unterschiedlichen Annahme- und Verkaufswegen ebenso liegen mag wie an den divergierenden Warengruppen. Da sind die kommerziellen Anbieter, die mit hochkarätiger Designer-Ware werben, die „Mama-Kreisel“ der Kinderkleidung und die Handy-Aufbereiter, die Bücher-Boutiquen und die Vintage-Möbel-Läden, die Tauschbörsen und die Online-Plattformen. Zunehmend erkennen Analysen allerdings einen wachsenden Wirtschaftsfaktor im Second-Hand-Handel. „Laut Prognosen“ könnte das Volumen des Second-Hand-Kleidungsmarktes bis 2025 auf fünf bis sechs Milliarden Euro anwachsen, meldete die Tagesschau Anfang September 2023. Und auch der Handelsverband Deutschland hat sich bereits intensiv mit der Frage nach dem Kauf- und Wiedernutzungsverhalten der Kunden und Kundinnen auseinandergesetzt. Im „Konsummonitor Nachhaltigkeit“ aus 2023 bilanziert er das „Marktsegment Second Hand“ als „besonders wachstumsstark“ und zieht das Fazit: Insgesamt sind die Facetten Konsumverzicht Wiederverwendung/Second Hand, Reparatur/Upcycling für mehr als die Hälfte der Bevölkerung eine genutzte Konsumoption und beeinflussen zunehmend die Konsumhaltung.“
In den Second-Hand-Kaufhäusern von Pro Arbeit und ash speist sich das Angebot aus Spenden und der Weiterverwertung von Gegenständen aus Haushaltsauflösungen. Dahinter verbergen sich nicht selten Erinnerungen, Lebensgeschichten und manchmal auch Trennungsschmerz. „Schrottware“ gibt es unter den Anlieferungen, ist aber mit Abstand der geringste Teil dessen, was in der Verler Warenannahme anlandet. Häufig sind es die gut erhaltenen Kleider, die nicht mehr passen, die Spielwaren, die das heranwachsende Kind nun links liegen lässt oder das Geschirr aus der Erbmasse, für das kein Platz im eigenen Schrank mehr ist. Und doch – auch das wissen Malin Frank und ihre Kollegen in den Second-Hand-Kaufhäusern – ist zuweilen Fingerspitzengefühl gefragt, wenn die Annahme abgelehnt werden muss: „Wir versuchen immer eine Begründung zu geben, aber wenn möglich  Tipps für eine Weiterverwertung.“
Denn zur Nachhaltigkeit gehört auch Wertschätzung – die Wiederentdeckung des Lieblingsstücks, das genutzt und gepflegt wird, bis seine Ränder abgestoßen oder seine Farben verblasst sind. Solche potenziellen Lieblingsstücke halten das Second-Hand-Kaufhaus in Verl und all die anderen im Kreis bereit. Gereinigt, ordentlich aufgearbeitet und mit einem „sozialen Preis“ versehen (eine Liste, die Abstimmung unter den Standorten und das „Bauchgefühl“ bieten Orientierung bei der Bewertung) warten sie auf ihr „zweites Leben“ und strafen die „Wegwerfgesellschaft“ Lügen. Da scheint es fast widersinnig von einem „Trend zum Second Hand“ zu sprechen, als sei auch dies nur eine Modeerscheinung, die vorübergeht. Und es wird vermutlich noch viel Zeit ins Land gehen, bis die Berge aus europäischem Kleidermüll am Rand afrikanischer Großstädte abgebaut werden, auch wenn Zalando, Otto oder H&M inzwischen ebenfalls „Second Hand“ als Verkaufs- und Werbesegment entdeckt haben.
Die Signale allerdings sind eindeutig: Second Hand mit sozialem Background ist selbstbewusst aus seiner Nische herausgetreten und zeigt, was möglich ist, um einen persönlichen Beitrag zum nachhaltigeren Leben zu leisten. Einfach mal den Selbstversuch machen, es lohnt sich nicht nur preislich.

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