Hunderttausende Handwerker fehlen in Deutschland. Doch die Branche versucht, dem entgegenzuwirken: mit Ausbildung und Studium im Paket, Ausbildungsperspektiven oder Kooperationsmodellen. Sind Handwerksberufe ein Auslaufmodell – oder sieht die Zukunft des Handwerks gar nicht so düster aus, wie so mancher prognostiziert? Wie können junge Menschen ins Handwerk geholt und Fachkräfte rekrutiert werden? faktor3-Chefredakteur Markus Corsmeyer sprach mit Alexander Kostka, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Gütersloh, über die Situation des Handwerker-Nachwuchses im Kreis Gütersloh.
Fotos: Wolfgang Sauer
Wie ist es um den Nachwuchs im Kreis Gütersloh bestellt? Wie ist die Situation?
Alexander Kostka: Wir sind optimistisch, dass wir am Ausbildungsmarkt die Corona-Pandemie gerade hinter uns lassen. Im März 2021 weist das Handwerk im Kreis Gütersloh ein Plus von 17 Prozent zu März 2020 aus. 226 Azubis haben bereits einen Vertrag für eine Ausbildung im Handwerk in der Tasche. Berufe, die im vergangenen Jahr eingebrochen sind, wie die Feinwerkmechaniker, sind wieder voll da. Die Betriebe holen verpasste Chancen auf.
Wie ist das Ansehen des Handwerks bei Jugendlichen?
Alexander Kostka: Das Ansehen bei den Jugendlichen bereitet uns keine Sorge. Die Jugend ist offen für ihre Chancen. Sie muss sie nur kennen. Es sind Eltern und Lehrer, die teilweise aus Sorge um den vermeintlich höchsten Bildungsabschluss Kinder falsch steuern, zum Beispiel ohne konkrete Perspektive ins Abitur. Das ist dann ein Umweg.
Was spricht aus Ihrer Sicht für eine Berufsausbildung im Handwerk?
Alexander Kostka: Das duale Ausbildungssystem in Deutschland, also der Mix aus Ausbildung im Betrieb und Berufsschule, spricht für sich. Diese Ausbildung ist ein beständiger Wettbewerbsvorteil, im Handwerk ebenso wie für die Industrie. Das Handwerk ist weltweit nirgendwo so entwickelt und ausdifferenziert wie hier bei uns. Egal wohin der weitere Weg noch führt, ein Handwerk bietet jungen Menschen immer einen guten Start.
Was machen Sie im Kampf um die besten Köpfe?
Alexander Kostka: Uns ist etwas Einmaliges gelungen. Das Handwerk hat sich im Jahr 2010 zu einer bundesweiten Imagekampagne versammelt. Jahr für Jahr wird unsere Kampagne von den besten Agenturen in Deutschland getrieben. Film, Print, soziale Medien – „Das Handwerk“ ist als Marke überall präsent. Unsere Betriebe können sich da leicht dranhängen und eigene Aktivitäten aufbauen.
Wie sind die Karrierechancen im Handwerk?
Alexander Kostka: Wir sind als Handwerk raus aus der „Sackgasse Facharbeiter“. Mit dem Gesellenbrief erwirbt man die Fachhochschulreife, im europäischen Qualifikationsrahmen ist die Meisterprüfung dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt. Die gesamte Studienwelt steht uns heute offen. Die Karrierechancen im Handwerk sind deshalb heute so individuell gestaltbar wie nie zuvor. Grenzen setzt man sich im Handwerk nur noch selbst.
Verbinden junge Menschen das Handwerk mit Modernität?
Alexander Kostka: Modern ja, aber nicht trendy. Berufe wie die der Kfz-Mechatronik oder die der technischen Gebäudeausstattung sind seit Jahren in den Top 10 bei der Berufswahl. Andere Berufe wie das Bäckerhandwerk setzen die Tradition bewusst dagegen, auch wenn sie hochtechnisiert sind. Beides funktioniert bei den jungen Menschen.
Gerade kleine Handwerksbetriebe haben es schwer, geeigneten Nachwuchs zu finden … Woran liegt das?
Es gibt dort keine Personalabteilung, kein Recruiting. Chef und Chefin müssen selbst ran, rein in die Schulen, Praktika anbieten, den Nachwuchs persönlich ansprechen und für sich gewinnen. Dazu braucht man eine Strategie, sonst verbrennt man Zeit und ist erfolglos. Wir bieten dazu Coachings an, aber mancher glaubt dafür keine Zeit zu haben.
Wie werden junge Leute heute auf eine Ausbildung im Handwerk aufmerksam?
Alexander Kostka: Hauptsächlich über Familie und Schule. Die geben den Ausschlag für die Berufswahl.
Ist das Handwerk immer noch eine reine Männerdomäne – oder beobachten Sie in den vergangenen Jahren auch einen erhöhten Anteil an jungen Frauen?
Was das angeht, treten wir in allen MINT-Berufen auf der Stelle. Es dauert, Vorbilder aufzubauen und das Interesse junger Frauen zu wecken, ihr Potenzial auszuschöpfen.
Welche Soft Skills sollten junge Menschen, die sich für das Handwerk als Berufsfeld entscheiden, mitbringen oder sich aneignen?
Alexander Kostka: Kundennähe eint die meisten Handwerksberufe. Man sollte kommunikativ und verbindlich sein, mit den Kollegen ebenso wie mit den Kunden.
Welche Chancen bietet eine Ausbildung im Handwerk im Vergleich zu anderen Branchen?
Alexander Kostka: Die Kundennähe bewirkt, seine Persönlichkeit zu entwickeln. Das ist unser größtes Plus.
Was können Betriebe generell aktiv tun oder noch verbessern, um junge Nachwuchskräfte zu gewinnen?
Wir sollten mit der guten, alten Tarifbindung werben, wie sie die Innungen bieten. Vieles – wie die tarifliche Altersvorsorge oder Zulagen – wird leider wenig kommuniziert. Das sind gute Faktoren für die Wahl des richtigen Ausbildungsbetriebs. Und für den Verbleib.
Ein Ausblick in die Zukunft: Die Digitalisierung ist in aller Munde, nahezu jeder Bereich ist davon betroffen. Wird es das Handwerk trotz Digitalisierung noch geben – und wie stehen dann die Chancen für Auszubildende? Was wird sich vielleicht noch ändern?
Alexander Kostka: Diese Veränderung ist positiv. Wegen der individuellen Fertigung bestehen kaum Risiken, dass die Digitalisierung Arbeitsplätze im Handwerk vernichten wird. Selbst die Robotik wird helfen, nicht ersetzen. Dort, wo die Industrie sie sogenannte „Stückzahl 1“ anstrebt, ist das handwerkliche Know-how dafür die Basis. Wer analog nicht top ist, kann nicht erfolgreich ins Digitale transformieren. Auch das ist eine Chance für die Auszubildenden des Handwerks. Das Handwerk bleibt.
Wie zukunftsfähig ist das Handwerk generell?
Alexander Kostka: Auf einer Skala von 1 bis 10 gebe ich dem Handwerk da eine 10.
Zur Person
Alexander Kostka (51) ist in Bielefeld geboren, in Köln aufgewachsen, hat Jura studiert, war dann bei der Handwerkskammer beschäftigt, bei der IHK in Münster und schließlich Geschäftsführer beim Baugewerbeverband Westfalen in Dortmund. Er ist seit 2019 Geschäftsführer der Kreishandwerkschaft Gütersloh.