Eine Massenbewegung bleibt zuhause. Zumindest dann und wann …
Text: Thorsten Wagner-Conert
Es kam mit der Corona-Pandemie, um zu bleiben: das Homeoffice. Die einen spürten in der fraglichen Krisenzeit einen gesetzlich auferlegten Zwang, der ihnen zusätzlich zum Virus belastend erschien. Die anderen entdeckten ungeahnten Komfort und Freiheiten, von denen sie vorher nicht zu träumen wagten: Es klingt banal, aber ein halbes Stündchen länger schlafen, weil man sich den Kampf durch den Berufsverkehr sparen konnte, ist ein kleines Stück Lebensqualität. Noch banaler, aber durch viele Videokonferenzen belegt ist der Vorteil, am heimischen Arbeits-Tisch gekleidet zu sein, wie man es will. Ein handfester Vorteil jedoch war und ist, dass die Sache mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zuhause arbeitend viel besser klappt. Und auch die Unternehmen und Verwaltungen haben Geschmack an der vergleichsweise neuen Arbeitsform gefunden – in unterschiedlich starker Ausprägung.
Etabliert und professionalisiert
Was aus der Not heraus spontan und improvisiert, mitunter auf kippeligen Küchenstühlen und an oftmals semigeeigneten „Schreib“-Tischen begann, hat sich mittlerweile etabliert und professionalisiert.
Doch was ist Homeoffice eigentlich? Gesetzlich definiert ist da nichts, sagt die Gewerkschaft verdi und verweist auf den älteren, definierten Begriff der Telearbeit: „Die Arbeit erfolgt an einem fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz außerhalb des Betriebes, in der Regel im Zuhause des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin – zu festen Arbeitszeiten. Die Bedingungen sind verbindlich zu vereinbaren und die gesetzlichen Vorschriften zur Telearbeit einzuhalten“, heißt es von verdi. Genauere Regelungen zur Homeoffice-Durchführung fänden sich häufig in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen. Und tatsächlich: Im Kreis Gütersloh nachgefragt, erfährt man sehr unterschiedliche Ansätze zum Homeoffice.
Sparsam zeigt sich beispielsweise COR in Rheda-Wiedenbrück: Möbelproduzent Leo Lübke billigt Mitarbeitenden 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit im Homeoffice zu – „in Abteilungen, wo das möglich ist.“ Kolleginnen und Kollegen, denen diese Regelung aus Produktionsgründen nicht möglich ist, sind darüber nicht besonders amüsiert.
Im Sinne beider Parteien
Bei Miele kommt Homeoffice und/oder Mobiles Arbeiten für deutschlandweit 6.000 Beschäftigte infrage, lässt PR-Mann Carsten Nagel wissen. Seit 1. Februar 2023 bietet das Unternehmen diesen Mitarbeitenden zwei flexible Modelle zur Wahl an: Das Mobile Arbeiten – beispielsweise unterwegs, im Zug, beim Kunden – darf monatlich bis zu 40 Prozent der regulären Arbeitszeit umfassen. Darüber hinaus können sich die Mitarbeitenden aber auch für die Option „Homeoffice“ entscheiden: Dann dürfen je nach Arbeitsaufgabe bis zu 80 Prozent der regulären monatlichen Arbeitszeit von zuhause aus gearbeitet werden. Zur Kompensation von Energie- und Kommunikationskosten zahlt Miele „eine etwas höhere monatliche Kostenpauschale“. Und das Unternehmen leistet eine Einmalzahlung für die Ausstattung des häuslichen Arbeitsplatzes. Der vermeintliche Deal ist im Sinne beider Parteien: Mitarbeitende, die die Vorzüge des Homeoffice in Anspruch nehmen, verzichten auf einen festen Büroarbeitsplatz im Unternehmen. In der Firma arbeiten sie fortan dort, wo gerade ein Platz frei ist, was Miele Gebäude und Flächen flexibler managen lässt. 5.000 der infrage kommenden 6.000 Mitarbeitenden praktizieren eines der beiden Modelle.
Kein Leistungsabfall
Auch im Gütersloher Rathaus spricht man von weiterhin rege praktizierter Mobiler Arbeit. Eine Dienstvereinbarung von 2019 besagt, dass Führungskräfte und Mitarbeitende flexibel abstimmen, was mobil mit welchem zeitlichen Umfang bearbeitet werden kann. Dienstliche Belange hätten immer den Vorrang, lässt Stadtsprecherin Annette Blumenstein wissen – und dass sich eine neue Regelung in Abstimmung mit dem Personalrat befände. Die Absicht ist eine Weiterentwicklung und Verstetigung der Vereinbarung. Die damit verbundene Hoffnung ist, sich als moderner und attraktiver Arbeitgeber positionieren können. In Vorstellungsgesprächen werde mittlerweile ganz offensiv nach den Möglichkeiten flexiblen Arbeitens gefragt, so Annette Blumenstein.
Auch bei den Stadtwerken Gütersloh spricht man vom Mobilen Arbeiten und praktiziert es mit bis zu 40 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit und einem festen Anteil von Präsenztagen in den Unternehmenssparten Stadtwerke, Netzgesellschaft und auch Stadtbus.
Der ehemalige Stadtwerke-Marketing- und PR-Mann Andreas Freund machte in seinem eigenen Team positive Erfahrungen mit der Kombination von Mobilem Arbeiten und drei fest vereinbarten Präsenztagen wöchentlich: Einen Leistungsabfall gäbe es im Team nicht – was aber wohl auch den Präsenztagen geschuldet sei, die die Qualität des Mobilen Arbeitens hochzuhalten helfen.
Die flexible Arbeitsweise verlange aus der Perspektive von Andreas Freund aber auch vier Dinge, um zu gelingen: Stabile Technik sei vergleichsweise einfach bereitzustellen. Klare Regeln müssen sein, um die Arbeitseffizienz zu sichern und um Datenwildwuchs zu vermeiden. Erwartungen stellte der Stadtwerke-Mann auch an die Disziplin der Mitarbeitenden: Auch wenn man zuhause sei, müsse den Mitarbeitenden klar sein, „dass der Fokus während der Arbeitszeit auf der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung zu liegen hat“, so Freund. Das müsse auch das private Umfeld akzeptieren und entsprechend Rücksicht nehmen. Der vierte Punkt ist aus Andreas Freunds Sicht empathische Führung. Wesentlich meint er damit Vertrauen: „Wer hört, führt das Gespräch; wer vertraut, führt das Team zum Erfolg – egal, wo es gerade arbeitet.“, meint er. Damit vertritt er eine Überzeugung, die man in großen Konzernen eher selten findet: Hier sollen oftmals Leistungsvorgaben und beispielsweise die Messung der IT-Nutzung kontrollieren helfen, ob zuhause oder unterwegs auch tatsächlich gearbeitet wird.
Klare Anforderungen an Arbeitsplatz
Für den Erfolg von Homeoffice und Mobilem Arbeiten braucht es nach Miele-Überzeugung noch etwas anderes: „Die individuelle Arbeitsaufgabe muss dafür geeignet sein“, so Carsten Nagel. Außerdem stellt Miele klare Anforderungen an den heimischen Arbeitsplatz: Der müsse ergonomisch ausgestattet sein, um Rückenschmerzen, Verspannungen und auch Arbeitsunfällen vorzubeugen. Eine Ansicht, die – wenig überraschend – auch die Gewerkschaft verdi teilt: Arbeit dürfe nicht krank machen, weshalb der Arbeits- und Gesundheitsschutz beim Arbeiten im Homeoffice ebenso wichtig sei wie im Büro.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW hat in einer Studie 1.500 Unternehmen befragt und herausgefunden: 80 Prozent der Firmen der Informationswirtschaft lassen ihre Beschäftigten mindestens einmal wöchentlich von zuhause aus arbeiten. Im stärker ortsgebundenen verarbeitenden Gewerbe kommt die Studie immerhin noch auf 45 Prozent der Betriebe, die flexible Arbeitsweisen anbieten. Mehrheitlich erwarten die Befragten, dass das Mobile Arbeiten und das Homeoffice in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnt.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern soll das recht sein: Nach Corona ist der Zwang zum Homeoffice gewichen – zugunsten der Freiheit, im Homeoffice oder mobil arbeiten zu können. Beschäftigte haben in vielen Unternehmen die Wahl und sind am Ende auch ein wenig Gewinner der Krise: Oft können sie sich, wie gehabt, zum Job bewegen – in vielen Fällen aber müssen sie es nicht. Und dann sorgen fürsorgliche Arbeitgeber und professionalisierte Regelungen dafür, dass Homeoffice und Mobiles Arbeiten qualitativ keinen Unterschied machen – nicht im Ergebnis und nicht bei den Arbeitsplatzbedingungen. Eine neue, freiheitliche Arbeitswelt etabliert sich.