Wer kennt ihn nicht, den kleinen Kiosk an der Ecke, in dem sich Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zum Termin noch eben einen Kaffee oder ein belegtes Brötchen holen können? Das bewährte Konzept zur schnellen, individuellen Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs bereichert nun auch die Gesundheitsversorgung des Kreises Gütersloh. Im „KLARA“, dem ersten Gesundheitskiosk des Kreises im kleinen Versmolder Stadtteil Loxten, gibt es zwar keine Speisen und Heißgetränke, aber dafür niederschwellige Beratung und Hilfsangebote rund um das Thema Gesundheit.
Ob ein medizinisches Anliegen, der Wunsch nach einem adäquaten Bewegungsangebot oder Tipps für eine gesündere Ernährung – Besucher der Mitte Juni eröffneten, neuen Anlaufstelle für Gesundheitsfragen erhalten auf rund 350 Quadratmetern vielfältige und tatkräftige Unterstützung rund um die Themen Gesundheitsprävention und -dienstleistung, Sport und Ernährung. Dazu zählen Kletter- und Fitnesskurse ebenso wie Koch- und Veranstaltungstipps, das Beratungsgespräch oder die Informationsveranstaltung zu einem aktuellen Gesundheitsthema. Ein breit gefächertes Angebot, von dem die Menschen in Loxten und Umgebung in zweierlei Hinsicht profitieren, sagt Gründerin Michaela Wierzbinski: „Mit dem neuen Gesundheitskiosk realisieren wir erstmals im Kreis Gütersloh die Vision eines lokal verankerten Gesundheitsmanagements. Damit unterstützen wir Bürgerinnen und Bürgern nicht nur bei gesundheitlichen Problemen oder Fragen, sondern helfen ihnen gleichzeitig dabei, ihre persönliche Gesundheitskompetenz zu verbessern.“
Dem Kreis gehen die Hausärzte und Pflegekräfte aus
Der Gesundheitssektor im Kreis Gütersloh zählt zwar zu einer der wachstumsstärksten Branchen in der Region, kämpft aber schon seit Jahren mit einer Vielzahl von Herausforderungen. Die Mehrzahl der 13 Kommunen im Kreis sieht aufgrund des gravierenden Hausärztemangels bereits die Sicherung der ärztlichen Versorgung bedroht, und auch der Personalmangel in der Pflege ist deutlich spürbar. Entwicklungen, die sich in Zukunft noch verschärfen werden, befürchtet Uwe Borchers, Leiter der Servicestelle Gesundheitswirtschaft im Kreis Gütersloh: „Bis zum Jahr 2035 werden uns bundesweit circa 11.000 Hausärzte fehlen. Auch dem Kreis Gütersloh droht dann eine erhebliche Unterversorgung. Das ist auch auf das hohe Durchschnittsalter der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte zurückzuführen. Die neue Medizinische Fakultät in Bielefeld eröffnet hier zwar langfristig eine Lösungsperspektive, aber wir müssen heute schon sehr aktiv vor Ort gegensteuern.“ Ähnlich kritisch sieht die aktuelle Situation in der Pflege aus, wo die Engpässe auch durch die Auswirkungen der Corona-Krise zunehmend größer werden. So fehlen kreisweit bereits mindestens 2.000 Pflegekräfte.
Servicestelle Gesundheit treibt Vernetzung voran
In dieser schwierigen Situation sind innovative Ideen und tatkräftige Akteure gefragt, die die einrichtungs-, sektoren- und berufsübergreifende Vernetzung in der Branche konsequent und energisch vorantreiben. Zentrale Aufgaben, die der Kreis an die Servicestelle Gesundheitswirtschaft übertragen hat. Umgesetzt durch das Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft OWL, unterstützt die Stelle Kommunen bei Maßnahmen zur Sicherung der medizinischen und pflegerischen Infrastruktur vor Ort, unter anderem durch die gezielte Förderung der vorhandenen Entwicklungspotenziale und eine bessere Vernetzung in der Gesundheitsversorgung. Auch die zumeist klein- oder mittelständisch geprägten Unternehmen und Einrichtungen der Branche werden von der Servicestelle beraten. Uwe Borchers: „Im Kreis Gütersloh sind zahlreiche leistungsstarke Anbieter der Gesundheitsversorgung angesiedelt. Damit verfügen wir über ein großes Potenzial, das wir noch stärker einsetzen und entwickeln sollten. Die dafür notwendigen Konzepte entwickeln wir in der Servicestelle im kontinuierlichen Austausch mit vielen Beteiligten.“
Vier Handlungsfelder hat die Servicestelle in enger Zusammenarbeit mit der kommunalen Politik, der Kreisverwaltung und der pro Wirtschaft GT, der Wirtschaftsförderung des Kreises, identifiziert: die Gewinnung von Fachkräften sowohl im medizinischen als auch pflegerischen Bereich, die Versorgung der Menschen mit wohnortnahen Gesundheitsangeboten vor Ort, die Kooperation der Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft sowie die verstärkte Kommunikation der Gesundheitsleistungen als Standortmarketing. In allen vier Bereichen sind umfassende Maßnahmen bereits umgesetzt, beispielsweise bei der Beratung und Begleitung der Lokalpolitik und Verwaltung zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung. Aber auch die Förderung neuer Ansätze für eine möglichst reibungs- und lückenlose Versorgung der Bevölkerung zählt zu den vorrangigen Aufgaben der Servicestelle, die in diesem Zusammenhang mit dem Gesundheitskiosk in Loxten einen weiteren wichtigen Impuls gesetzt hat.
Beispiel Loxten kann Schule machen
Tatsächlich kann die im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung avisierte Aufnahme des Gesundheitskiosks als Teil der Gesundheitsversorgung ein wertvoller Ansatz sein, um den kritischen Entwicklungen in der Gesundheitsbranche entgegenzuwirken. Als zentrale Anlaufstelle eines regional verankerten, integrierten Netzwerks mit Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung nehmen die Kioske eine wichtige Rolle in der primären Beratung und Hilfestellung für die medizinische Versorgung ein und fördern gleichzeitig mit ihren Angeboten die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger. Wie gut der Ansatz funktionieren kann, zeigen die beiden ersten Gesundheitskioske, die 2018 in den Hamburger Stadtteilen Billstedt und Horn eröffnet wurden. Im vergangenen Jahr eröffnete in Lemgo-Hörstmar der erste Gesundheitskiosk in Ostwestfalen-Lippe.
Uwe Borchers ist vom Erfolg solcher neuen Konzepte überzeugt: „Es kommt aber auch darauf an, dass Kommunalpolitik und Verwaltung die neuen Ideen fördern und die Gründer und Betreiber von zukunftsweisenden Lösungen wie den Gesundheitskiosken und anderen innovativen Versorgungseinrichtungen tatkräftig unterstützen und ihnen neue Perspektiven eröffnen. Schließlich können wir jede gute Idee gebrauchen, um das bestehende System zu entlasten und die Gesundheitsversorgung für die Menschen auch in ländlichen Regionen zukunftssicher aufzustellen.“
Bundesministerium für Gesundheit plant Aufbau von 1.000 Gesundheitskiosken
In ganz Deutschland sollen langfristig Gesundheitskioske als neue Beratungsangebote für Menschen in sozial benachteiligten Regionen entstehen. Dieses ambitionierte Vorhaben ist Ziel einer Gesetzesinitiative, die Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach am 31. August 2022 in Hamburg- Billstedt vorstellte. 1.000 Gesundheitskioske sind geplant, die entsprechenden gesetzlichen Regelungen sollen zeitnah folgen.