Fotos: Thorsten Wagner-Conert
Die aktuelle Debatte um E-Mobilität wird auf der argumentativen Holperstrecke geführt. Mal dreht sie sich um begrenzte Reichweiten, dann um ein mangelhaft ausgebautes Netz an (Schnell-)Ladesäulen, dann um den hohen Anschaffungspreis für solch ein Auto – und wieder ein anderes Mal um die Alternativlosigkeit, will man sich von den fossilen Brennstoffen verabschieden und einer umweltfreundlicheren Mobilität zuwenden. Wobei „Holperstrecke“ ein gutes Stichwort ist. Auf der wird sich das älteste, im Kreis Gütersloh zugelassene Gefährt früher bewegt haben: Ein Baker von 1903 – ein Elektro-Auto.
Der Erstkontakt zum hier beheimateten Baker Stanhope findet in einer perfekten Werkstatthalle statt, die darauf schließen lässt, dass es das Auto sehr gut hat bei seinem Schloß Holte-Stukenbrocker Besitzer.
Das Fahrzeug wirkt beim ersten Anblick wie eine Kutsche, der die Deichsel fehlt. Stilvoll steht es da, offen mit Faltverdeck und Lederpolsterung mit zwei Plätzen. Ein Auto aus einer anderen Zeit.
Gebaut wurde es von Baker Electric in Cleveland/Ohio, dem seinerzeit größten Hersteller von elektrisch angetriebenen Autos. Auch Erfinder Thomas Edison bezog sein erstes Auto von dort.
Dem Schloß Holte-Stukenbrocker Baker hat der Hersteller ungefähr 1,5 PS und einen 24 Volt-Antrieb mitgegeben, der damals für eine Reichweite von circa 50 Meilen (um die 80 Kilometer) sorgte. Das klappt heute auch noch, allerdings mit zeitgemäßeren Blockbatterien, wie sie auch Golf Carts bewegen. Ungefähr zehn bis zwölf Meilen bringt der Baker in der Stunde (nicht ganz 20 km/h). Mit etwas Glück, vollgeladenen Batterien und bergab kommen auch schon mal gut 30 Stundenkilometer zustande – dann ist aber auch wirklich Schluss.
Der Oldtimer-Enthusiast lernte sein späteres Baker-Exemplar beim „London-Brighton-Run“ im Jahr 2000 kennen. Seit 1896 gibt es diese Wettfahrt, nach Veranstalterangaben ist es die älteste Motorsportveranstaltung der Welt. Sie entstand, nachdem der „Red Flag Act“ aufgehoben worden war. Die Regel, auch als „Locomotive Act“ bekannt, schrieb vor, dass motorisierten Fahrzeugen immer ein Fußgänger mit roter Flagge vorauszugehen hätte.
Mit dem damaligen Baker-Eigentümer tauschte der Deutsche dort Adressen aus, „so, wie das unter Besitzern ganz alter Autos durchaus üblich ist“. Das Interesse war wohl längst geweckt, schließlich war der Schloß Holte-Stukenbrocker zwischen alten Autos aufgewachsen – und selbst damals mit einem Benzinwagen von 1899 unterwegs.
Einige Zeit später rief der englische Baker-Mann in Deutschland an, schilderte, dass er wohl langsam zu alt für sein Hobby sei und bot das Auto an. Man wurde sich einig, und es dauerte nicht lange, da reiste der Baker im geschlossenen Anhänger aufs Festland nach Ostwestfalen-Lippe.
Wie ist ein engagierter Oldtimer-Sammler motiviert? Geht es um das Haben wollen, die Leidenschaft für ein bestimmtes Modell oder um die Komplettierung einer Sammlung? „Je älter, desto besser“, äußert sich der neue Baker-Besitzer. Das Oldtimer-Hobby sei schwierig zu beschreiben: „Es gibt ja schönere und praktischere neue Autos – und doch zieht’s einen immer wieder zu den alten Autos hin.“
Und der Baker sei halt ein praktisches Auto als Elektroauto. „Man steckt den Stecker rein, legt den Hebel um, kann losfahren. Benziner aus der Zeit sind wesentlich komplizierter in Betrieb zu nehmen. Da vergeht schnell eine halbe Stunde, bevor man überhaupt auf der Straße ist.“
Das E-Auto aus einer anderen Zeit und die E-Auto-Diskussion heute sind entfernte Verwandte, folgt man den Schilderungen des Baker-Fans: „Das E-Auto damals hatte natürlich auch ein paar Nachteile – vielleicht ähnlich wie heute. Das war ein typisches Stadtauto wegen der Reichweite. In der Stadt war halt damals schon Elektrizität vorhanden zu der Zeit. Und: E-Autos damals waren unheimlich teure Autos. Aber sie waren praktisch – also wie heute.“ Der Mann sieht nicht so sehr die Entscheidung gegen den Verbrenner und für das Elektroauto, er nimmt an: „Auch heute wird sich am Ende das passende Auto für die passende Situation durchsetzen.“

Die Eigentümerfamilie liebt den Baker, tourt manchmal am Wochenende – so, wie andere mit dem Fahrrad – damit in den Nachbarort zur Eisdiele. Und dann und wann geht’s auch auf eine Oldtimer-Veranstaltung. Da trifft man Gleichgesinnte mit Benzin im Blut (oder eben unter Strom) und hat sofort das gemeinsame Thema.
Nach 25 Jahren darf es in diesem Jahr aber auch mal wieder ein weiter entferntes Ziel sein: „Bonhams London to Brighton Veteran Car Run“ (so heißt der Event ganz offiziell) am ersten Sonntag im November wartet. Engländer holen dann ihre ganz alten Autos von vor 1905 aus dem Stall. Damit starten sie morgens bei Sonnenaufgang in London, um bei Sonnenuntergang in Brighton nach 90 Meilen (das sind gut 140 Kilometer) im Ziel anzukommen. Für Autos, die um die zehn bis zwölf Meilen in der Stunde leisten können, ist das beachtlich. Und für Teilnehmende wie auch für die Zuschauer ist es ein Fest: Viele Engländer werfen sich dann stilecht in viktorianische oder edwardianische Schale. Nicht so unser reisender Oldtimer-Fan aus Schloß Holte-Stukenbrock: Schiebermütze und Lederjacke gingen ja schon mal ok, „aber in London wird es der Thermoanzug sein. Die Engländer sind hart im Nehmen, aber ein Deutscher hält etwas anderes um die Jahreszeit im offenen Auto ja nicht aus.“
London sei nun mal näher als das Baker-Herkunftsland, die USA. „Es gibt solche Zeitgenossen, die machen auch Weltumrundungen mit ihrem Auto. Vielleicht nehme ich mir das mit 65plus auch mal vor“, sagt der Oldtimer-Mann und freut sich auf seine Zukunft mit der automobilen Vergangenheit.