Theater als Erfahrungsraum für Teambildung und strategische Employer Branding-Maßnahme
Text: Tatjana Wanner . Fotos: Theaterförderverein
Kulturelle Teilhabe für alle – das ist nicht nur ein Leitsatz, sondern gelebte Praxis beim Theaterförderverein „Theater in Gütersloh e. V.“. Wie diese Idee konkret Gestalt annimmt und was ein Ganztages-Workshop auf der Studiobühne kombiniert mit einem Theaterbesuch mit Teambuilding, Persönlichkeitsentwicklung und Employer Branding zu tun hat, darüber spreche ich mit der Vorsitzenden Sandra Causemann, und dem Vorstand Martin Spilker vom Verein Theater in Gütersloh e. V.
Frau Causemann, Herr Spilker, Sie sagen: Kulturelle Teilhabe für alle. Wie setzen Sie diesen Anspruch als Theaterförderverein um?
Martin Spilker: Ein zentrales Ziel des Vereins ist es, möglichst vielen Menschen den Zugang zu kulturellen Erlebnissen zu ermöglichen – unabhängig von Herkunft und Alter, Einkommen oder Bildungshintergrund. Seit Jahren unterstützen wir deshalb unter anderem Grundschulen aus dem gesamten Kreis Gütersloh dabei, Theaterbesuche zu realisieren, indem wir Fahrtkostenzuschüsse für den Bustransfer übernehmen. So soll ermöglicht werden, dass jedes Kind mindestens einmal in seiner Grundschulzeit ein Theaterstück erleben kann.
Aktuell richten Sie den Fokus verstärkt auf junge Erwachsene?
Sandra Causemann: Wir wollten unsere Förderangebote weiterentwickeln und haben dabei die Zielgruppe der Auszubildenden in den Blick genommen. Angeregt wurden wir durch ein Projekt der Firma Johannes Lübbering aus Herzebrock, bei dem Azubis nach einem Besuch im Künstleratelier „DaunTown“ in Borgholzhausen eigene Kunstwerke gestalteten, die schließlich auch im Unternehmen ausgestellt wurden. Das Projekt ist schon mehr als 10 Jahre her, dennoch für mich unvergessen. Warum also nicht auch Auszubildende ins
Theater holen – nicht nur als Publikum, sondern auch aktiv auf die Bühne?
„Andere Firmen schicken ihre Azubis in die Wildnis – wir schicken sie ins Theater. Dort lernen sie, über den Tellerrand zu schauen, gemeinsam Rollen zu definieren und selbst entwickelte Szenen aufzuführen. Der Workshop bringt junge Menschen aus verschiedenen Ausbildungsjahren und Abteilungen zusammen – und der gemeinsame Theaterbesuch zum Abschluss schafft Raum für Austausch und neue Eindrücke.“
Fritz Husemann, geschäftsführender Gesellschafter, Fritz Husemann GmbH & Co. KG
Theater und Wirtschaft – das klingt zunächst nach einem ungewöhnlichen Duo.
Martin Spilker: Mag sein. Sieht man jedoch genauer hin, haben beide mehr miteinander zu tun, als man denkt. Theater ist Teamarbeit, Kommunikation, Vertrauen, präzises Timing. Das kennt man aus Projekten in Unternehmen unabhängig von ihren Größen oder in der Verwaltung genauso. Und: Theater fördert Kreativität – gerade, wenn man, wie in unserem Workshop, so ein neuartiges Umfeld erlebt und so aus dem Alltagstrott ausbricht. In Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit und angesichts allgemeiner Rückzugstendenzen brauchen wir solche Erfahrungsräume mehr denn je.
Welche Idee steckt hinter dem neuen Projekt? Wie wurde es umgesetzt?
Sandra Causemann: Die Grundidee war, das Theater als Erfahrungsraum zu nutzen – als Ort, an dem man sich mit Themen wie Ausgrenzung oder Gleichbehandlung auseinandersetzen kann. Theater ist dafür ideal, weil es den Perspektivwechsel ermöglicht. Und gleichzeitig wollten wir auch Zugang zum Theater an sich ermöglichen, indem wir gezeigt haben, dass es ein offener, vielfältiger und lebensnaher Ort ist.

Martin Spilker: Begleitet wurde das Projekt von Karin Sporer, der stellvertretenden Künstlerischen Leiterin des Theater Gütersloh, und der Theaterpädagogin des Hauses, Anna Lena Friedrichs. Sie empfahlen uns den externen Theaterpädagogen Predrag Kalaba, der daraufhin ein Workshop-Format entwickelte, das sich speziell an Azubi-Gruppen richtet. Die Firma Husemann aus Gütersloh war unser Pilotpartner. Diese Offenheit für das neue Format haben wir sehr geschätzt. Als nächstes galt es dann, alle Auszubildende aus den unterschiedlichen Ausbildungsjahrgängen und Abteilungen für einen Tag zusammenzubringen. zusammenzubringen. Es hat geklappt: 21 Azubis haben an dem Projekt teilgenommen.

Was genau passierte an dem Workshop-Tag?
Sandra Causemann: Der Tag bestand aus drei Blöcken: Zuerst gab es mit dem früheren technischen Leiter, Bernhard Brinkert, eine exklusive Führung durchs Theater – mit Fokus auf Technik, Licht und Bühnenbau. Dabei ging es im wahrsten Sinne des Wortes „hinter die Kulissen“ bis hoch in den 18 Meter über der Bühne befindlichen Schnürboden. Die moderne Technik beeindruckte viele. Auch zu erfahren, wie komplex die Abläufe bei einer Vorstellung sind, erinnerte die Auszubildenden an hauseigene Projekte, bei denen die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gewerke besonders wichtig ist.
Es folgte ein theaterpädagogischer Workshop unter dem Titel „Welche Rolle spiele ich hier eigentlich?“ – inspiriert durch die Annahme des Soziologen Erving Goffman, dass alle Menschen grundsätzlich lernen müssen, sich je nach Situation und Aufgabe in einer anderen Rolle wiederzufinden – sei es als Arbeitnehmer bzw. Kollege oder als Privatperson – und damit umzugehen.1 Nach dieser Selbstreflexion auf der Studiobühne, mit Bewegungsübungen, Kooperationsspielen und Improvisationen, ging es in die eigenständige dramaturgische Arbeit. Und im dritten Block – möglichst zeitnah gewählt – besuchten die Teilnehmenden gemeinsam eine Theatervorstellung. Bei unserem ersten Durchlauf war das eine Empfehlung aus dem künstlerischen Leitungsteam: die Science-Fiction-Komödie „Planet B“, aufgeführt vom Maxim Gorki-Theater (Berlin).
Was nehmen die Teilnehmenden aus so einem Tag mit?
Martin Spilker: Die Jugendlichen erlebten sich selbst – in der Gruppe, in Bewegung, im Spiel. Denn die Erfahrungen im Workshop sind nicht nur wichtig für das Team-Building, sondern auch Teil der Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen. Im Zentrum stand ein kreativer Prozess, bei dem sie in Dreiergruppen Szenen zum Thema Ausgrenzung und Gleichbehandlung erarbeitet und aufgeführt haben. Die Rollenverteilung – Täter, Opfer, Vermittler – war offen, und die Geschichten, die entstanden, waren wirklich stark. Da ging es zum Beispiel um Konflikte im Fitnessstudio oder um Ausgrenzung in einer Bettel-Szene. Viele waren überrascht von sich selbst – und stolz. Dabei wurde auch viel gelacht und ausprobiert. Ich fand es sehr beeindruckend, was die jungen Leute da auf die Beine gestellt bzw. auf die Bühne gebracht haben. Chapeau!

Wie sind die Rückmeldungen zum Pilotprojekt? Wer profitiert auf welche Weise?
Sandra Causemann: Die Rückmeldungen waren durchweg sehr positiv. Die Personalentwicklerin bei Husemann, Jasmin Singendonk, betonte, so ein Tag trage viel zur Persönlichkeitsentwicklung bei. Es stärke die Bindung ans Unternehmen und schärfe das soziale Miteinander – unabhängig davon, ob sie eine kaufmännische oder gewerbliche Ausbildung machen. Aus meiner Sicht, gewinnt ein Unternehmen dadurch an Attraktivität als Arbeitgebermarke. Theater wirkt sowohl im Eigenversuch als auch beim Vorstellungsbesuch nachhaltig. Die jungen Menschen nehmen etwas mit, das weit über diesen Tag hinausreicht: Selbstvertrauen, Offenheit, Zusammenhalt. Und sie erinnern sich daran, dass ihr Arbeitgeber ihnen diese Erfahrungen ermöglicht hat. Das stärkt das Image, intern wie extern. Und es zeigt: Kultur ist kein Nice-to-have sondern Teil einer zukunftsfähigen Unternehmensstrategie.
Ist das Projekt auf andere Unternehmen übertragbar?
Martin Spilker: Absolut. Uns ist es besonders wichtig, eine niederschwellige, erschwingliche und attraktive Fortbildung anzubieten, die sich an alle Firmen im Kreis Gütersloh – gerade aber auch an kleinere und mittelständische – richtet und für Gruppen von zehn bis maximal 25 Personen umgesetzt werden kann. Firma Husemann hat bereits signalisiert, dass sie in zwei Jahren mit einer neuen Azubi-Kohorte wieder teilnehmen werden. Und wir freuen uns auf weitere Partner. Sie können sich bei uns per E-Mail melden: dialog@theater-guetersloh.de.