Fotos: Detlef Güthenke
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung gewinnt der ländliche Raum für viele Menschen wieder
an Attraktivität. Woran das liegt und ob sich der Trend auch im Kreis Gütersloh durchsetzt, hat faktor3
Hannah Amsbeck gefragt, Soziologin und Mitarbeiterin im Zentrum für Datenmanagement.
Frau Amsbeck, viele Menschen in Nordrhein-Westfalen zieht es offenbar wieder raus aufs Land. Was sind die Hauptgründe für diese Entwicklung?
Nach den Urbanisierungstendenzen zu Anfang dieses Jahrtausends beobachten wir tatsächlich in den zurückliegenden Jahren ein Comeback des ländlichen Raums. Diese Wanderungsbewegungen von den Städten auf das Land hat unterschiedliche Gründe, die von Region zu Region und Kommune zu Kommune variieren können. Dennoch konnten wir zwei zentrale Treiber identifizieren: Zum einen sind die Wohn- und Energiekosten in den Städten und Ballungszentren so gestiegen, dass es für viele Menschen interessant und oft auch notwendig ist, über ihren Wohnstandort nachzudenken bzw. diesen zu verlegen. Gleichzeitig eröffnet die im Zuge der Corona-Pandemie entstandene Möglichkeit der Home-Office-Arbeit vielen Menschen die Option, ortsunabhängig zu arbeiten. Beide Motive, oft auch in Kombination miteinander, sind die treibenden Kräfte hinter dieser Entwicklung.
Welche Regionen in Nordrhein-Westfalen profitieren am meisten von dieser Entwicklung?
Die Analyse der Wanderungsdaten für den Zeitraum 2020 bis 2021 zeigt, dass aktuell die sehr ländlichen und vor allem eher ländlichen Kreise und Gemeinden Wanderungsgewinne aufweisen. Der dahinter liegende Trend zur räumlichen Dezentralisierung, der sich bereits vor der Pandemie abzeichnete, hat sich weiter verstärkt und reicht mittlerweile vielerorts über die Ränder der Stadtregionen hinaus. Damit Menschen ihren Wohn- und Lebensmittelpunkt allerdings in ländliche Regionen verlegen, müssen vor Ort bestimmte Rahmenbedingungen vorliegen, angefangen von Kindergärten und Schulen bis hin zu Nahverkehrsangeboten und digitaler Infrastruktur.
Wie fällt die Wanderungsbilanz für den Kreis Gütersloh aus, der als „eher ländlich“ eingestuft ist?
Auch der Kreis Gütersloh profitiert von den Wanderungsbewegungen aufs Land, wenn auch geringfügiger als das Bundesland Nordrhein-Westfalen. So liegt der Wanderungssaldo im Jahr 2023 im Kreis bei +7,1, während er im Bundesland NRW +8,3 beträgt. Anders sieht es dagegen bei der Bevölkerungsentwicklung seit 2011 aus: hier fließen auch die sogenannten natürlichen Salden, also Geburten und Sterbefälle in den Kommunen mit ein, da wächst der Kreis Gütersloh mit +6,3 deutlich stärker als viele andere Städte und Kommunen in NRW. So liegt der Landesdurchschnitt lediglich bei +3,7. Im Klartext: Auch im Kreis Gütersloh verzeichnen wir mehr Todesfälle als Geburten, aber bei weitem nicht in dem Maße wie an vielen anderen Orten in Nordrhein-Westfalen.
Gibt es Kommunen im Kreis, die besonders von der Zuwanderung profitieren?
Tatsächlich liegen Halle in Westfalen und Borgholzhausen in dieser Statistik mit +11,0 bzw. +10,4 weit vorne. Offenbar werden diese Kommunen von vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen als wohn- und lebenswerte Umgebung wahrgenommen. Dagegen liegen prosperierenden Kommunen wie beispielsweise Verl und Gütersloh Stadt mit +4,9 und +5,3 weit zurück, das heißt hier wandern zwar nach wie vor mehr Menschen zu als ab, aber im Vergleich zu anderen Kommunen im Kreis sind es weniger. Die Gründe für diese Entwicklung sind nur schwer zu benennen, da uns weiterführende Informationen zu den Wanderungsmotiven im Kreis Gütersloh fehlen.
Welche Motive neben den bereits Genannten könnten noch eine Rolle spielen?
Die Entscheidung, wo sich jemand niederlässt, kann eine Vielzahl von Gründen haben. Neben Kostengründen und beruflichen Motiven geht es auch um Themen wie Infrastruktur, Digitalisierung und Mobilitätsangebote auf dem Land. Aber auch so genannte „weiche“ Faktoren spielen oft eine große Rolle. So haben wir festgestellt, dass Menschen, die in jungen Jahren die Kommune verlassen haben, nach ihrer Ausbildung, dem Studium oder ersten beruflichen Stationen häufig wieder in ihre Heimatregion zurückkehren, in den Kreis von Familie, Freunden und Bekannten. Dass die Zahl der Rückkehrer allerdings so hoch ist, gehörte zu einem der überraschendsten Ergebnisse unserer Studie.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Zuwanderung ausländischer Mitbürger?
Tatsächlich eine ganz Entscheidende. Schon seit Jahren sterben in Deutschland mehr Menschen, als geboren werden. Ohne die Zuwanderung aus dem Ausland, die 2022 einen neuen Höhepunkt erlebt hat, wäre die Bevölkerungsentwicklung hierzulande schon seit langem rückläufig. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Kreis Gütersloh wider. Bis auf Harsewinkel, die einen geringfügig positiven natürlichen Saldo haben, sind in allen Kommunen die Sterberaten höher als die Geburtenraten. Dass wir im Kreis dennoch ein Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen haben, verdanken wir vor allem der Zuwanderung.
Die Studie ist bereits vor zwei Jahren erschienen. Was ist in der Zwischenzeit passiert?
Nach der Veröffentlichung 2023 haben wir gleich das nächste Projekt in Angriff genommen und eine Bevölkerungsvorausberechnung erstellt, die im April 2024 erschienen ist. Unabhängig davon würden wir gerne die Arbeit an der Wanderungsstudie fortführen. Dafür bräuchten wir allerdings aktuelle Daten aus dem dafür zuständigen Forschungsdatenzentrum in Rheinland-Pfalz. Allein können wir ein solches Projekt nicht stemmen. Insofern sind wir hier auf externe Unterstützung angewiesen.
Wie sieht denn Ihre persönliche Einschätzung aus: Wird sich die Wanderungsbewegung von der Stadt aufs Land in den nächsten Jahren fortsetzen?
Dass ist tatsächlich nur schwer einzuschätzen, da Wanderungsbewegungen in der Regel wellenförmig erfolgen und ohne eine fundierte Datenbasis kaum prognostiziert werden können. Allerdings sehe ich aktuell keine Indikatoren, die darauf hinweisen, dass sich dieser Trend grundlegend ändern bzw. umkehren würde. Die Kosten in den Städten und Ballungszentren steigen, und auch wenn das Thema Home-Office aktuell immer wieder diskutiert wird, bietet es nach wie vor vielen Menschen die Chance, mobil von zuhause aus ihrem Beruf nachzugehen. Daher glaube ich nicht, dass sich die Situation kurzfristig ändern wird.