Als einzige Kommune in Deutschland betreibt die Stadt Borgholzhausen ein Linien-E-Carsharing (LEC).
Ab 1. Juli wird das Angebot auf die Nachbarkommune Halle in Westfalen erweitert. Der Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Graue Regenwolken türmen sich am Horizont auf, und die ersten Tropfen prasseln bereits nieder. Auch für morgen früh sagt die Wetter App Regen voraus. Wo andere die Regenmontur aus dem Schrank holen, um am nächsten Tag halbwegs trocken zur Arbeit zu kommen, zückt Anke Braun ihr Handy und öffnet die OWLmobil App. Nur wenige Minuten später ist das Fahrzeug gebucht, das sie morgen früh nach einem fünfminütigen Fußweg trocken und bequem zu ihrem Arbeitsplatz im Stadtkern von Borgholzhausen bringen wird.

Auch die Bürgerinnen und Bürger von Westbarthausen profitieren vom Linien-E-Carsharing der Kommune.

Seit April 2022 bietet die Stadt Borgholzhausen ihren Bürgerinnen und Bürgern das sogenannte Linien-E-Carsharing an, ein Service, bei dem Nutzer mit einem gültigen Nahverkehrsticket auf den definierten Linien des LEC-Liniennetzes für die Dauer von jeweils 30 Minuten kostenfrei ein Fahrzeug nutzen können. Anke Braun ist begeistert von dem Modell. „Gerade auf dem Land, wo zahlreiche Ortschaften von Bussen und Bahnen nicht beziehungsweise nur selten angefahren werden, ist das Angebot Gold wert. Vor allem im Herbst und Winter, wenn das Wetter nicht mitspielt, nutze ich das Linien-E-Carsharing regelmäßig.“ Dagegen ist die 56-Jährige im Frühjahr und Sommer viel mit ihrem E-Bike unterwegs. „Aber wofür ich mich auch entscheide, unter dem Strich sparen wir mit dem Linien-E-Carsharing viel Geld. Wir überlegen daher auch, ob wir unseren Zweitwagen nicht einfach abschaffen. Der steht sowieso nur noch im eigenen Carport.“ Sohn Phillip, der in Bielefeld studiert, nutzt dagegen eher die klassische Carsharing-Variante, um die das Angebot 2023 erweitert wurde. „Wenn Vorlesungen sehr früh angesetzt sind oder mal wieder Züge nicht fahren, buche ich mir auch ein Fahrzeug. Das ist einfach und unkompliziert, auch wenn es bei der Verfügbarkeit hin und wieder Engpässe gibt.“

Linien-E-Carsharing erweitert Nahverkehrsangebot
Anke und Phillip Braun zählen zu den rund cirka 300 Menschen, die mehr oder weniger regelmäßig das Carsharing-Angebot der Stadt nutzen. Mehr als 450 Buchungen werden mittlerweile monatlich getätigt, und die Anzahl der Kilometer, die die Nutzer mit den umweltfreundlichen Elektro-Fahrzeugen der Flotte zurücklegen, hat sich seit dem Projektstart 2022 mit inzwischen rund 55.000 Kilometer nahezu verdreifacht. Eine Erfolgsgeschichte, die allerdings mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, erinnert sich Ralf Vieweg, Leiter des Fachbereichs 2 Bürgerdienste und einer der Gründungsväter des Projekts: „Gerade am Anfang war es schwierig, auch weil wir unterschätzt haben, wie erklärungsbedürftig das Produkt ist. Aber zum Glück haben uns die politischen Entscheider trotz fehlender Erfahrungswerte von Anfang an die Zeit und Unterstützung gewährt, die notwendig sind, um so ein Projekt kontinuierlich weiterzuentwickeln. Diese Geduld wirkt sich heute aus.“
Dabei ist die Idee ebenso einfach wie einleuchtend. Schließlich verkehren auch im ländlichen Raum Busse und Bahnen auf so genannten Linien. Allerdings „stranden“ Fahrgäste, die entlegenere Adressen oder Orte erreichen wollen, aufgrund der häufig unzureichenden Gebietsabdeckung und niedrigen Taktung auf dem Land häufig an der letzten Haltestelle. Warum also diese Linien nicht durch Carsharing-Angebote erweitern beziehungsweise verlängern, dachte sich Ralf Vieweg, und entwickelte auf Basis dieser Idee ein innovatives Nahverkehrskonzept. Schon 2021, nur knapp ein Jahr nach dem Start der ersten Projektgespräche, wurde das Linien-E-Carsharing-Konzept als eines von 15 Projekten in das Förderprogramms Mobil. NRW aufgenommen– und dies „als einziges Nicht-On-Demand-Projekt“, wie sich Ralf Vieweg schmunzelnd erinnert.

Seit 2023 auch klassisches Carsharing im Angebot
Mit der Eröffnung der Mobilitätsstation in Borgholzhausen-Bahnhof erfolgte im April 2022 dann der Projektstart. Zunächst auf drei Linien konnten Nahverkehrskunden eines von insgesamt sechs Fahrzeugen für eine Linienverbindung buchen. „Die Erweiterung dieses Angebots um das klassische Carsharing, bei dem die Fahrzeuge für ein Entgelt von 45 Cent pro Kilometer für eine definierten Zeitraum von bis zu drei Tagen zur Verfügung gestellt werden, haben wir erst auf Anregung unserer Kunden vorgenommen. Im Nachhinein betrachtet war dies sicherlich einer der zentralen Schritte in der Projektentwicklung, denn allein über das Linien-E-Carsharing hätten wir das Angebot nicht so zügig vorantreiben können“, erläutert Peter Thoelen. Der ehemalige Manager ist seit 2019 im Team und kümmert sich im Auftrag der Stadt um Werbung/Marketing, die Kommunikation und insbesondere um die Fragen der Nutzenden in den regelmäßigen Sprechstunden. Die Organisation, Bereitstellung und Betreuung der Fahrzeuge sowie der gesamte operative Betrieb liegen dagegen in den Händen der Westenergie, die die Ausschreibung 2021 für sich entscheiden konnte.
Heute sind zwölf Haltestellen und zehn E-Fahrzeuge in das Netzwerk integriert, über das sowohl Linien-E-Carsharing- als auch klassische Carsharing-Leistungen angeboten werden. Seit dem Beitritt des Energieversorgers Mainova in das Partnernetzwerk Ende 2023, laufen beide Angebote über eine einheitliche Buchungsplattform, was das Handling von Buchungen sowohl für die Betreiber als auch die Kunden deutlich leichter macht. Peter Thoelen: „Diese Umstellung und die Tatsache, dass die vier Transporter der Fahrzeugflotte seit der Erweiterung unseres Portfolios um klassische Carsharing-Leistungen deutlich stärker nachgefragt werden, haben dazu beigetragen, dass die Buchungszahlen in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen sind. Offenbar haben wir hier die richtigen Weichen gestellt.“

Mehr Nutzer schaffen neue Möglichkeiten
Eine Entwicklung, die auch Dirk Sittig freut. Der 59-jährige Familienvater aus Westbarthausen ist ein überzeugter Verfechter der Linien-E-Carsharing-Idee. „Hier draußen auf dem Land macht das Modell absolut Sinn. Meine Frau nutzt das Angebot täglich, um zu ihrer Arbeitsstelle zu kommen, und auch ich ordere ab und zu ein Fahrzeug, wenn es mal zu Engpässen kommt.“ Ihr zweites Fahrzeug haben die Sittigs inzwischen verkauft, ein Schritt, den sie bis heute nicht bereut haben. „Für die 39 Euro, die wir im Monat für das Klimaticket ausgeben, können wir jederzeit – und wann immer wir es benötigen – auf ein Fahrzeug zugreifen und sparen uns die Kosten für Energie, Reparaturen, etc. Viel besser geht es nicht, zumal das Handling inzwischen auch kinderleicht ist.“ Eine Begeisterung, die seiner Meinung nach noch zu wenig Leute teilen. „Wenn ich mich tagsüber in der Straße umschaue, sehe ich noch jede Menge geparkte Autos, die am Tag kaum bewegt werden. Offenbar glauben immer noch viele, dass sie unbedingt ein eigenes Auto benötigen. Hier würde ich mir ein Umdenken wünschen.
Je mehr Menschen das Carsharing-Angebot nutzen, umso größer werden auch die Spielräume, um das System zu erweitern. Diese Chance sollten wir nutzen.“

Interkommunales Projekt startet am 1. Juli 2025
Eine Hoffnung, die mit der geplanten Erweiterung des Linien-E-Carsharings um die Nachbarkommune Halle in Westfalen ab dem 1. Juli 2025 neuen Auftrieb erhält. „Wir erwarten uns von dieser Maßnahme eine Steigerung um rund 50 Prozent, das heiß auf mehr als 700 Buchungen im Monat“, setzt Peter Thoelen neue Ziele. 65 Prozent der Kosten und damit 176.430 Euro werden für die nächsten zwei Jahre über das EU-Förderprogramm LEADER finanziert, welches Finanzmittel speziell für die Förderung nachhaltiger und regionaler Projekte im ländlichen Raum bereitstellt. Die restlichen Kosten in Höhe von rund 95.000 Euro übernehmen die Projektpartner Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe (VVOWL) und die beiden Kommunen Borgholzhausen und Halle. Stellvertretend für die Akteure wickelt der Kreis Gütersloh als Projektträger das Förderprojekt ab. Ein Engagement, dass Kim Nadine Rother, Mobilitätsmanagerin des Kreises, ausdrücklich begrüßt: „Natürlich unterstützen wir das Projekt in Borgholzhausen und Halle, schließlich bietet das interkommunale Carsharing-Angebot eine sinnvolle und nachhaltige Alternative für die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen. So wird das Wohnen im ländlichen Raum wieder attraktiver und der Verzicht auf den Zweit- oder Drittwagens fällt deutlich leichter.“

Vor drei Jahren wurde die Mobilitätsstation in Borgholzhausen-Bahnhof eröffnet.

Technischer Fortschritt eröffnet neue Möglichkeiten für Linien-E-Carsharing
Wie es 2027 dann mit dem Linien-E-Carsharing in Borgholzhausen weitergeht, ist noch offen. „Das hängt maßgeblich davon ab, wie sich das Projekt wirtschaftlich und strukturell weiterentwickelt. Schließlich steht es auch anderen Kommunen des Kreises frei, sich der Idee anzuschließen. Allerdings funktioniert das Konzept aus unserer Sicht tatsächlich eher im ländlichen Raum, und davon haben wir hier in der Region ja genug “, erläutern Peter Thoelen und Ralf Vieweg, die vom Erfolg des Konzepts, das noch einiges Potenzial bietet, überzeugt sind: „Die einzigen Personalkosten verursachen bislang die Fahrer, die die auf der Linie eingesetzten Fahrzeuge so rangieren, wie unsere Kunden es benötigen. Wenn wir diesen Kostenfaktor beispielsweise durch den Einsatz von autonom fahrenden E-Fahrzeugen weiter minimieren können, wird Linien-E-Carsharing zum Erfolgsmodell für die ländlichen Regionen. Bis es so weit ist, wird es sicher noch eine Weile dauern, aber ich bin sicher, dass wir hier auf einem sehr guten Weg sind.“

Und so funktionierts

  1. Registrieren
    Über https://www.hop-on.de/landingpages/westenergieecarsharing die persönlichen Daten eingeben, anmelden und Nutzerkonto per E-Mail bestätigen.
  2. App downloaden
    Über Google Play oder den Apple App Store die OWLmobil App und die Hop-on App auf das Smartphone laden.
  3. Verbindung auswählen
    Über die Fahrplanauskunft der OWLmobil App den gewünschten Start- und Zielpunkt sowie die geplante Fahrzeit wählen. Anschließend über „Alternative Mobilität“ auf die angezeigte Verbindung tippen und dann den Button „Buchen“ bestätigen.
  4. Buchen
    Nach der Bestätigung werden Nutzer auf die Buchungsplattform geleitet, wo sie sich für die Fahrt anmelden können. Ist das Fahrzeug in dem gewünschten Zeitraum verfügbar, erhalten Fahrgäste nach der erfolgten Buchung eine Bestätigungsmail mit dem Fahrzeug-Standort. Kann die Fahrt nicht angetreten werden, ist ein Stornierung im Kundenportal der Hop-on App problemlos möglich.
  5. Fahrschein-Upload
    Im Anschluss an die Buchung erhalten Fahrgäste eine Bestätigungsmail samt Link, der direkt zum Fahrscheinupload führt. Besitzer eines gültigen ÖPNV-Tickets können dieses hochladen und so kostenlos das Angebot nutzen.
  6. Nutzung
    Das Elektrofahrzeug kann am Standort mit dem Smartphone via Hop-on App geöffnet werden. Gegebenenfalls das Ladekabel abziehen, in den Kofferraum legen und losfahren.