Fotos: Detlef Güthenke

Was macht ein gutes Gedicht aus? – „Dass ein Gefühl ankommt, eine Berührung, auch wenn man vielleicht gar nicht genau benennen kann, was es ist.“ Selbstbeschreibung zum Thema Poesie von einer, die darüber aus eigener Erfahrung reflektieren kann: Eline Menke aus Rheda-Wiedenbrück hat inzwischen erfolgreich zwei Gedichtbände veröffentlicht und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Bekannt war die 68-Jährige bis zum Eintritt in den Ruhestand vor einigen Jahren eher mit Texten einer ganz anderen Gattung:  Als stellvertretende Pressesprecherin der Stadt Gütersloh verantwortete Dr. Elisabeth Menke einen Gutteil der städtischen Veröffentlichungen.

Erster Impuls: Die Kategorien „Pressearbeit“ und „Poesie“ liegen meilenweit auseinander. Hier die Ansage, faktenbasiert, neutrales Sprech, das niemanden zurücklässt und im Karussell der Abstimmungen manchmal eigenartige Satzschlangen produziert, dort das freie Assoziieren, das Spiel mit Worten in überraschenden Bedeutungen, das Fühlen und Fräsen am stimmigen Bild, das schön und schräg sein darf, auf den Punkt gebrachte Subjektivität. Und doch gilt für beides: Es ist die Arbeit am Text, Worte als Gestein, die es aus der Masse herauszulösen und ihrem Zweck zuzuführen gilt. „Worte sind das Material,“ sagt Eline Menke, aber auch: „Lyrik ist Freiheit – in jeder Form.“

Diese Freiheit hat sie sich weitgehend nach fast 30 Jahren Arbeit im Gütersloher Rathaus genommen. Gedichte hat Menke – „Eline“ ist nicht erst als „Künstlerinnen-Name“ entstanden, sondern ist ihr Vorname im privaten Umfeld – auch während dieser Zeit immer wieder geschrieben, allerdings eher vereinzelt, denn: „Nach einem Arbeitstag voller Texte und Kommunikation fehlt manchmal einfach der Antrieb.“
Raus aus der Schreibzwinge ist die poetische Sprache endgültig ihr Haupt-Ausdrucksmittel geworden, unendlich großes Terrain für immer neue Gedankengebäude von gläserner Leichtigkeit, für Assoziationen von scharfer Kürze, die jedoch niemals gekünstelt wirken. Die Kürze ist Menkes Metier, und vielleicht lassen sich hier doch auch wieder Parallelen zur früheren Tätigkeit nachzeichnen: Auch die Pressesprecherin war eine, die sehr konzentriert arbeiten und Aussagen auf den Punkt bringen konnte.
Jetzt destilliert Eline Menke Gedanken und Gefühle, legt sie frei in ihrem Kern. Das Gedicht „Reduktion“ darf dabei als eine Art Manifest gelten:
 
 
„Die Luft trägt blau,“ ist der Titel des  ersten eigenen Gedichtbandes, mit dem Eline Menke  2023 als Lyrikerin an die
Öffentlichkeit trat. Da konnte man ihre Gedichte bereits regelmäßig ist der renommierten Literaturzeitschrift „Tentakel“ finden, in Anthologien und unter anderem auch an einer Bielefelder Unterführung im Rahmen eines Street Poetry Projektes. Da war sie bereits mit zwei Literaturpreisen ausgezeichnet, dem Literaturpreis Harz 2020 und der Bonner Buchmesse Migration 2022. Gerade ist noch eine weitere Auszeichnung hinzugekommen:
ein erster Preis unter 250 Einsendungen aus dem deutschsprachigen Raum für ihr Gedicht „Glauben“ beim Main-Reim-Wettbewerb.
Diese von der Wettbewerbsvorgabe „Teufelskanzel“ inspirierte Arbeit demonstriert in besonderer Weise, womit wir bei den Gedichten Menkes rechnen können: Erinnerung, Haltung, den Rückgriff auf lang Verschüttetes, auf Sprachbilder voller Dynamik, die beim Leser und der Leserin tatsächlich Erlebtes antriggern, sich jedoch ihrer Individualität sicher sein können.

Dabei legt die Autorin Wert darauf, dass das literarische nicht zwingend das persönliche Ich ist. Und man glaubt es ihr, denn gegen reine Befindlichkeitslyrik spricht die ungeheure Bandbreite der Themen und Assoziationen, mit denen Eline Menke kunstvoll jongliert. Da greift eher die geradezu nüchterne  Beschreibung, die sie über ihr Arbeiten gibt: eine Art „Kreuzworträtsel“ der Begriffe und ihren Möglichkeiten – tägliche Übung, lustvolles Probieren. Was jedoch vielen Gedichten gemeinsam ist:  die Nähe zur unmittelbaren Umgebung, zur Natur und zu einer Vergangenheit am Rand des Münsterlands, wo sie in Oelde-Lette aufgewachsen ist. Das kann Thema sein oder nur ein winziges Aufblitzen, oft steht ein Bild aus der Natur auch in direkter Assoziation zum Wort und dann wieder zum Schweigen.

Überhaupt: die Grenzen des Sagbaren. Immer wieder werden sie hinterfragt, ausgelotet, stehengelassen, verschoben. „Nichts ist immer still“ ist der zweite Gedichtband überschrieben, den Menke jetzt gerade herausgebracht hat. Die Rezensionen sind anerkennend und durchweg positiv. Das, aber vor allem der regelmäßige Austausch mit anderen Lyrikern und Lyrikerinnen ist für Eline Menke durchaus Inspiration und Korrektiv, denn: „Lyrik bekommt ihre Existenzberechtigung durch Veröffentlichung,“ sagt Menke und versteht darunter genau die Art der Berührung, die haften bleibt. So hat sie auch den Mut zu Lesungen gefunden, etwa beim Projekt „SternenBlick e.V.“  in Berlin, das sich die Förderung zeitgenössischer Poesie zum Ziel gesetzt hat und wo ein Menke-Gedicht 2023 auf der Shortlist für den jährlich verliehenen Literaturpreis war.  „Lesung mit Diskussion“ – dazu, wie auch zur Veröffentlichung selbst,  gehören Mut, Selbstbewusstsein, aber auch die Fähigkeit, sich ein Stückweit selbst zurückzunehmen hinter den lyrischen Ergebnissen.  Auch damit kann Menke dienen, das Pressesprecherinnen-Dasein könnte dafür zumindest als eine Art Coaching durchgehen.

Immer häufiger liest man über literarische Debüts von Autorinnen jenseits der 60, nach einem langen Arbeitsleben. Und es sind weiß Gott nicht nur autobiografische Lebenserfahrungen, die hier thematisiert werden. Es ist häufig genug auch der Blick nach vorn, auf Neuanfänge und Experimente. Sicher ist: Auch von Eline Menke dürfen wir in diesem Sinn noch einiges erwarten.