Innovationsprojekt oder Rohrkrepierer?
Wer sucht, wird kaum noch fündig: Wann tauchte die Idee erstmalig auf, die alte TWE-Strecke von Verl über Gütersloh nach Harsewinkel zu reaktivieren? Sie geistert jedenfalls deutlich länger als nur ein Jahrzehnt durch den Kreis, sie hat schon viele Menschen in Parteien, Behörden und Verbänden beschäftigt. Nach ursprünglichen Planungen sollten die Züge längst wieder fahren. Doch bis jetzt ist das Vorhaben nicht mehr als nur ein sehr umfangreicher Papiertiger, mit dem sich die Bezirksregierung (neben vielen anderen Institutionen) herumschlägt. Gedanken zu einer Idee, die nicht auf die Schiene findet:
Das Ansinnen ist an sich kein schlechtes: Mehr Verkehr runter von der Straße und rein in den Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Das gelingt häufig in Deutschland – und es gelingt vorzugsweise auf stillgelegten Strecken, deren Infrastruktur nicht nur erkennbar, sondern auch noch in relativ gutem Zustand ist.
Im Kreis Gütersloh erscheint die
Situation anders:
Die größtenteils eingleisige Strecke mit einer Gesamtlänge von 25,7 Kilometern führt über 77 Bahnübergänge, über elf Eisenbahnüberführungen und an elf Haltepunkten oder Bahnhöfen entlang. Die Ertüchtigung von Gleisanlagen, Haltepunkten und Übergängen sollte ursprünglich 34,5 Millionen Euro kosten. Mittlerweile taxiert man den Wert auf 110 Millionen Euro, ohne dass bisher eine Schüppe Erde bewegt worden wäre. Der aufs Dreifache gestiegene Betrag berücksichtigt weder die angedachten Mobilstationen mit weiteren ÖPNV-Angeboten noch Zug-Material.
Die neun für die Zukunft geplanten Haltepunkte erweisen sich als relativ starr – und sie haben mit einem Hindernis von höchster Stelle zu rechnen: Nach heutigem Stand ist die Deutsche Bahn nicht bereit, der neuen TWE eine Passier- und Haltemöglichkeit im Gütersloher Bahnhof anzubieten. Allein an diesem Punkt könnte das mit Ladehemmungen gespickte Projekt scheitern. Weitere Hürden zeichnen sich ab.
Die bisher geplanten Haltepunkte sind in Harsewinkel der Bahnhof und Marienfeld, in Gütersloh sind es Blankenhagen, der Hauptbahnhof (der ggf. laut DB nicht zur Verfügung steht), die Carl-Miele-Straße, das Freizeitbad Die Welle, Spexard. In Verl schließlich sind die Eiserstraße und der Bahnhof angedacht.
Das ganze Projekt soll 3.100 Autofahrten täglich einsparen. Das klingt nicht nach besonders viel, auch wenn die interessierte (in diesem Fall grüne) Politik aus der Zahl gleich millionenfache Fahrkilometer errechnet, die ersetzt werden könnten.
Als die Gedankenspiele um die TWE 2.0 anfingen, war das Internet noch ein gemächliches Medium, das E-Bike alles andere als ein Verkehrsmittel, das es mal zur Massenbegeisterung bringen würde – und das Homeoffice war ein unbekannter Begriff und kaum möglicher Arbeitsort, da Corona erst noch kommen und uns die berufliche Isolation lehren sollte.
Was anfangen mit diesen Erkenntnissen? Zu prüfen wäre, ob die Mobilitätsbedürfnisse, die einst festgestellt wurden, um Planungen aufzunehmen, heute noch in ähnlichem Umfang vorhanden sind.
Apropos E-Bike: Der Aktionsradius von Radfahrenden ist durch elektrische Unterstützung oder gar elektrische Antriebe deutlich gewachsen. Die Räder bringen zwei Interessen zueinander: Individuelles Unterwegssein einerseits und ökologisch gutes Handeln andererseits sind Vorteile, die den TWE-Planungen zur Konkurrenz gereichen.
Die schneller gewordene Zweirad-Mobilität führte zu einem Einwurf in der jüngeren Vergangenheit, der zwar nicht neu, aber im Vergleich zum TWE-Projekt herrlich unaufwändig ist: Auf der vorhandenen Infrastruktur, in diesem Fall dem Gleisverlauf, solle ein Radschnellweg realisiert werden, fordern umweltbewegte Bürger. Gelungene Beispiele für umgewidmete Bahntrassen gibt es im Kreis: Zwischen Rheda-Wiedenbrück und Rietberg verbindet ein solcher Radweg die beiden ehemaligen Landesgartenschau-Orte. Ein weiterer lässt sich radelnd erreichen, wenn man sich von Rietberg aus auf den Weg macht, zum Landesgartenschau-Gelände nach Schloß Neuhaus.
Und dann ist das noch einmal die Frage nach dem lieben Geld: Ja, die geplante, revitalisierte TWE soll finanziert sein – wenn auch nicht die Anschlusslösungen und die Züge selbst. Vor aller Knappheit in den öffentlichen Haushalten verlangt das Geldausgeben auch den moralischen Blick darauf: Ist es in Ordnung, einen dreistelligen Millionen-Betrag in die Hand zu nehmen, ohne in der Bedarfsanalyse für die „neue“ TWE veränderte Lebens- und Arbeitsgewohnheiten in den Blick genommen zu haben – und ohne zu wissen, ob die Einschätzungen von einst unserem heutigen Alltag noch entsprechen?
Bis zum heutigen Tag ist viel Zeit ins Land gegangen, es ist viel Aufwand für das Projekt geleistet worden – für ein Projekt, das es immer noch nicht weg vom Schreibtisch hin zur Realisierung geschafft hat.
Wir sollten ehrlich sein im Wunsch nach der Umwelt gegenüber adäquatem Verhalten: Folgt das TWE-Projekt einer Ideologie, koste es, was es wolle? Schafft dieses Projekt einen wirklichen Nachhaltigkeitsbeitrag bei gleichzeitig gesicherter Wirtschaftlichkeit? Und lassen sich die Investitionen tatsächlich wieder reinholen, wie in der Vergangenheit suggeriert wurde? Oder springen wir hier auf einen Zug auf, der zunächst den ganz großen Schluck aus der Subventions-Pulle braucht, um anschließend mit Ach und Krach halbwegs wirtschaftlich unterwegs zu sein?
Diese Fragen verdienen in der Beantwortung Tempo, damit das TWE-Projekt in all seiner mühsamen Entwicklung nicht wieder überholt wird von veränderten privaten Mobilitätsbedürfnissen und von sich verändernden Anforderungen in der Arbeitswelt. Sind die Gedanken mit positiven Antworten zu versehen, dann sollten die Planer den Schlafwagen im TWE-Projekt abkoppeln und schnell zu Taten kommen. Wenn aber die Erkenntnis wächst, dass das Projekt von morgen heute noch mit Annahmen von gestern geplant wird, dann ist es an der Zeit, die Pläne abzuhaken und mit zeitgemäßer, wirtschaftlicher und ökologisch richtiger Mobilitätsstrategie neu zu denken.
Wenn es zur ehrlichen Innovation nicht reichen sollte, ist Kapitulation schließlich keine Schande.