Einige Runden für die Sicherheit – auch heute noch
Fotos: Thorsten Wagner-Conert
Von 1945 bis 1993 sorgte die britische Royal Air Force am Stadtrand von Gütersloh für regen Flugbetrieb. Später wurde das Gelände noch als „Princess Royal Barracks“ für die Kampfunterstützungsverbände der Briten genutzt. Seit 2016 sind die fast 310 Hektar Militärgelände eine stillgelegte Fläche, die sich die Natur langsam zurückerobert. Weites Land, unfassbare Ruhe, schlafende Geschichte. Eine sehr wachsame Ausnahme gibt’s: Auf dem Gelände wird weiter Sicherheit gemacht – durch die Verkehrswacht.
Ein sonniger Morgen, ein kurzes Check-in beim Wachpersonal an der Pforte und ein paar hundert Meter Fahrt durch ein fremdes Land im eigenen Kreis. Zurückgelassene Gebäude, Hangars, die mal das Zuhause von Kampfjets waren, marodierende Liegenschaften, Vergangenheit mit ungeahnten Möglichkeiten für die Zukunft. Die militärischen werden hinter den Kulissen im Geheimen neu ausgelotet, seit sich die Sicherheitsarchitektur in Europa deutlich verändert hat. Die Verkehrswacht Kreis Gütersloh e. V. nutzt ihre zwischenzeitlich hier: „Mit unseren Aktivitäten hier auf dem Gelände wollen wir mehr Sicherheit in den Straßenverkehr bringen“, sagt Holger Hagedorn, der als Sachgebietsleiter im Straßenverkehrsamt des Kreises auch für das Thema Verkehrssicherheit zuständig ist.

Joachim Grothaus ist hauptberuflich Fahrlehrer und zudem als Verkehrsfachberater für die Verkehrswacht tätig. Er sagt über das Angebot an dieser geschichtsträchtigen Adresse: „Wir haben hier ein Schulungsgebäude, eine Halle für unser Equipment, vier Aktionsflächen für unterschiedliche Trainingsbedürfnisse, eine simulierte feste Schneedecke gehört zum Beispiel auch dazu.“ Alles findet sich irgendwo im Nirgendwo auf dem Flughafen-Areal. Als Teilnehmer an Kursen wird man dort von der Marienfelder Straße aus hingeführt, ansonsten wäre das Angebot der Verkehrswacht für Fremde auch kaum auffindbar.
Die Infrastruktur hat den Charme des Vergänglichen – und tatsächlich wirkt auch die Verkehrswacht selbst so, als könnte ihr wieder mehr Leben eingehaucht werden. Genau das soll passieren: „Wir wollen die Verkehrswacht mit ihren Möglichkeiten in den Köpfen der Menschen verankern, weil es reichlich Gründe dafür gibt“, sagt Holger Hagedorn und verweist auf die Unfallstatistik, in der jeder Verkehrstote einer zu viel ist.
Das Engagement der Verkehrswacht gibt es bundesweit – mit der Dachorganisation in Berlin, mit 16 Landesorganisationen und mit 600 Einrichtungen vor Ort in den Städten und Kreisen. Das Ziel ist für alle dasselbe: „Wir wollen, dass Menschen in allen Lebensphasen verkehrssicher sind“, heißt es aus Berlin. Die Organisation klärt über Gefahren auf, zeigt, wie man sie vermeidet oder mit ihnen umgeht. Dabei gestaltet sie zielgruppenspezifische Trainingsangebote für Kinder, junge Fahrende, ältere Menschen und für alle besonders unfallgefährdeten Gruppen wie beispielsweise Pedelec-, Motorrad- oder auch LKW-Fahrer. Grundsätzlich hat die Verkehrswacht Kreis Gütersloh e. V. dann auch für jeden Menschen mit Fortbewegungsbedürfnis etwas im Angebot, um Wissen aufzufrischen und um Fähigkeiten weiter auszubauen.
Nicht alles findet hier auf dem Flughafen-Gelände statt. Die Verkehrswacht ist da, wo sie gebraucht wird: Bei Grundschülern zum Beispiel, um Situationen unter echten Bedingungen zu trainieren – oder aber auch in Senioreneinrichtungen, um den sicheren Umgang mit Rollatoren zu üben, da wo Stufen zu überwinden oder ein Bus zu erklimmen ist zum Beispiel.

Ein noch junges Angebot ist das Pedelec-Training. Die Fahrräder mit Elektro-Unterstützung beschleunigen relativ schnell, und ihre Nutzer sind oft schon ein wenig reifer. In der Unfallstatistik tauchen Pedelecs seit ein paar Jahren immer häufiger auf.
Joachim Grothaus sagt über seine Kursteilnehmer: „Das sind ganz unterschiedliche Menschentypen, denn: Verkehrsteilnehmer bist du, wenn du aus der Haustür kommst, egal, ob du dich dann zu Fuß oder mit Rädern bewegst.“ Die allermeisten, 95 Prozent nämlich, kommen freiwillig und mit der Motivation, ihr Können auszubauen. Und dann sind da noch die, die von ihrem Arbeitgeber geschickt werden oder auch solche, die im Verkehr straffällig wurden und die Teilnahme sozusagen gerichtlich verordnet bekommen haben.
Gern erzählt Joachim Grothaus auch von den jüngeren Fahrern, die manchmal kraftmeiernd daher kommen mit dem hämischen Grinsen des vermeintlich Überlegenen im Gesicht. Joachim Grothaus genießt, wie dieses Grinsen im Verlauf eines Trainings mutiert von der Häme hin zum Spaß daran, tatsächlich neue Dinge zu erfahren und zum Schluss auch zu beherrschen.
30 Jahre Fahrlehrerpraxis und psychologische Grundkenntnisse helfen dem Verkehrsfachberater, die unterschiedlichsten Teilnehmer, die ängstlichen und auch die coolen, abzuholen. Eines eint die Trainierenden dann doch meistens: „Zu Beginn haben sie oft keine Ahnung von Fahrphysik“, sagt Profi Grothaus.

Und auch im Alltag auf der Straße sind Autofahrer gleicher als sie annehmen: Die Top3 der Fehleinschätzungen im Verkehr sind Abstand, Geschwindigkeit und die Selbstüberschätzung. Joachim Grothaus macht das mit einem auf den ersten Blick lustigen Vergleich deutlich:
„Wir sind von Natur aus träge: Wenn ich zuhause mit dem Hund auf der Couch liege, und die Frau ruft: „Essen ist fertig!“, dann ist der Hund schon am Napf, während ich gerade mal aufstehe und mir nochmal die Augen reibe.“
Genauso sei es im Verkehr auch. Eigentlich müssten wir Reflexe haben wie eine Katze und Augen wie ein Adler. Das sei aber bei Menschen über 50 nicht so. „Wir sind also eigentlich gar nicht geboren für die Geschwindigkeiten im Verkehr.“
Und so erarbeitet die Verkehrswacht mit ihren Teilnehmern, wie dieses Defizit auszugleichen ist. Positive Selbstreflexion würde helfen – und Gucken, soweit das Auge reicht. 400 Meter könne der Mensch visuell erfassen und das Hirn arbeite die Eindrücke von vorne nach hinten ab.
Für einen individuellen Kursus bei der Verkehrswacht gibt es jede Menge Argumente. Das Überzeugendste: Ein Toter im Straßenverkehr zieht zwischen 40 und 50 Schicksale nach sich. Gegen diese kaum zu ertragende Verantwortung ist das Frischhalten der eigenen Verkehrstauglichkeit eine wirklich leichte Übung.