Die Radstation Rheda bietet Schutz fürs Rad und Chancen für Menschen

Fotos: Detlef Güthenke

Sichere Stellplätze, flexible Services – und ein starkes Konzept zur sozialen Integration: Die Radstation Rheda steht exemplarisch für eine zukunftsfähige Mobilitätsinfrastruktur, insbesondere an Bahnhöfen. In Kombination mit Qualifizierungsangeboten und nachhaltigen Lösungen zeigt sich, wie Mobilität und gesellschaftliche Verantwortung zusammengehen.

Wie alles begann
Die Geschichte der Radstationen in Deutschland reicht zurück bis in die frühen 1990er-Jahre. Angestoßen durch das zunehmende Bedürfnis nach wettergeschützten und sicheren Fahrradabstellplätzen, insbesondere in Verbindung mit dem öffentlichen Nahverkehr, wurde – inspiriert von niederländischen Vorbildern – 1992 in Bielefeld die erste Fahrradstation des Landes eröffnet. Grundlage war die Initiative lokaler Fahrradverbände und der Wunsch, bestehende Infrastrukturen weiterzuentwickeln.1

Es folgten weitere Städte, allen voran Münster, das 1999 mit einer groß angelegten Radstation am Hauptbahnhof Maßstäbe setzte. Seitdem haben sich Radstationen in ganz Deutschland etabliert, besonders in Nordrhein-Westfalen. Heute sind sie aus einem integrierten Mobilitätskonzept kaum wegzudenken: Sie verbinden das Fahrrad mit dem ÖPNV, ermöglichen neue Mobilitätsformen wie E-Bikes oder Lastenräder – und bieten zunehmend auch Dienstleistungen an, von der Reparatur bis zur Vermietung.

Radstation Rheda: Mobilitätsbaustein und Beschäftigungsprojekt
In Rheda-Wiedenbrück gibt es seit 2003 direkt am Bahnhof eine barrierefreie Radstation. Ein Transpondersystem ermöglicht Pendlerinnen und Pendlern, ihre Fahrräder 24/7 sicher und geschützt abzustellen. Im Auftrag der Stadt Rheda-Wiedenbrück betreibt der Verein Pro Arbeit die Radstation, ein regionaler Bildungsträger mit fast 40 Jahren Erfahrung in der beruflichen Qualifizierung und Integration.
Der Verein reagierte zum Zeitpunkt seiner Gründung auf steigende Arbeitslosigkeit in der Region und verfolgt seitdem in enger Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Kreis Gütersloh das Ziel, Menschen auf dem Weg in Beschäftigung zu begleiten – darunter Langzeitarbeitslose, junge Menschen ohne Ausbildungsplatz oder Geflüchtete. Für den Verein Pro Arbeit war der Anspruch von Anfang an klar: Arbeit ist mehr als Erwerb. Sie stiftet Sinn, strukturiert den Alltag und schafft gesellschaftliche Teilhabe. „Ein Beispiel, wie Menschen aus der Unterstützung kommend hier bei uns einen Platz in der Arbeits- und Alltagswelt finden, ist Tagir Dzhanbatyrov. Er kam als Flüchtling zu Pro Arbeit, hat dort von 2009 bis 2014 eine Berufsausbildung gemacht und ist heute stellvertretender Leiter des Fahrradbereichs“, erläutert Klaus Brandner, Parlamentarischer Staatssekretär a. D. und Vorstandsvorsitzender von Pro Arbeit e. V.

Tagir Dzhanbatyrov, Stephan Stiens, Klaus Brandner und Katja Oehl-Wernz (v. l.) vom Verein pro Arbeit e. V.

Dienstleistungen rund ums Rad
Die Radstation Rheda bietet derzeit 240 Stellplätze, von denen rund 180 von Berufspendlerinnen und -pendlern sowie Schülerinnen und Schülern dauerhaft genutzt werden. Auch Tageskundschaft nutzt das Angebot – etwa zehn Personen täglich. Neben dem klassischen Stellplatzangebot profitieren die Kunden von einer Reihe ergänzender Leistungen. Dazu zählen ein 24-Stunden-Abgabe-Service für Reparaturaufträge, der Verkauf gebrauchter Fahrräder sowie neuer und gebrauchter Ersatzteile, die Möglichkeit, Räder zum Beispiel für touristische Unternehmungen auszuleihen und eine kostenlose Lufttankstelle. In unmittelbarer Nähe zur Radstation befindet sich außerdem eine E-Bike-Lademöglichkeit.
Für Reparaturen steht qualifiziertes Personal bereit, das auch im Bereich E-Bike-Technik geschult ist. Stellplatzmieterinnen und -mieter, die außerhalb der Öffnungszeiten kommen, können den Reparaturauftrag schriftlich einreichen. Nach Möglichkeit ist das Fahrrad repariert, bis die Auftraggebenden von der Arbeit zurückkommen. Hinzu kommen die sogenannten ‚Aufbauräder‘: Aus gespendeten Alt-Fahrrädern entstehen durch fachgerechte Aufarbeitung verkehrssichere und preiswerte Gebrauchträder. „Damit werden wir unserem Ziel gerecht, nicht nur sozial und integrativ, sondern auch nachhaltig zu wirken“, betont Katja Oehl-Wernz, Geschäftsführerin von Pro Arbeit e. V. Sie erwähnt außerdem, dass der Verein zusätzlich Träger der Radstation in Oelde im Kreis Warendorf ist.

Reale Arbeitswelt als Sprungbrett
In Rheda arbeiten zwei Fachkräfte im Wechsel. Ergänzt wird das Radstation-Team durch Teilnehmende aus Maßnahmen oder Auszubildende. Unter Anleitung übernehmen sie einfache Reparaturen, beraten Kundinnen und Kunden oder lernen das Buchungssystem kennen. Die Radstation ist damit ein Zweckbetrieb, der eine reale Arbeitssituation vorhält und die Teilnehmenden bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. „Es ist uns wichtig, dass die Arbeit hier so realitätsnah wie möglich ist“, so Katja Oehl-Wernz. Das bedeutet: Dienstleistungsqualität, Verlässlichkeit und Kundenzufriedenheit stehen im Vordergrund. Nicht selten entdecken Teilnehmende dabei eine neue berufliche Perspektive – etwa in der Fahrradtechnik – oder finden über interne Netzwerke Anschluss an andere Projekte des Trägers. „Das, was wir hier machen, muss so gut sein, dass die Bürgerinnen und Bürger gerne zur Radstation kommen, gut beraten und technisch qualifiziert bedient werden. Also alles andere als eine soziale Spielecke – so nah wie möglich am Markt“, ergänzt Brandner.

Tagir Dzhanbatyrov und Stephan Stiens in der Werkstatt der Radstation Rheda.

Kurze Wege, starke Wirkung
Ein Vorteil in Rheda ist die räumliche Nähe zur vereinseigenen Räderwerkstatt unter der Leitung von Stephan Stiens an der Ringstraße. Nur zwei Kilometer entfernt, bietet sie zusätzliche Kapazitäten für Reparaturen, Ausbildung und Logistik. Gleichzeitig wirkt die Radstation auch über ihren eigentlichen Zweck hinaus. Sie ist Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler, Auskunftsort für Bahnreisende, sozialer Treffpunkt – und nicht zuletzt ein Ort, an dem das Bahnhofsumfeld mitgepflegt wird. „Wenn da mal eine Kippe liegt, wird sie aufgehoben“, heißt es pragmatisch aus dem Team.

Ausblick: Mobilität weiterdenken
Die Radstation Rheda versteht sich als Teil der lokalen Verkehrswende – und als Baustein eines modernen Standorts. „Die Radstation als 24/7-Fahrradgarage mit gut ausgebildeten Mitarbeitenden sowie moderner Technik auszustatten und darüber hinaus weitere Service-Angebote zu entwickeln, das ist für uns Mobilität auf der Höhe der Zeit“, so der Vorstandsvorsitzende Klaus Brandner. Perspektivisch sind Kooperationen mit Unternehmen denkbar, etwa durch vom Arbeitgeber finanzierte Stellplätze oder von Pro Arbeit e. V. entwickelte Workshops zu Themen wie „Fahrradreparatur“ oder „nachhaltige Mobilität“.
„Letztlich geht es darum, die letzten Kilometer bequem mit dem Fahrrad machen zu können – und der Bedarf ist da, das zeigt die hohe Auslastung unserer Radstation“, unterstreicht Oehl-Wernz. Dennoch sehe sie weiteres Potenzial, vor allem bei besser abgestimmten Bahnverbindungen. Denn je attraktiver der öffentliche Verkehr, desto eher
steigen Menschen auf Kombinationen aus Bahn und
Fahrrad um.