Warum noch immer so viele Menschen fest hinter ihrem politischen Idol stehen

Text: Arthur Landwehr

Der Schirm der roten Baseball-Mütze gibt ihren Augen etwas Schatten in der noch immer blendenden Abendsonne von El Paso in Texas. Und doch sieht man, wie diese Augen feucht werden, wenn sie über ihren Helden sprechen, über Donald Trump, von dem sie nur eines wollen, dass er noch einmal Präsident wird. „Er hat uns nie belogen“, sagt eine Frau, „alles, was er versprochen hat, hat er auch gehalten, die Mauer zu Mexiko, harte Kante gegen China, die Steuern gesenkt.“ Das ist eine verwunderliche Aussage über einen Mann, von dem die Washington Post behauptet, allein während seiner vierjährigen Amtszeit 30.000 Lügen gezählt zu haben. Aber es geht nicht um echte und erfundene Fakten, es geht um Verlässlichkeit. „Weißt du“, sagt der Mann neben ihr, der ebenso diese rote Baseball-Cap mit dem aufgestickten weißen „M.A.G.A.“ trägt, diesem „Make America Great Again“, mach Amerika wieder großartig, „er hat uns unsere Ehre zurückgegeben. Die in den Städten entlang der Küsten, die in den Medien, die nennen uns Hillbillies – Hinterwäldler, manche sogar Rassisten. Aber Donald Trump hat erkannt, dass wir hier auf dem Land die wahren Amerikaner sind, die Patrioten, die Amerika groß gemacht haben.“

Nation der unversöhnlichen Gegensätze
Die Vereinigten Staaten zeigen sich in diesen Tagen gesellschaftlich zerrissen, unwillig und unfähig zugleich, sich auf gemeinsame Werte zu verständigen, an denen sich alle orientieren, unabhängig von der jeweiligen Meinung in Sachfragen. An die Stelle gemeinsamer Werte sind Gruppen getreten, die sich oftmals als „unterrepräsentiert“ definieren. Ihr erklärtes Ziel ist es, ihre jeweilige Identität zu leben und dafür zu kämpfen, dass diese Identität volle Rechte ebenso bekommt wie Zugang zu Ressourcen. Sich in eine gemeinsame amerikanische Identität einzubringen, empfinden sie als Niederlage im Kampf gegen die Rollenverteilung der traditionell männlich-weiß geprägten amerikanischen Gesellschaft mit ihren vermeintlichen Privilegien. Entstanden ist eine Nation der unversöhnlichen Gegensätze, Schwarz gegen Weiß, Mann gegen Frau, traditionelle Vorstellungen von sexueller Orientierung gegen LGBTQ+, vor allem aber Stadt gegen Land. Es geht nicht mehr darum, was ich will, sondern wer ich bin. Der Graben verläuft zwischen den agilen, prosperierenden und diverser werdenden Metropolen entlang der Küsten und den traditionellen, ökonomisch und in ihren Werten ums Überleben kämpfenden kleinstädtischen und ländlichen Regionen. An dieser Grenze verläuft auch die zwischen den Anhängern liberaler Politik der Demokraten und traditionellen Republikanern.

Dahinter steckt vor allem massive Frustration darüber, dass der Lebensstandard der ländlichen, arbeitenden Mittelschicht seit Jahrzehnten kaum gewachsen ist. Vor allem gut bezahlte Jobs im produzierenden Gewerbe sind verschwunden, meist in Billiglohnländer exportiert und nie zurückgekommen. Das zum amerikanischen Selbstverständnis gehörende Zukunftsversprechen ist für einen großen Teil der Bevölkerung im Kernland zerplatzt, nur noch ein kleiner Teil der jungen Menschen erreicht die Einkommen ihrer Eltern.

Last der Prozesse
Rund 74 Millionen Menschen haben Donald Trump bei der letzten Präsidentschaftswahl ihre Stimme gegeben. Das waren nicht genug, um ihn gegen Joe Biden zum Präsidenten zu machen, aber doch fast die Hälfte aller aktiven Wählerinnen und Wähler. Die Vorwahlen der Republikaner hat Donald Trump gewonnen, hatte schon nach wenigen Wochen genügend Delegiertenstimmen für den Parteitag erobert, so dass ihm die Nominierung nicht mehr zu nehmen ist. Bleiben die Anklagen und Strafverfahren, denen er ausgesetzt ist und die ihn im Wahlkampf behindern und für manche seine Wählbarkeit untergraben. Bisher aber hat ihm das in den Umfragen noch nicht geschadet, im Gegenteil. Mit jedem neuen politischen Angriff, mit jeder neuen juristischen Anklage hatte sich die Wagenburg seiner Anhängerinnen und Anhänger fester geschlossen. Eigentlich sei es nicht er, der von den politischen Feinden vor Gericht gestellt werde, sondern sie, seine Anhänger, die wahren Patrioten. Er nehme diese Last der Prozesse stellvertretend auf seine Schulter, so sagt er bei Wahlkampauftritten. „Lawfare“ nennen Trumps Wähler das. In der Abwandlung von „Warfare“ führten die Demokraten einen Krieg mit Mitteln der Justiz, weil sie politisch keine Chance hätten. Eine unheilige linke Allianz aus Politik, Wirtschaft und Medien wolle ihnen ihre Werte nehmen, sagen Trumps Fans, sie unsichtbar machen, canceln. Trump sei der Einzige, der sie schütze. Ihm vertrauen sie, weil er sich gegen eine selbst ernannte urbane Elite stelle, die sie und ihre Vorstellung davon, was es heißt Amerikaner zu sein, bedrohe. Sie seien diejenigen, die Amerika zu dem gemacht haben, das es ist; diese Eliten wollten es ihnen nehmen.

Donald Trumps erfolgreiche politische Strategie besteht darin, diese Ängste zu kanalisieren und in Stimmen umzumünzen. Er hat erkannt, dass es für Menschen an die Seele geht, wenn man von ihnen verlangt, sich anders als bisher zu verhalten, an Neues zu glauben, dass es für sie Identitätsverlust bedeutet, wenn ihre Werte nicht mehr gelten sollen. Angst entsteht, wenn sich Menschen in ihrer Welt nicht mehr zurechtfinden, wenn sie in eine innere Obdachlosigkeit geraten. Widerstand gegen Veränderung ist eine Folge, aggressive Verteidigung der eigenen Welt eine andere. Trump gelingt es, diese Gefühle zum Klingen zu bringen. Er spricht ihre Sprache, meist sehr einfach und in kurzen Sätzen. Vor allem aber gibt er ihnen die Erlaubnis, sich gegen jede von den Urbanen verlangte politische Correctness zu wehren. Damit wollten die Linken nur Macht über sie gewinnen – und er gibt mit abwertenden Begriffen gegen Einwanderer oder politische Gegner das Vorbild ab.

Denkmäler stürzen
Dieser Prozess mündet in einen Kulturkampf darüber, was Wahrheit bedeutet, und wer bestimmen darf, was es heißt, wahrer Amerikaner zu sein. Ein Schlachtfeld dieses Kulturkampfes zeigt sich darum, welche Geschichte der Vereinigten Staaten erzählt wird, welcher Gründungsmythos seine Gültigkeit behalten darf.

Nach der Ermordung von George Floyd durch einen weißen Polizisten im Mai 2020 stürzten im ganzen Land Denkmäler. Darunter nicht nur die von Südstaatengenerälen, die im Bürgerkrieg für den Erhalt der Sklaverei gekämpft hatten, sondern auch die „Heiligen“ der amerikanischen Geschichte, Helden wie Christoph Kolumbus, George Washington, Thomas Jefferson und viele mehr. Sie galten plötzlich nicht mehr als diejenigen, denen die Vereinigten Staaten ihre Existenz, vor allem ihre Unabhängigkeit, Demokratie und den Aufstieg zum mächtigsten Land der Erde verdankt. Nun stehen sie für Kolonialismus und als Sklavenbesitzer für Unterdrückung und Rassismus.
„Nehmt uns nicht unsere Geschichte!“ sagten damals immer wieder Weiße am Rand von Demonstrationen gegen Rassismus. Denn afroamerikanische Aktivisten verlangten, dass nicht mehr die US-Geschichte von 1776 in den Schulen gelehrt wird, die Geschichte von den ersten europäischen Siedlern über den Unabhängigkeitskrieg zur Weltmacht. Das sei weiße Geschichtsschreibung, tatsächlich aber müsse man Amerikas Weg aus dem Blickwinkel von 1619 erzählen, der Ankunft des ersten Sklavenschiffs, einer Geschichte von Sklaverei und Diskriminierung bis heute. Darüber wird politisch gestritten, sind inzwischen mehrfach Gouverneurswahlen entschieden worden.

Auch der 6. Januar 2021 ist ein dramatisches Beispiel für die Existenz unterschiedlicher Wahrheiten. „Wir sind gekommen, um die Demokratie zu verteidigen“, sagten mir damals vor dem Kapitol viele der Demonstranten, als drinnen einige Hundert von ihnen versuchten, die Bestätigung von Joe Biden als Präsident zu verhindern. Sie waren und sind bis heute fest davon überzeugt, dass die Demokraten einen Putschversuch unternommen hätten, um Donald Trump die Präsidentschaft zu stehlen. Ihr Ziel sei, staatliche Institutionen wie das Justizministerium oder das FBI zu missbrauchen, um politische Gegner mundtot zu machen. Die Tatsache, dass inzwischen mehr als 600 Menschen wegen des Angriffs auf das Kapitol verurteilt wurden, dass ihr Anführer Donald Trump mit immer mehr Prozessen angeblich daran gehindert werden soll, wieder Präsident zu werden, ist ihnen Beweis genug für die These. Noch immer glaubt rund die Hälfte der Republikaner an dieses Narrativ, genau die Gruppe, die jetzt die Mehrheit stellen könnte, Donald Trump wieder zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gegen Joe Biden zu machen.

Anzeige

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert