Der Mann hat Kreislauf im doppelten Sinn: Einerseits brennt Diplom-Geologe Frank Kramer für seinen Job in der Unternehmensgruppe Hagedorn. Andererseits widmen sich die von ihm verantworteten Wertstoffzentren in Gütersloh und Hannover der Kreislaufwirtschaft und praktizieren so Nachhaltigkeit im besten Sinn. Das Geschäftsfeld ist mit fast 20 Jahren noch recht jung. Vorher musste die Politik erstmal Erkenntnisgewinn in Gesetzestext fassen. Thorsten Wagner-Conert führte in Gütersloh das Gespräch mit Frank Kramer, der wild entschlossen ist, Deutschland aufzuräumen und mit Ressourcen anständig umzugehen.

Seit April 2011 ist Frank Kramer Geschäftsführer der Hannoveraner Wertstoffzentrum GmbH und der Gütersloher Wertstoffzentrum GmbH – ein ambulanter Manager, denn zwischen seinen beiden Wirkungsstätten liegen 130 Kilometer. Den Diplom-Geologen hatte er in einem „Neigungsstudium“ gemacht, auf das ihn seine LK-Erdkundelehrerin gebracht hatte. Über ein Ingenieurbüro war er anschließend in den Abfallbereich „hineingerutscht“ – sein Dorado seit mittlerweile 30 Jahren.

Ist Frank Kramer der Mann, der sich um jeden Dreck kümmert – zumindest aber um Müll?

Frank Kramer: Wir beschäftigen uns mit mineralische Abbruchabfällen. Erst in den 1970er-Jahren sprach das deutsche Gesetz von Abfall, vorher hieß es tatsächlich Müll. Also: Wir bereiten Bau- und Abbruchabfälle auf – der größte Anteil davon ist mineralisch.

Wann ist der Wandel im Umgang mit diesen Stoffen passiert? Früher haben wir diese Dinge ja tatsächlich als Müll hochgestapelt und dann Gras drüber wachsen lassen …

Frank Kramer: Der deutsche Gesetzgeber hat den Wandel 2005 gemacht, als der gesammelte Müll eben nicht mehr unbehandelt auf die sogenannte Deponie durfte. Er musste in eine thermische Behandlungsanlage oder mechanisch-biologisch aufbereitet werden. Dadurch hat sich das Thema „Ich schmeiße einfach weg“ gewandelt zu Recycling und Wiederverwertung. Also in Deutschland ist das gerade mal seit 20 Jahren ein Thema.

Hagedorn ist höchst erfolgreich. Mittlerweile sprechen wir vom viertgrößten Abbruchunternehmen weltweit. Deshalb vermute ich mal: Nicht alles, was Hagedorn in der Nation abbricht, landet in Gütersloh oder Hannover – bei Weitem nicht, oder?

Frank Kramer: Das würde ich gerne haben, weil es Millionen von Tonnen sind. Aber diese Millionen wären genehmigungsrechtlich in Gütersloh oder Hannover gar nicht machbar. Hagedorn hat bundesweit mehr als 350 Baustellen – die große Abbruchmenge lässt es gar nicht zu, hierher transportiert und verwertet zu werden. Ganz klar bedienen wir uns da Drittentsorgern, die nicht GWG oder HWG heißen. Aber der Gesetzesdschungel gilt natürlich für alle gleichermaßen.

Der Dschungel ist ein gutes Stichwort: Wären Sie nicht besser Jurist als Geologe?

Frank Kramer: Eins ist klar: Wenn wir auf der Führungsebene unsere Fortbildungen haben, dann kommt immer die Juristerei und weist darauf hin, dass wir auf einem gefährlichen Gebiet unterwegs und mit einem Bein im Knast sind. Das ist ganz plakativ, weil all das, was ein Jurist im Tagesgeschäft im Abfall- und Entsorgungsbereich kennt und weiß, müsste ich als Geschäftsführer für meine beiden Wertstoffzentren wissen. Und da gebe ich gerne zu: Das kann ich nicht.

Heißt das, ein wenig Blindflug ist immer dabei?

Frank Kramer: Ein wenig Blindflug ist dabei, was die untergesetzlichen Regelwerke angeht, die mittlerweile so mannigfaltig sind, dass wir uns bei genehmigungsrechtlichen Dingen und Maschinentechnik von Dritten beraten lassen. Da gibt es Damen und Herren, die das viel besser können als wir. Blindflug betrifft aber wirklich nur die Dinge, die wir gar nicht beherrschen können. Also, ich bin schon mit meiner 30-jährigen Erfahrung schon in der Lage, alles was im Tagesgeschäft nötig ist an Gesetzgebungen und umweltrechtlichen Vorschriften umzusetzen – und nicht nur ich: Unser Team an beiden Standorten besteht aus fast 40 Mitarbeitenden.

Da kommen also an beiden Standorten jeweils 300.000 Tonnen Abbruch an im Jahr – aus welchem Radius?

Frank Kramer: Je schwachbelasteter, also: weniger kontaminiert ein Abfall ist, desto weniger Transport- und Frachtaufwand verträgt er. Das heißt, das Gros der insgesamt 600.000 Tonnen Bau- und Abbruchabfälle – etwa zwei Drittel – kommt aus einem Umkreis von 50 bis 100 Kilometern. Etwa ein Drittel kommt aus einem Umkreis von 300 bis 350 Kilometern um das jeweilige Wertstoffzentrum.

Was ist das für ein Material, das da ankommt? Auf einem Abbruchgebäude ist ja alles Mögliche darin: Ton, Beton, Stahl, Glas, Kupfer und noch ganz viel anderes.

Frank Kramer: Genau das, was Sie ansprechen, ist bis Juni 2005 auf die Deponie gegangen, unsortiert.
Seit August 2017 gibt es die sogenannte Gewerbeabfallverordnung. Die besagt, dass ich die zehn größten dieser Bau- und Abbruchabfälle vorher sortieren muss. Bevor der maschinelle Abbruch erfolgt, muss ich die Schadstoffsanierung sicherstellen, und ich muss die zehn Stoffe herausholen. Das ist das Fenster mit Kunststoffrahmen zum Beispiel – oder mit dem Holzrahmen. Das ist zum Beispiel eine Dachpappe. Alles, was aus Holz ist, muss ich herausholen. Alle getrennten Stoffe muss ich vor Ort auf verschiedene Haufwerke bringen und sortieren. Das heißt, das Recycling fängt nicht hier sondern auf den Baustellen an.

Das wirkt noch einmal komplexer, wenn man es mit den Regularien dahinter verbindet. Kann man sich Abbruch überhaupt noch leisten?

Frank Kramer: Die Frage ist total berechtigt. Seitdem ich hier bin, hat sich der Grundpreis verdrei- oder vervierfacht. Wenn einer heute beispielsweise ein Einfamilienhaus freistellt und abreißt, dann ist er mit 20.000 Euro dabei, das Gleiche hätte vor zehn Jahren vielleicht 10.000 Euro gekostet. Abbruch ist teurer geworden, natürlich. Wie alle anderen Dinge auch …

Was von alldem, was Sie „gehäuft“ haben, kommt hier an?

Frank Kramer: Hier kommen in der Regel die mineralischen Abfälle an. Also, wenn wir von den großen Abfallströmen sprechen, dann ist es der Beton, dann ist es der Bauschutt als Gemisch, dann ist es der Ziegelabbruch und Dachpappe als Spezialität am Standort Gütersloh. Es gibt einen einfachen Grund: Dachpappe ist mittlerweile ein sehr beliebter Sekundärbrennstoff für ein Zementwerk oder für ein Biomassekraftwerk, die dieses Material alternativ anstelle eines Primärrohstoffes wie zum Beispiel Braunkohle oder Gas einsetzen. Dieses Material bereiten wir in einer ganz kleinen Korngröße hochwertig auf, und dann geht es direkt an die Abnehmer, 300 bis 400 Kilometer weit entfernt. Das ist dann wirklich Kreislaufwirtschaft.

Gibt es Abfallstoffe, die Sie ablehnen müssen, die einfach Sondermüll sind?

Frank Kramer: Ja, das müssen wir tun. Nicht weil sie Sondermüll wären, sondern weil es fast 900 Abfallschlüsselnummern gibt, von denen wir mit circa 100 umgehen dürfen. Wir sind kompetent für die Aufbereitung von Feststoffen. Öle oder Schlämme zum Beispiel kommen hier nicht an, weil wir dafür nicht die entsprechenden Aufbereitungs- und Behandlungskapazitäten haben.

Ganz konkret: Wenn ein LKW hier ankommt und abgekippt hat, was passiert dann?

Frank Kramer: Wir fangen vielleicht vorher an: Ein LKW kommt nicht einfach zu uns. Wir bekommen vorher eine Anfrage mit einer Analytik und gegebenenfalls mit Bildern und der Beschreibung dieses Abfalls. Dann gibt es ein Angebot – und nach Auftragserteilung fährt dieser LKW los.

Ein eindeutiger Beleg, dass Sie sich nicht um jeden Dreck kümmern …

Frank Kramer: Sehr gut erkannt. Es ist ein Preis hinterlegt, die Materialqualität, die bauphysikalischen Eigenschaften, die Belastung. Da muss die Waage nur noch checken, ob das, was im Auftrag hinterlegt ist, auch tatsächlich ankommt. Und dann gibt es bei uns 15 Kippbereiche. Und jeder Kippbereich hat eine entsprechende bauphysikalische und analytische Qualität. Dort geht dieses Material dann hin. Also: einfach einen LKW zu uns schicken, das geht nicht.

Das klingt alles hochpräzise. Geht auch mal was daneben?

Frank Kramer: Das tut es tatsächlich, ja. Das liegt dann auch nicht an denen, die den LKW fahren. Das liegt einfach daran, dass auf den Baustellen schon mal der ein oder andere Fehlwurf passiert. Gerade bei mineralischen Abfällen stört alles Biogene: Ein Holzstück, Kunststoff, Wurzelmaterial, Boden zum Beispiel. Das Material geht dann in ein sogenanntes Sperrlager bei uns. Wir machen eine Fotodokumentation davon und geben die sofort an den Kunden. Und dann reden wir darüber, was mit dem Stoff passiert. In der Regel finden wir eine Lösung. Es passiert vielleicht einmal im Quartal, dass eine LKW-Ladung wieder abgeholt werden muss.

Wie sorgfältig müssen denn die Kollegen auf der Baustelle arbeiten, damit es nicht zu solchen Fällen kommt? Sie mögen als Profi vielleicht auch zuhause penibel mit Müll umgehen. Aber jedem Normalverbraucher geht ja im Hausmüll schon mal etwas durcheinander …

Frank Kramer: Das ist schon eine Wissenschaft für sich. Durch die Gewerbeabfallverordnung ist das deutlich schwieriger geworden. Was früher einen Tag dauerte, dauert heute vielleicht drei Tage, weil die Auflagen eben so scharf geworden sind. Wir müssen das schadstofffrei hinkriegen – und das wird auch kontrolliert. Bei den Behörden arbeiten da mittlerweile echte Fachleute. Also: Schadstofffrei, bevor der Abbruch passiert, das ist die ganz große Kompetenz. Was hier ankommt, wird durch Fachleute, durch Spezialisten für einzelne Baustoffe geprüft.

Wir gehen vom positiven Fall aus; es ist alles in Ordnung. Was passiert dann weiter mit dem Material?

Frank Kramer: Boden und Bauschutt werden aufbereitet. Aus dem Boden werden in einer Anlage alle Fremdstoffe herausgesiebt. Das ausgesiebte Material geht wieder auf die Bauschutthalde, und der Boden wird dann für ein Erdbauprojekt nach Vorgabe vorbereitet. Verschiedene Korngrößen und bauphysikalische Eigenschaften spielen dabei eine Rolle. Wenn wir bei den mineralischen Abfällen sind, Bauschutt, Ziegel, Beton zum Beispiel – diese Materialien werden zu Recyclingbaustoffen aufbereitet. RC-Sand oder RC-Schotter wird das dann, das RC steht für Recycling. Das Material wird güte- und fremdüberwacht – das passiert also nicht durch uns. Das wird also ähnlich kontrolliert, wie ein Institut die Qualität von Mineralwasser überwacht.

Sie haben vermutlich einen unkündbaren Experten-Job, weil das Thema so komplex ist?

Frank Kramer: Ich sage mal selbstbewusst: Ja.

Haben Sie Wünsche an Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland?

Frank Kramer: Ja, es ist einfach sehr weit verbreitet, dass sehr viel geredet, aber zu wenig umgesetzt wird. Und das liegt nicht an denen, die es nicht umsetzen wollen oder können. Es liegt vielmehr an den gesetzlichen Vorgaben, die in der Regel von Fachleuten aus dem Rechtsbereich gemacht werden. Und die machen das nicht in Wertstoffzentren, wie unseren. Sie machen das vom Schreibtisch aus. Das, was es an Gesetzen und nachhaltigen Lösungen gibt, das sollte man einfach mal machen. Einfach mal machen …
Das Potenzial, Ressourcen durch Sekundärbaustoffe zu ersetzten, das ist da. Aber oft lässt man uns nicht.

Wann ist eigentlich für Sie ein Hagedorn-Tag ein guter Tag?

Frank Kramer: Das ist dann, wenn wir Kunden zufrieden machen und Sekundärbaustoffe gewinnen können.

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