Was diese Frau so alles kann! – Die Harsewinklerin Meltem Kaptan sorgt mit ihrem Schauspieldebüt für Furore. Als wäre das allein nicht schon Grund genug für überbordende Lobeshymnen, sorgt die Tatsache, dass die so ausgezeichnete Schauspielerin aus Harsewinkel stammt, für einen ganz besonderen Applaus.

Meltem Kaptan ist Comedienne, Autorin, Moderatorin, Schauspielerin und noch so vieles mehr. Sie studierte Schauspiel und Gesang in den USA und spielte mit 23 Jahren bereits in Musicals wie West Side Story, Boy Meets Girl und Sweeney Todd. Im Berufsleben startete sie als Comedy-Autorin beim Radiosender 1 LIVE durch und trat später mit eigenen Stand-up-Comedy-Nummern bei Nightwash und im Quatsch Comedy Club im TV auf. Täglich präsentiert die heutige Wahl-Kölnerin bei Vox die Sendung „Allererste Sahne – Wer backt am besten?“ und ist eine von drei Gastgeberinnen der Kabarett-Sendung „Ladies Night“.
Dann kam diese Anfrage, die Hauptrolle in dem Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zu spielen. Wie aus dem Nichts? „Nein, nicht wirklich“, gesteht sie, als ich sie zum Erfolg befrage. „Casterin Karen Wendland machte mich auf das Drehbuch von Regisseur Andreas Dresen aufmerksam. Ich hatte gerade seinen Film Gundermann gesehen und wusste seit langem, seine Arbeit steht für Qualität.“ Meltem las den Plot. „Das hatte mich sofort gepackt. Als ich dann noch erfuhr, dass Andreas bereits 14 Jahre lang diesen Film geplant und entwickelt hatte, war da eine Stimme in mir, die sagte: ‚Du musst diese Rolle spielen, komme was wolle.‘ Also, das war wirklich Liebe ab der ersten Zeile.“

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Das hatte wohl auch die Jury der Berlinale bemerkt. In dem Film spielt Kaptan Rabiye Kurnaz, die Mutter von Murat Kurnaz, der kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 des Terrorismus bezichtigt und als einer der Ersten ins Gefangenenlager Guantanamo verfrachtet wird. Der Kampf um die Freilassung ihres Sohnes katapultiert die türkische Hausfrau raus aus ihrem Bremer Reihenhaus und hinein in eine fast schon abenteuerliche Reise mitten ins Herz der Weltpolitik. Gemeinsam mit Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke zieht sie bis vor den Supreme Court in Washington DC. Wir erinnern uns: Es ist eine wahre Geschichte.

Im Film verleiht Meltem Kaptan ihrer Hauptfigur eine überwältigende Präsenz, und es ist dieser erdige Alltagswitz, der einfach hängen bleibt. War das von Anfang an so geplant – oder ist die Figur erst durch ihr Spiel so entstanden? „Ich hätte die Rolle auch ganz klar ernst gespielt“, erklärt die Schauspielerin. „Allerdings habe ich die wahre Rabiye kennengelernt, und diese Frau hat so einen Humor und so eine positive Lebenseinstellung, dass für Andreas Dresen als Regisseur, für Laila Stieler als Drehbuchautorin und für mich ganz klar war, wie wichtig das für den Film ist.“ Ihr Humor, so erzählt Meltem, war für Rabiye eine Art Lebenselixier. Nur damit hatte sie die schlimme Zeit überstanden und konnte nach Tiefschlägen immer wieder aufstehen. „Ich glaube auch, wenn der Film diese teilweise leichten und humorvollen Szenen nicht hätte.“

Kongeniale Partner – im Leben und im Film
Doch auch jede andere Rolle in dem Film scheint perfekt besetzt. So wie Kaptans kongenialer Schauspielpartner Alexander Scheer, der mit einer schier unfassbar geduldigen Zurückhaltung den Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke spielt. Welchen Anteil hatte er am Erfolg? „Der wahre Bernhard und Rabiye sind diesen Weg zusammen gegangen, und es hat sich eine unfassbare Freundschaft entwickelt“, entgegnet Meltem. Die beiden, so sagt sie, sind so unterschiedlich und trotzdem so wichtig füreinander. „Ich glaube, dass das Leben manchmal Menschen zusammenbringt, die sich sonst nie kennengelernt hätten und sich doch, wie diesem Fall, so gut ergänzen. Es war fantastisch zu sehen, wie Alexander in seine Figur reinschlüpfte, genauso klang und genauso aussah. Deshalb war es wirklich ein Genuss, ihn als Schauspielpartner zu haben.“ Und wie ihre realen Vorbilder, scheinen auch diese beiden von Grund auf so unterschiedlichen Filmpartner perfekt gleich zu ticken. Vermutlich auch etwas, das hängenbleibt von diesem Film.

Uberwaltigende Performance als Auszeichnung
Meltem Kaptan erhielt den Preis, so die Jury, weil sie „wie die Faust aufs Auge passt zu Andreas Dresens besonderer Begabung, brisante Themen und alltägliche Sorgen der kleinen Leute zu verbinden. Kaptans Performance ist schier überwältigend, nicht nur für den Anwalt, der schnell zum Freund wird. Eine leidenschaftliche Frau, die das Lenkrad ihres geliebten Fahrzeugs ebenso fest in der Hand hält wie sämtliche Fäden in diesem hochtourigen Film.“ Und lernt man sie besser kennen, gewinnt man den Eindruck, da spielt jemand auch ein stückweit sich selbst.

Ein Rucksack voller Leben
Es gibt kaum ein mediales Genre, das sie nicht besetzt, oder etwa doch? Meltem lacht. „Die Mischung macht’s – und genau das ist auch mein Credo“, entgegnet die Powerfrau, während das herzliche Lachen nicht einmal verschwindet, wenn sie redet. „Ich liebe es, alle Bereiche miteinander zu verknüpfen oder auch mal einen zu verlassen, um in einen anderen einzutauchen. Das Leben ist bunt, und genau so sollte es auch mit den Künsten sein: je facettenreicher desto besser.“ Dass sie überhaupt dorthin kam, wo sie heute steht, verdankt sie ihren Eltern. „Ganz klar! Sie haben mich bei jedem meiner Schritte unterstützt.“
Auch das enorme Selbstvertrauen, das ansteckende Lachen und diese unerschütterliche „Das-Glas-ist-halbvoll“-Mentalität? „Mit Sicherheit auch“, höre ich ihr zu. Doch auch ihre deutsch-türkischen Wurzeln haben dazu beigetragen zu der Person heranzureifen, die heute so viele Fans begeistert. „Ich bin und ich sehe mich als eine moderne deutsche Frau mit türkischem Hintergrund“, sagt sie. Jeder Mensch sei doch immer auch beeinflusst von dem, was man im persönlichen Lebensrucksack mit sich trägt. „In meinem Rucksack sind meine türkischen Wurzeln.“ Und mit diesem Inhalt schaut sie auf die Welt. „Natürlich darf das Thema auch auf der Bühne vorkommen und relevant sein. Aber es gibt auch Bereiche, in denen es keine Rolle spielt. Es ist mir wichtig zu sagen: ‚Okay das ist ein Teil von mir, aber ich kann genauso gut über all die anderen Themen sprechen, die mir in der Gesellschaft auffallen und das bunt gestalten.“

Vierjahrige mit grosser Vision
Hört man der Schauspielerin zu, wird klar, dass der Wunsch, irgendetwas mit Fernsehen zu machen, früh entstand: „Ich weiß noch, dass ich als Vierjährige Kassetten aufgenommen habe, um eine Showmasterin zu mimen, die verschiedene Leute zu Besuch hat. Dann bin ich zwischen den Rollen der Personen einfach hin und her geswitcht.“ In der Schule besuchte sie die Theater AG, und Filme verschlang sie, wann immer sie konnte. „Schon als Kind habe ich mich damit auseinandergesetzt, ob jemand glaubhaft spielt oder nicht.“
Frauen wie Barbra Streisand oder Bette Midler hatten es ihr angetan. „Sie haben das miteinander verbunden, was ich so liebe: Gesang und Stand-up Comedy“, sagt sie. Gleichzeitig verstanden sich beide auf hinreißende Komik zum einen und großartiges, ernsthaftes Schauspiel zum anderen. „Es sind sehr starke Frauen, bei denen du immer das Gefühl hast, dass sie sagen, was ihnen auf dem Herzen und auf der Zunge liegt. Das fasziniert mich heute noch.“ Und entspricht, so scheint’s, auch ihrem Wesen.

Comediennes zwischen Comedians
Täuscht der Eindruck – oder ist die Comedy-Szene immer noch eine männliche Domäne? Vor kurzem äußerten sich ihre Kolleginnen Caroline Kebekus und Frau Jahnke in einer Sendung jedenfalls so: „Frauen waren in der Comedy-Szene lange Zeit wenig bis gar nicht sichtbar, und auch heute ist die Szene eher durch Männer besetzt“. Ändert sich das nie? „Leider gibt es immer noch Kabarett-Preise, bei denen eine Frau nicht einmal nominiert ist“, gibt Meltem zu Bedenken. Doch sie sieht auch die Veränderung: Mittlerweile rücken sehr viele Frauen nach – mit voller Kraft voraus. Und die positionieren sich neu: „Wenn früher eine Frau in der Comedy-Szene bestehen wollte, nahm sie auf der Bühne männliche Attribute an und begann sich auf burschikose Art zu verwandeln. Heute stehen Frauen zu ihrer Weiblichkeit, zu ihren Kurven und zu dem, was sie sind.“ Sie besetzen also das Wort „komisch“ auch für sich. Endlich, sagt die Comedienne: „Bisher waren komisch immer nur Männer, während Frauen nur schön sein sollten. Mittlerweile kannst du auch eine Frau sein und komisch. Und das ist gut so.“

Doch während Caroline Kebekus im Verlauf ihres Gespräches erklärt, dass es lange gedauert habe, bis sie verstanden hatte, dass der Beruf eines Comedian auch ein Beruf für Frauen ist, sieht Meltem Kaptan das völlig anders (und auch entspannter). „Mir war es schon immer egal, ob es Bereiche gibt, die von Männern dominiert sind oder nicht – ich hab’s einfach gemacht.“ Und nein, sie habe sich noch nie Grenzen auferlegt, weil sie das Gefühl hatte, dass sich in dem Bereich, in den sie gehen wollte, nur Männer tummeln. Im Gegenteil! „Dann habe ich gesagt: Jetzt erst recht! Deshalb war das für mich auch nie eine Frage, ob der Beruf was für mich ist oder nicht. Das hat sich so entwickelt, und ich habe mich wohl gefühlt.“

Pyjamaparty unter Frauen
Braucht es dann noch Formate wie Ladies Night, in denen nur weibliche Comediennes auftreten?
„Sie sind im Moment immer noch wichtig, um sichtbar zu werden“, sagt sie. Doch da ist noch etwas ganz anderes: „Was ich so liebe ist, dass die Ladies Night eine Art Pyjamaparty unter Frauen ist.“ Hier kommen sie zusammen, haben ihre Lobby und können auf die unterschiedlichste Art und Weise lustig sein. Sie besetzen eigene Themen und können sich entfalten. „In solchen Formaten können Frauen untereinander herrlich rumblödeln, Frau sein und genau das zelebrieren.“
„Am Ende“, sagt sie, „ist Comedy das, wie du durch deine Lebensbrille auf die Welt und Gesellschaft blickst.“ Als Mensch wächst man, entwickelt sich, sammelt Eindrücke und macht immer mehr Erfahrungen. Dieser große Erfahrungsschatz sei genau das, was man auf der Bühne wiedergibt. „Deine Inhalte passen sich deiner Erlebniswelt an, und deshalb ist alles in ständigem Wandel.“

Am besten alles zusammen
Erfolgreiche Comedienne, Schauspielerin und Moderatorin. Wo geht’s jetzt hin? Vielleicht die nächste große Rolle als Schauspielerin? „Natürlich wäre es wunderbar, eine Rolle zu spielen, die eine ganz neue Facette zeigt, vielleicht in einem ernsten Bereich. Gleichzeitig möchte ich aber auch weiterhin Menschen zum Lachen bringen und Fernsehshows machen. Für mich wäre es nach wie vor toll, wenn ich alle diese Bereiche, die ich so liebe, verbinden könnte.“ Und genau das wird sie vermutlich auch tun.

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