Gütersloher Rockband The Picturebooks flasht Kritiker weltweit
Text: Birgit Compin | Foto: Claus Grabke Danny Kötter
Da ist das Ding! Dass die Gütersloher Rockband „The Picturebooks“ seit Jahren international durchstartet, mag sich mittlerweile vielleicht auch im Kreis Gütersloh herumgesprochen haben. Dass jetzt aber ihr aktuelles viertes Album „The Picturebooks & The Major Minor Collective“ für Furore sorgt, hat gleich mehrere Gründe – und die sollte man tatsächlich kennen.
Einen davon bringt Cory Blose, Journalist und DJ des Londoner Radiosenders „Total Rock“, in seiner Rezension direkt auf den Punkt: „The Picturebooks überraschen mit einer unglaublichen Liste von Gästen auf ihrem neuen Album‘. Einen zweiten Grund schiebt er direkt hinterher: „Wir leben in merkwürdigen Zeiten, die Pandemie hat die Musikindustrie ins Chaos gestürzt und Bands auf unerwartete Wege und in unwahrscheinliche Kollaborationen getrieben – doch keine so sehr wie The Picturebooks.“ Und dann setzt er nochmals an: „Dieses vierte Album der Slide-lastigen Rock/Blues- Hammer-Band ist mehr als nur ein Album, es ist ein Beweis für die Kraft der Musik, ein Produkt von unaufhaltsamen Kräften, Pech, Glück, Zufall und purer Chance“.
Zu viel des Lobes? Wohl kaum. „The Picturebooks & The Major Minor Collective“ ist eine während der Pandemie entstandene international angelegte Zusammenarbeit mit dem Who is Who der aktuellen Rock-, Alternative- und Metal-Szene. Erschienen am 3. September 2021, feierte die internationale Presse das außerordentliche Ergebnis sofort ab.
Wer sie vielleicht immer noch nicht kennt, dem sei verraten: Fynn Grabke (Gitarre/Vox) und Philipp Mirtschink (Schlagzeug/Percussion) sind The Picturebooks und gleichzeitig ein Gesamtpaket. Doch kein gekünsteltes. Diese Typen sind einfach so! Es ist ihr natürlicher und ungezwungener Lifestyle, der hängenbleibt. Sie teilen ihre Zeit zwischen Musik, Skateboards und Motorrädern auf, genauso wie auch sonst viele Momente im Leben. Und es ist diese knallige Mischung, die sie zu so viel mehr als „nur“ einer Band gemacht hat. Die beiden Musiker haben sich eine begeisterte und treue Fangemeinde erspielt, die sich von der Musik ebenso angezogen fühlt wie von ihrem Style. Und da musste schon eine weltweite Pandemie um die Ecke kommen, um diese unermüdlichen „Road Dogs“, wie Cory Blose sie in seinem Text bezeichnet, von der Straße zu holen.
Mit drei Alben im Gepäck, tourten Fynn und Philipp gerade durch die USA und England, als die Welt schlagartig eine andere wurde. Die geplante US-Tour als Support von Volbeat wurde genauso abgesagt wie ihre eigene Europa-Tournee. Kurz bevor die Grenzen schlossen, kamen sie zurück nach Hause. Doch statt düster in die Zukunft zu blicken, wollten sie die aufgezwungene Auszeit positiv nutzen – und taten ganz einfach das, was sie sowieso am besten können: Mit Vollgas Musik machen.
„Kreativität ist ein lustiges Phänomen, das oftmals komische Situationen braucht, um zu entstehen“, sagen Fynn und Philipp über die Idee fürs neue Album. „Dem Menschen war kalt, also erfand er Wege, um das Feuer zu kontrollieren. Genau das ist die Essenz von Kreativität für uns.“ Nach jahrelangem Touren mit bis zu 200 Konzerten pro Jahr saßen sie von heute auf morgen im eigenen Studio fest. „Typisch für uns ist, dass wir immer versuchen, das Beste aus allem herauszuholen.“ Ermutigt durch ihre Zusammenarbeit mit Chrissie Hynde von den Pretenders, deren viel gelobtes Ergebnis auf ihrem 2019er-Album „The Hands of Time“ zu hören ist, beschloss die Band, ihr bisher ehrgeizigstes Vorhaben in Angriff zu nehmen: „Als wir merkten, dass wir super Songs hatten und vor allem so viele, die wir alleine nicht fertig stellen konnten, kamen wir auf die Idee, mal zu gucken, wer uns helfen könnte.“ Was folgte, war eine Art Ping-Pong-Effekt quer über die Kontinente hinweg, denn es hatten offensichtlich eine Menge Leute gerade Zeit.
„Der erste, der sich in die illustre Liste einreihte, war unser Freund Ryan Sinn von The Distillers, der auf einigen Stücken Bass spielt“, erzählen die beiden Musiker. Sobald das Reisen im Van 2020 wieder möglich war, machten sie sich auf den Weg nach Schweden, wo sie mit Elin Larsson von Blues Pills den Gesang für „Too Soft to Live and Too Hard to Die“ aufnahmen. Und es fühlte sich sogar ein bisschen wie Urlaub von der Pandemie an: „In Schweden war zu der Zeit keine Maskenpflicht und das machte die Sache irgendwie doppelt crazy. Wir haben ein ganzes Wochenende bei Elin verbracht, zusammen gekocht, zwischen Hundewelpen und spielenden Kindern den Text und die Melodie geschrieben und mitten im Raum mit allen zusammen aufgenommen. Toll!“
Im nordschwedischen Umea spielten sie mit Dennis Lyxzen von Refused einen weiteren Track ein. Auf dem Rückweg trafen sie in einem Berliner Plattenladen auf Dave Dinsmore, Bassist von Brant Bjork, der sofort bereit war, für einen weiteren Song den Bass zu spielen. Die Drei tauchten am nächsten Tag in seiner Wohnung ab und obwohl er seit über einem Jahr nicht mehr aufgetreten war, spielte er auf einem nagelneuen Bass in nur wenigen Takes genau das ein, was das Stück brauchte. Dass an seinem Instrument die ganzer Zeit über noch das Etikett baumelte, ist nur eine der kleinen Geschichten am Rande. Und doch erzählt sie von all den besonderen Momenten, die diese Aufnahmen so speziell machten.
Mit den ersten Tracks im Kasten ging die Band eine Schritt weiter und klingelte bei einigen der größten Namen der Rock- und Metal-Szene an. Mit Erfolg: Chris Robertson von Black Stone Cherry, dessen gefühlvoller Südstaatengesang auf “Catch Me if You Can“ zu hören ist, sagte später: „Was dabei herauskam, war eine therapeutische Sitzung mit Rock ’n‘ Roll, Blues und einer ganzen Menge Wahrheit.“ Für eine weitere Ikone der Szene, Lzzy Hale von Halestorm, traf die Anfrage direkt den Nerv: „Dieses Projekt kam zu einem Zeitpunkt in mein Leben, als ich es wirklich brauchte. Das Schreiben dieser Texte war wie eine Straßenkarte, die mich zu dem zurückführt, was ich bin. Dieser Song ist mein Kriegsschrei. Die Instrumentalmusik war so inspirierend, dass die Melodie beim dritten Hören wie eine außerirdische Mischung aus all meinen Einflüssen heraussprudelte. Ich bin The Picturebooks so dankbar, dass sie mich in ihre Welt aufgenommen und mir die Freiheit gegeben haben, meine persönliche Reise der Wiederentdeckung meiner selbst auszudrücken.“
Da sich in den vergangenen Monaten aus bekannten Gründen nicht alle Musiker persönlich treffen konnten, fand die Zusammenarbeit oftmals gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten statt. Trotzdem: „Es fühlte sich tatsächlich an, gemeinsam in einem Raum zu sein“, sagt Fynn immer noch begeistert. So wie mit Lzzy Hale, mit der sie den Song „Rebel” geschrieben hatten. „Der Video-Dreh mit ihr war genauso intensiv, obwohl wir dafür in Berlin waren, und sie stand in Nashville, Tennessee vor der Kamera.“ Es war ein Gefühl, das alle Beteiligten an dem Projekt empfanden und sie vielleicht auch intensiver als sonst üblich, miteinander verband. Und noch etwas kam hinzu: The Picturebooks ließen jedem Raum für die eigene Kreativität; alle konnten selbst entscheiden, an welchem Track sie arbeiten wollten. All das zusammengenommen scheint ein wesentlicher Faktor dafür, warum diese Platte einfach alle umhaut.
Die Pandemie ist also in mehrfacher Hinsicht Auslöser für dieses Album – und da ist noch etwas, dass nachwirkt: „In dieser seltsamen Auszeit haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass wir mehr als nur eine Live-Band sind“, sagen die beiden Gütersloher. „Wir hatten immer irgendwie die Befürchtung, dass unsere Karriere nur aus Live-Konzerten besteht.“ Und gerade, weil sie das am liebsten machen, lag die bange Frage stets im Raum, „Was, wenn es eines Tages nicht mehr funktioniert oder das Live-Geschäft in den Keller geht?“ Jetzt scheint die Pandemie genau das beantwortet zu haben: Die Fans sind ihnen treu geblieben. Sie lieben den Lifestyle der Picturebooks, den sie unentwegt und hautnah auf den Social Media-Kanälen erleben können. „Wir haben schon immer Content in allen Formen kreiert“, sagt Philipp. „Und genau das war jetzt noch viel wichtiger als jemals zuvor. Wir teilen unseren Tagesablauf mit ihnen und sind so die ganze Zeit hindurch mit unseren Fans in Kontakt geblieben.“ Mit anderen Worten: Während so manch andere Musiker ein Ende ihrer Karriere in dieser schwierigen Zeit gefunden haben, fanden Philipp und Fynn einen neuen Anfang.