Wer einen Eindruck davon bekommen will, wie sich eine Region in 50 Jahren verändern kann, der muss lange aufmerksam und geduldig die Augen offenhalten. Oder aber er vergleicht Zahlen, Daten, Fakten an einem verregneten Tag. Letzteres ist sehr aufschlussreich, wenn man zum Beispiel den ersten „Zahlenspiegel“ (1974) des Kreises Gütersloh neben die aktuellen „Zahlen|Daten|Fakten“ (2022) legt. Eine kleine Zeitreise …

„Fünf ist Trümpf“

1974, das Marketing für Behörden war noch nicht erfunden, kommt der Zahlenspiegel als kleine, gelbe, achtseitige Klappkarte daher. Die verweist auf Dinge, die wir längst vergessen haben: Da sind zum Beispiel die vierstelligen Postleitzahlen. Mit dem Slogan „Fünf ist Trümpf“ wurden die fünfstelligen Postleitzahlen erst 20 Jahre nach Gründung des Kreises Gütersloh eingeführt.
Auch der Datenschutz war noch nicht zum Thema von nationaler und europäischer Tragweite erhoben worden: Ganz selbstverständlich findet sich die private Telefonnummer des damaligen Landrates Paul Lakämper (MdL) in der Klappkarte wieder – und die der Vorsitzenden der vier Kreistagsfraktionen auch. Einzig Oberkreisdirektor Dr. Werner Sturzenhecker „versteckte“ sich hinter der Zentralnummer der jungen Kreisverwaltung.
In beiden Veröffentlichungen gibt der Kreis Gütersloh den Blick frei auf die eigene Belegschaft. Der Vergleich beeindruckt: In der Gründungszeit des Kreises Gütersloh schien das Thema Ausbildung noch nicht so im Fokus zu stehen: Von den Auszubildenden beim Kreis kein Wort. Anders 2022: 64 Azubis weist das Blatt aus. 1974 hat der Kreis Gütersloh 195 Beamte, 560 Angestellte und 174 Arbeiter auf der Payroll. Fast 50 Jahre später ist die Kreisverwaltung personell angewachsen auf 289 Beamte und 1.396 Arbeitnehmer (weil es den Unterschied zwischen Angestellten und Arbeitern nicht mehr gibt). Dass die Zeiten komplizierter und individueller geworden sind im Laufe der Jahre, lässt sich auch an der Angabe von insgesamt 1.354,52 Stellen erkennen: Konnte man früher noch nahezu voraussetzen, dass Stellenzahl auch gleich Kopfzahl ist, wirken sich heute Teilzeitangebote und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch im Stellenplan aus. Auffällig bleibt der enorme Stellenzuwachs, der nachweislich auch mit einer deutlichen Ausweitung der Aufgaben des Kreises zu tun hat.
Eine weitere spannende Betrachtung: Die Zahl der Krankenhäuser und Betten im Kreis Gütersloh. Während heute recht überschaubar die beiden großen Häuser in Gütersloh (Klinikum Gütersloh und St. Elisabeth-Hospital) sowie Krankenhäuser in Halle und Rheda-Wiedenbrück sowie die zwei Spezialhäuser Bernhard-Salzmann-Klinik und das LWL-Klinikum (beide in Gütersloh) ausgewiesen werden, waren es 1974 noch insgesamt 17 Krankenhäuser, die sich über zehn der 13 Kreiskommunen verteilten. 3.416 Betten 1974 stehen gegen 1.577 Betten heute – aus unterschiedlichen Gründen: Die Medizin ist komplexer geworden, was eine Konzentration erforderlich machte. Kleinere Häuser (mit häufig zweistelligen Bettenzahlen) konnten zudem nicht mehr wirtschaftlich geführt werden. Hinzu kam eine Gütersloher Besonderheit: Der frühere Leiter des LWL-Klinikums, Prof. Dr. Klaus Dörner veränderte die psychiatrische Landschaft in Deutschland nachhaltig. Der Weg zur menschenfreundlichen Psychiatrie führte u. a. in Gütersloh zu einer Reduzierung der Betten auf nicht mal mehr ein Drittel ihrer Zahl von 1974 zugunsten einer offenen Psychiatrie.

Auf 373.600 Menschen angewachsen

Die 50 Jahre der Kreis Gütersloh-Geschichte beschreiben auch den Weg von Menschen unterschiedlicher Herkunft in den Kreis Gütersloh: 9 Prozent der Bevölkerung galten im Zahlenspiegel 1974 als Ausländer; heute sind es gut 14 Prozent. Auf den ersten drei Plätzen lagen damals Spanier, Türken und Griechen. Heute bilden Rumänen, Polen und Türken den größten Anteil der ausländischen Bevölkerung. Die Kreis-Bevölkerung insgesamt ist übrigens von 278.000 auf 373.600 Menschen angewachsen. In Gütersloh hat der Einwohnerzuwachs dazu geführt, dass sich die Stadt seit einiger Zeit Großstadt nennen darf, auch wenn sie unter denen zu den kleinsten in der Republik zählt.
In allen bisherigen Kriterien ist schnell festzustellen: Der Kreis Gütersloh ist einer mit sehr dynamischer Entwicklung. Das lässt sich auch aus Zahlen der Wirtschaft ablesen: Bei 3,3 Milliarden Mark lag das kreisweite Bruttoinlandsprodukt zu Anfang der 1970er-Jahre, heute werden für den Kreis Gütersloh 18 Milliarden Euro angegeben. In der Menge der Industriebetriebe ergibt sich kein nennenswerter Unterschied. Doch bei den jeweils knapp 400 Betrieben hat es deutliche Branchenverschiebungen gegeben. Die Textil- und Bekleidungsbranche zum Beispiel verfügte in den 1970er-Jahren noch über 78 Betriebe; heute sind es nur noch sieben Unternehmen. Vier Betriebe werden heute unter dem Sammelbegriff „Büromaschinen, Elektronik und Optik“ aufgeführt. In den 1970er-Jahren gab’s davon noch keine Spur. Besonders auffällig ist darüber hinaus, dass holzverarbeitende Betriebe innerhalb von 50 Jahren im Kreis von 82 auf 25 geschrumpft sind. Die Erwerbspersonen mutierten im Laufe der Zeit zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, und ihre Zahl wuchs von 115.000 auf 182.000 Menschen.

Bewusste Willkommenskultur

An vielen Stellen lassen sich die beiden Zahlenwerke nicht miteinander vergleichen, weil sich Parameter verändert haben oder weil statistische Dinge von einst heute nicht mehr relevant sind oder damals noch nicht relevant waren.
Tatsache aber ist: Der Kreis Gütersloh hat sich geöffnet. Er gibt heute viel mehr preis als bei seiner Gründung, und er setzt neben den Standarddaten die Schwerpunkte anders. Vielleicht ist es ein entscheidendes Stück mehr Bürgernähe, vielleicht auch bewusste Willkommenskultur – und am Ende ist es auch Marketing für unsere Region: Die Angaben von 2022 beziehen sich auch auf die Freizeit, das Erleben des Kreises, die kulturellen Angebote, die Möglichkeiten in der Natur.
Wäre es zulässig, den Kreis Gütersloh allein aufgrund von Zahlen und Statistiken zu beurteilen, so hieße das Urteil: Er kann sich mit seiner Entwicklung sehen lassen – und das schon lange nicht mehr auf nur acht, sondern auf 36 einladenden Seiten.

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