Inspirierende Ideen aus Güterslohs Partnerstädten

Text: Tanja Breukelchen

Gerade hat die Stadt Gütersloh gemeinsam mit ihren Partnerstädten Broxtowe, Grudziadz, Falun und Châteauroux das Kochbuch „Cooking and Culture“ (Edition Markus) herausgegeben, das im Rahmen des länderübergreifenden Kulturprojektes „C-City – Europa liegt nebenan“ unter Leitung von Andreas Kimpel, Beigeordneter für Kultur und Weiterbildung, entstand. Geschrieben wurde es von der Autorin Tanja Breukelchen, die durch die Länder reiste – und nicht nur Rezepte und Geschichten mit zurückbrachte, sondern zugleich die Erkenntnis: Auch wirtschaftlich setzen die Länder spannende Impulse. Da lohnt sich ein Blick über den Tellerrand.

Broxtowe in England, Grudziadz in Polen, Falun in Schweden und Châteauroux in Frankreich – auf den ersten Blick sind das sehr unterschiedliche Städte, die lediglich eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind Partnerstädte von Gütersloh und haben sich 2022 zum Kulturprojekt C-City vernetzt, arbeiten seither in Gruppen an Projekten wie „History and Archives“, „Visual Arts“ und „Youth Parliament“ und haben 2024 ein gemeinsames Kochbuch herausgegeben, in dem nicht nur typische Rezepte aus den fünf Städten, sondern auch die Geschichten und Menschen dazu präsentiert werden. Beim genauen Blick in die Städte fällt auf, dass es aber auch außerhalb von Kultur und Kulinarik große Gemeinsamkeiten gibt – und zugleich: Unterschiede. Letztere sind nicht minder inspirierend, auch mit Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen und Impulse.

Start-up-Unternehmen und Concept Stores überall
Doch zuerst zu den Gemeinsamkeiten: Da fallen zahlreiche junge Start-up-Unternehmen ins Auge, viele davon während der Corona-Pandemie gegründet. Madu Prinica aus Broxtowe hat zum Beispiel zuerst zum Zeitvertreib zuhause Torten gebacken, die dann aber im Freundeskreis für so viel Begeisterung sorgten, dass sie inzwischen ihr eigenes Café „Bake Me A Wish“ eröffnet hat, inklusive professionellem Web-Shop und erfolgreichem Social Media Marketing. Ähnlich Nelly Vossier aus Châteauroux mit dem Start-up „Atelier des Envies“, sie fasste mitten in der Pandemie den Entschluss, ihre eigene Patisserie zu gründen, mit Obst, das sie aus dem Garten ihrer Familie in Südfrankreich bezieht und in köstliche Schokoladen taucht und mit einem Automaten an der Außenwand des Ladens, aus dem man selbst an Feiertagen und in der Nacht noch Kuchen, Pralinen oder vorbestellte Ware kaufen kann, entsprechend gekühlt. Dazu kommen spannende Concept Stores wie in Broxtowe das „Essen“ von Edward Graham Moore and Sam Skinner-Watts, die regionale und ausgesuchte internationale Ware – von französischen Weinen bis zum japanischen Tee – in den Regalen haben und daraus Gerichte kochen, die am langen Holztisch im Laden serviert werden. Oder in Falun, der Hauptstadt der schwedischen Provinz Dalarna, wo gleich zwei Concept Stores auffallen: das „Deli“ von Martin Stintzing, einem Architekten, der sich ebenfalls während der Pandemie für ein zweites Standbein entschied: „Der wichtigste Grund ist Nachhaltigkeit. Ich möchte zeigen, was für exzellent produzierte Speisen aus der Nähe kommen“, sagt er. „Die Grundidee ist, zu zeigen, dass man nicht kilometerweit nach gutem Essen suchen muss, sondern alles schon da ist. Gehst du in den Supermarkt und kaufst Milch, ist die doch schon durch halb Schweden gebracht worden.“ Der andere spannende Consept Store ist das „Renbiten“ von Celina Andersson. Die 20-Jährige stammt aus einer Sami-Familie im Norden Dalarnas und verkauft unter anderem alles, was zur Tradition der Samen gehört: Rentierfleisch, Rentierfelle, Kunst, Schmuck, lustige Rentiere aus Stoff…

Schüler gründen eigene Unternehmen
Und noch etwas fällt auf, wenn man mit offenen Augen durch Falun läuft: Direkt am Marktplatz stehen da nicht nur öffentliche Hochbeete, es gibt auch eine Platte mit Solarzellen. Dort können die Menschen Rast machen, während auf dem Tisch ihr Smartphone wie von Geisterhand lädt. Die Ladestation entstammt einem jährlichen Projekt im Zuge des vor rund hundert Jahren in den USA entstandenen Programm „Junior Achievement“, kurz JA, das heute weltweit vertreten ist und bei dem Schülerinnen und Schüler der örtlichen Schulen die Gründung eines Start-ups vom ersten Prozess über Finanzierung und Firmengründung bis zu fertigen Produkten proben dürfen. JA ist in rund der Hälfte der schwedischen Pflichtschulen vertreten, und stärkt dort unter anderem auch Schülerinnen und Schüler aus nicht-akademischen Elternhäusern und solche mit geringem akademischen Selbstvertrauen.

Voneinander lernen
Gütersloh und seine Partnerstädte in Frankreich, Polen, England und Schweden: Was als Kochbuch und kulturelles Netzwerk begann, kann auch in vielen anderen Bereichen Inspiration bedeutet und die Städte motivieren, voneinander zu lernen, findet auch Andreas Kimpel, Beigeordneter für Kultur und Weiterbildung: „Unser C-City-Kochbuch hat gezeigt, wie verbindend es ist, die Gerichte und Geschichten aus den Küchen unserer Partnerstädte kennenzulernen. Das führen wir gerade im Rahmen des C-City-Netzwerkes weiter, unter anderem mit Projekten zum Thema Geschichte, Kunst, Musik und Sport. Immer wieder fällt es da auf, wie inspirierend der Blick über den Tellerrand ist, nicht nur im wörtlichen Sinne beim Thema. Unsere Treffen und Gespräche bringen uns immer wieder neue Impulse, auch mit Blick auf spannende Unternehmen, nachhaltige Konzepte und engagierte Menschen.“ Warum also nicht einmal selbst auf Entdeckungsreise gehen und die Partnerstädte besuchen? Warum nicht mehr Firmen, die Kooperationen suchen und sie in Broxtowe, Grudziądz, Falun oder Châteauroux finden? Partnerstädte bieten Chancen, und das weit über Kochgeschichten hinaus.

Grudziądz setzt auf Nachhaltigkeit
Diese Mischung aus Nachhaltigkeit und Besinnung auf die eigene Tradition ist das, was auch zu den Besonderheiten führt – und zwar nach Polen, in Güterslohs Partnerstadt Grudziądz, gut 90 Kilo-
meter südlich von Gdańsk an der Weichsel gelegen. Mitten in der Stadt gibt es da einen riesigen Wald mit dem „Zentrum für Umwelterziehung“, in dem Stadtförster Mateusz Cieslakiewicz nicht nur die dort lebenden Hirsche im Blick hat, sondern auch Schülerinnen und Schüler in richtigen Klassenzimmern die Tiere und Pflanzen der Region erklärt und ihnen sagt, wie wichtig es ist, die Natur als Grundlage unseres Lebens zu schützen. Dass die auch ein wirtschaftlicher Faktor ist, hat nicht nur er erkannt. Ein paar Kilometer landeinwärts im Tal der Weichsel hat Jarosław Pająkowski mit dem „Park of Lower Vistula River Valley“ in der Gemeinde Gruczno ein nachhaltiges Unternehmen gegründet, das Traditionen bewahrt und dennoch die Zukunft im Blick hat. Obst wird dort nach traditioneller Art verarbeitet. Es dampft aus großen Öfen, in eisernen Schubladen dörren Pflaumen, Marmeladen und Liköre stehen in großen Regalen. Parallel forscht Pająkowski an alten Obstsorten, denn im 17. Jahrhundert führten die Oledger, aus Friesland und den Niederlanden stammende Siedler zumeist mennonitischen Glaubens, die Tradition des Obstanbaus im unteren Weichseltal ein. Das gilt es zu bewahren, findet er, und macht gleich beim Erhalt alter Haustierrassen weiter. Schafe zum Beispiel, die glücklich zwischen Obstbäumen weiden.
Fährt man durch die Region rund um Grudziądz, fallen zwar keine großen Biohöfe auf, doch immer wieder findet man kleine nachhaltige Unternehmen wie das von Marta und Maciej Lewandowscy, die ihre alten Berufe ganz oder teilweise an den Nagel gehängt haben, um Obst, Gemüse und Kräuter anzubauen, Bienenvölker zu halten, Teemischungen herzustellen und all das über Kontakte vor Ort und Social Media zu vermarkten. Oder Wiesław Janasiński, der sein altes Leben hinter sich ließ und sich unweit von Grudziądz einen Weinberg kaufte, auf dem er die kujawisch-pommersche Tradition von Weinbau und Weinherstellung, die immerhin aus dem 13. Jahrhundert stammt, auf moderne Art fortführt – mit Homepage, Verkauf und Verkostungs-
aktionen.

Broxtowe ehrt bürgerliches Engagement
Das Thema Nachhaltigkeit steht auch in Broxtowe im Mittelpunkt – zusammen mit zahlreichen anderen Themen, die vor allem eines brauchen: Menschen, die sich engagieren. Das geht von Umwelt-Aktionen bis hin zum professionell organisierten Social Business. Einmal im Jahr werden dann die kreativsten und innovativsten Projekte geehrt. Dazu gibt es emotionale Reden, Geschenke und ein riesiges Sandwich-Buffet. In Zeiten leerer Kassen eine riesige Chance, Menschen zu motivieren, das Leben in der Stadt ein Stück weit zu gestalten und damit schöner zu machen. Eine, die gleich in mehreren Kategorien geehrt wurde, ist die in Ägypten geborene Marwa Soliman, die seit mehr als zehn Jahren in Broxtowe lebt und sich in der ersten Zeit sehr isoliert und einsam fühlte. Damit es nicht anderen Frauen genau so ergeht wie ihr, lernte sie nicht nur rasch Englisch und bildete sich konsequent weiter, sie engagierte sich unter anderem auch als Assistentin für Geflüchtete. 2017 gründete sie dann „Heya Nottingham“, eine inzwischen mehr als 600 Mitglieder zählende Community, die Frauen aus anderen Ländern hilft, sich schneller und besser zu integrieren, Englisch zu lernen, sich weiterzubilden, Jobs zu bekommen und die Brücke zwischen den Kulturen zu schlagen.

Kostenloser ÖPNV in Châteauroux
Darauf, dass sich die Menschen in der Stadt glücklich fühlen, setzt auch Châteauroux, die Stadt, in der nicht nur die Museen, sondern auch gleich der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlos ist – und Letzteres bereits seit 2001. Ein spannender Versuch, der längst Normalität geworden ist, für andere, vergleichbare Städte aber ein Denkanstoß sein mag. Die Busse in Châteauroux sind seit Einführung des kostenlosen ÖPNV besser ausgelastet, die Fahrgastzahlen stiegen kontinuierlich an. Das kostenlose Fahren gilt längst als Erfolg, so wurde das Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz erleichtert, aber auch mehr Menschen und damit Bewegung in den Ballungsraum gebracht und durch die Hinwendung zu öffentlichen Verkehrsmitteln die Umwelt geschont und die Luftqualität verbessert. Was die Teilhabe betrifft, erreicht die Stadt durch die kostenlosen Busse auch Menschen, die ansonsten isoliert und vom öffentlichen Leben abgeschnitten wären. Das gilt auch für die kulturelle Teilhabe, wenn man auf die kostenlosen Museen schaut. Möchte man nicht gerade eine Führung durch Museen wie das Bertrand-Museum, das gleich in der City steht und die Geschichte der Stadt erzählt, oder das US Museum abseits der Stadt haben, die jeweils kostenpflichtig sind, kann jeder, der in Châteauroux lebt oder die Stadt besucht, die Museen besuchen, ohne dafür Eintritt zu bezahlen. Dadurch haben alle die Möglichkeit, zumindest ein Stück weit am kulturellen Leben der Stadt teilzuhaben.

Storytelling in Falun
Und damit ist man in Falun, wo eigentlich eine ganze Stadt eine Geschichte erzählt und an deren kulturellen Erbe teilhat: an dem der Kupfermine nämlich, die ihre große Zeit im 17. Jahrhundert hatte und damals Falun zu einer berühmten und mächtigen Stadt machte. Heute ist die inzwischen stillgelegte Mine Teil des Weltkulturerbes der UNESCO. Ganz gezielt werden deshalb sowohl seitens der Stadt Falun als auch dem den Tourismus in der gesamten Region vertretenden VisitDalarna die Unternehmen vor Ort angesprochen, dieses Weltkulturerbe für sich und die eigenen Marketing-Aktivitäten zu nutzen und damit umgekehrt auch die Mine mehr und mehr in den Mittelpunkt zu stellen. In einer Broschüre speziell für Unternehmen wird deshalb die Geschichte des Bergwerks erzählt und Lust darauf gemacht, diese Geschichte fortzusetzen. Im 17. Jahrhundert wurde in der Grube von Falun nämlich ein Drittel des weltweiten Kupfers gefördert. Als sie 1687 in der Mittsommernacht einstürzte, kam zwar niemand zu Schaden – schließlich hatten alle frei und feierten Mittsommer – doch es entstand ein riesiges Loch. Damals war das Bergwerk von Falun das modernste Bergwerk Europas und Schwedens größter Arbeitsplatz. – Wie man diese Geschichte heute als Unternehmen für sich nutzen kann? Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Da ist zum Beispiel das Erlebnisunternehmen „Human by Nature“, das naturbezogene Welterbe-Aktivitäten, Kurse und Veranstaltungen organisiert – vom SUP-Paddeln auf dem Fluss Faluån über Radtouren in den Bergdörfern rund um den Varpan-See bis hin zu Konferenzen in Zelthütten mit lokalem Essen, das über offenem Feuer gekocht wird. „Wir sehen uns als Akteur, der das Erlebnis des Welterbes erweitern und erneuern möchte“ sagt Martin Backéus von „Human by Nature“, der die Welterbestätte als eine Gelegenheit sieht, den Menschen mehr Erlebnisse zu bieten. Zugleich nutzt er mit „Human by Nature“ aber umgekehrt auch die Welterbestätte, um seine Werte weiterzuentwickeln: Gesundheit, Nachhaltigkeit und die Verbindung zur Natur. Backéus: „Für uns ist es wichtig, dass das, was wir entwickeln, nicht nur gut klingt, sondern sich für uns wirklich gut und natürlich anfühlt. Wir haben mehr Kooperationen mit Fokus auf das Welterbe entwickelt und ich denke, wir können generell synchroner arbeiten und unsere verschiedenen Angebote hier in Falun miteinander verbinden, um das gesamte Welterbe zu fördern. Darin sehe ich große Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten.“
Eine Win-Win-Situation. Und Storytelling in seiner schönsten Form. Das nutzen inzwischen immer mehr Unternehmen: von Restaurants, Cafés und Pensionen direkt am Schlund der Grube über einen knisternd knackenden und an die Arbeit unter Tage erinnernden Saunaaufguss im örtlichen Spa bis hin zum ältesten Feuerwehrturm Faluns, in dem heute das „Spruthuset“, das kleinste Restaurant Faluns, untergebracht ist und dort selber Bier braut – und das ist so rot wie das Kupfer der Mine. „Es ist einzigartig, in einem so historischen Gebäude arbeiten zu können, das für die Stadt von großer Bedeutung war. Unsere Gäste sind immer neugierig auf den Feuerturm, und wir wollen die Geschichte stärker in unser Konzept einbinden, so dass es auch ein historisches Erlebnis wird, hier zu essen“, sagt Frida Önnerberg, die des „Spruthuset“ betreibt.

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