Text: Vera Corsmeyer . Foto: StockAdobe
Philosophische Grundfragen, Kunstgeschichte, Englisch für Fortgeschrittene, Redekunst im öffentlichen Leben – so liest sich das Kursprogramm der Gütersloher Volkshochschule im Gründungsjahr 1919. All das sind Kurse, die sich auch heute im vielfältigen Angebot finden lassen, selbstverständlich ganz
gegenwärtig aufbereitet. Kaum ein Ort ist so unmittelbar mit dem Thema des lebenslangen Lernens verknüpft wie die Volkshochschulen. Doch was macht das „kommunale Weiterbildungszentrum“ aus? Wie schafft man es, seit über 100 Jahren ein prägender Akteur der Stadtgesellschaft zu sein?
Jemand, der sein „Leben lang Bildung macht“, ist Dr. Elmar Schnücker, der nach Studium und Lehrtätigkeiten im Ruhrgebiet seit 2001 in Gütersloh arbeitet. Erst als pädagogische Leitung der politischen und kulturellen Bildung, später als stellvertretende Leitung und seit 2019 als Leiter der Schule.
In dem Jahr, als Schnücker sein Studium der Erziehungswissenschaften abschloss, wurde Dr. Mariella Gronenthal erst geboren. Heute ist die promovierte Literaturwissenschaftlerin die stellvertretende Leitung und verantwortlich für den Bereich der politischen Bildung.
Zwei Generationen, die engagiert Gegenwart und Zukunft der VHS gestalten. Gemeinsam mit ihrem 17-köpfigen Team und aktuell mehr als 350 Dozentinnen und Dozenten bieten sie im aktuellen Programm mehr als 1.000 Veranstaltungen an. Das Angebot ist dabei mannigfaltig und erreicht Menschen aller Hintergründe und Interessen.
Auf deren veränderte Anforderungen und die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre reagiert die VHS. „Lernen verändert sich”, so Gronenthal. Statt Inhalte auswendig zu lernen, steht das Vermitteln von Kontexten im Vordergrund. Die Wissensvermittlung wird zur Kompetenzvermittlung – die Lehre verändert sich. Anschaulich lässt sich der Prozess an der Stadtführerinnen- und Stadtführerausbildung erkennen:
Während 2008 und 2016 noch Fakten zur Gütersloher Geschichte im Fokus standen, geht es 2024 um die ganzheitliche Bildung. Wie funktioniert fundierte Recherche? Wie spricht man vor Gruppen?
Statt der strengen Abgrenzung der einzelnen Säulen zu folgen, wird immer stärker interdisziplinär gearbeitet. Ob in den, von vielen zuerst mit der VHS assoziierten Sprachkursen virtuelle „Ausflüge“ in die Länder zu unternehmen oder Kurse hybrid anzubieten, die Chancen der Digitalisierung werden genutzt. Entsprechende Kursangebote sind dabei selbstverständlich. Denn warum sollte man sich noch bei der örtlichen VHS anmelden, wenn es doch dank zahlloser Onlinekurse Weiterbildung auch vom eigenen Sofa aus funktioniert?
Für Schnücker ist zum einen das Qualitätsversprechen entscheidend, dieses wird regelmäßig zertifiziert und über Befragungen in der Lehrrealität überprüft. Zum anderen lebt der Kursbetrieb vom persönlichen Austausch zwischen Teilnehmenden und Dozentinnen und Dozenten. Diese bringen neben fachlicher Kompetenz auch ihre individuelle Persönlichkeit ein. So lernt ein gefragter Französischdozent während der Pandemie noch den Umgang mit Onlineangeboten, um keine Einheit entfallen zu lassen. Klare Strukturen und ein positives Verpflichtungsgefühl erleichtern vielen Teilnehmenden das Lernen.
Immer wichtiger ist in den vergangenen Jahren der Integrationsbereich geworden, die VHS übernimmt einen entscheidenden Teil der gesellschaftlichen Eingliederung. Inzwischen gibt es drei Stellen, die sich um dessen Koordination kümmern. Deutschkurse sorgen gerade in den Vormittagsstunden für einen regen Betrieb in der Hohenzollernstraße. Dabei finden in Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren zahlreiche Angebote statt, die über den reinen Sprachunterricht hinausgehen. So ist die Gütersloher VHS eine der drei am Pilotprojekt „ElternMitWirkung NRW“ beteiligten Institutionen. Im Rahmen dessen werden Eltern in vier Sprachen zu ihren Möglichkeiten, sich in der Schule einzubringen, geschult.
Der Herausforderung, neue, jüngere Zielgruppen zu erreichen, stellt sich die Gütersloher VHS ebenso. Gerade zwischen 20 und 30 sind viele Menschen so mit ihrer Ausbildung beschäftigt, dass wenig Kapazitäten für sonstige Weiterbildung bleibt. Sie von dem breiten Angebot in Bereichen wie Resilienz oder Freizeitbildung zu überzeugen und langfristig an die VHS zu binden, ist ein erklärtes Ziel.
Überregionale Digital-Kampagnen haben dabei auch im DIY-Bereich Erfolge gezeitigt. Zuletzt präsentieren in der von Mariella Gronenthal organisierten Veranstaltungsreihe „Europa am Rande“ hochkarätige Gäste wie der aktuelle Bachmannpreisträger Tijan Sila oder Journalistin Teresa Bücker Perspektiven auf „das unbekannte Europa“.
All das sind nur kleine Einblicke in die Arbeit der VHS, deren Ziel es ist, „nicht schulisches Lernen zu reproduzieren, sondern andere Wege des Lernens zu gehen“, so Elmar Schnücker. Es gehe darum, ins Gespräch zu kommen.
Ein Raum der Begegnung möchte die Gütersloher VHS sein, in dem Menschen zusammengebracht werden und ein politisch-kultureller Austausch entsteht. Häufig geschieht dies für die Teilnehmenden unbewusst. Kaum jemand nimmt an einem Malkurs teil und ist sich darüber bewusst, dass währenddessen Persönlichkeitsbildung passiert.
Hier treffen Generationen, Erfahrungen, Ansichten aufeinander, und man begegnet sich über die eigene Bubble hinaus. Eine persönliche Entwicklung ist eigentlich unumgänglich, der eigene Horizont öffnet sich.
So erwirbt man nicht nur neues Wissen, sondern ebenso andere Meinungen zu reflektieren, auf Augenhöhe zu diskutieren und Ambivalenzen auszuhalten. „Politische Bildung ist immer enthalten“, resümiert Mariella Gronenthal.
Hochprofessionell und hochvernetzt sorgt die VHS dafür, dass der Begriff des „Volkshochschulniveaus“ zum Qualitätsmerkmal wird. Verstaubte Konzepte und Langeweile sucht man hier vergeblich, sondern erlebt Angebote, die Konsistenz und das Bewusstsein für lokale und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen vorbildhaft verbinden. Nachzulesen im Kursprogramm von 2024, wo neben „Englisch für Fortgeschrittene“ auch „Kickstart ChatGPT“ und „Ethische Geldanlagen“ angeboten werden.