Wie uns Corona zu neuem Denken und Arbeiten gebracht hat – und was davon bleibt …
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Neuerfindung der Gesellschaft findet – zumindest durch die Pandemie bedingt – nicht statt. Zu träge sind wir bislang mit dem umgegangen, was uns Corona an temporären Veränderungen gebracht hat. Und geradezu leidvoll haben wir mehr oder weniger mitgetragen, was uns an angepassten Verhaltensweisen abverlangt wurde.
Der subjektive Eindruck, dass auferlegte Corona-Regeln selten zu Ende gedacht waren, lässt sich objektiv an Beispielen bestätigen: Welchen Sinn beispielsweise macht es, eine Maskenpflicht in Fernzügen vorzuschreiben, eine Regelung in Nahverkehrszügen aber den Ländern zu überlassen? Und warum sind Masken in Flugzeugen obsolet, in der Fernbahn aber nicht? Warum lag dem Arbeitsminister daran, eine Homeofficepflicht aufzuerlegen, deren Einhaltung aber nicht kontrolliert wurde? Und warum gab es bislang zu den meisten Regeln Ausnahmen?
Mehr Verantwortung übernehmen
Wir haben gelernt: Dass es eine hundertprozentige Sicherheit, einen hundertprozentigen Schutz nicht gibt – vor nichts im Leben und eben auch nicht vor einer Corona-Infektion. Wir haben gelernt, tolerant mit dem Gesetzgeber und seinen häufig etwas unrunden, nicht bis ins Detail schlüssigen Gesetzen zur COVID-19-Pandemie zu sein. Oder aber, positiver formuliert, haben wir gelernt, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen, uns nicht in jeder Hinsicht auf den Staat zu verlassen und im besten Fall dort weiterzudenken, wo der Gesetzgeber „auf Lücke gesetzt“ hat.
Anderseits: Die vielfach gequälte Formulierung, der Mensch sei ein Gewohnheitstier, wurde durch die Pandemie nur immerzu bestätigt. Die durch das Virus aufgedrängte Reise ins Ungewisse mussten wir antreten – widerwillig – und in der Hoffnung, dass wir die Rückreise sicher hatten. Zurück ins Bewährte, Bekannte, Bequeme, Gewohnte …
Mit dieser kollektiv gelebten Haltung haben wir uns Chancen verbaut. In Lockdown-Zeiten, die mittlerweile schon wieder weit entfernt sind und in Zusammenhang mit der Pandemie für die Zukunft regierungsseitig ausgeschlossen werden, wäre Zeit gewesen, nicht weniger als unser Alltagsleben auf den Prüfstand zu stellen. Stattdessen genügten wir uns in weiten Teilen in der teils verzweifelten Bekämpfung der akuten Lage. „Wir müssen vor die Lage kommen“, hieß es zeitweise am Berliner Kabinettstisch. Und man hätte sich gewünscht, dass mehr als die akute Lage gemeint war.
Die Pandemie wurde in ihrer Dimension erst möglich, weil wir völlig losgelöst globalisiert leben – und weil das Virus seinen Weg nach Europa, später in die USA fand, weil es in China quasi ins Flugzeug gesetzt wurde. Zu einfach und abwegig wäre es, nun die Globalisierung als solches zu verdammen. Die Frage ist nur, wie gehen wir künftig mit ihr um? Einer Globalisierung, die ausschließlich günstigsten – und mitunter prekären – Produktionsbedingungen folgt, erteilt beispielsweise der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, Heinz-Herbert Dustmann, eine Absage: „Globalisierung aus Preisgründen macht keinen Sinn. Globalisierung, um das Know-how anderer dort zu nutzen, wo es vorhanden ist, das ist sinnvoll“, meint er.
Zeit für einen echten Paradigmenwechsel?
Der Hang, alles Materielle zu jeder Zeit überall verfügbar zu machen, begünstigt zumindest die beschleunigte Ausbreitung einer Pandemie. Die Frage, ob wir all das brauchen, stellen wir uns nicht in Zeiten des enthemmten Konsums und in immer noch kaum zu erschütterndem Glauben an grenzenloses (Wirtschafts-)Wachstum. Mit einem Nachdenken darüber hätten wir zumindest eine Botschaft der Pandemie wahrgenommen. Dass „immer billiger“ schon immer eine teure Lösung war, bestätigt sich im Corona-Zusammenhang einmal mehr als Binsenweisheit.
Bleibt die Frage nach dem Wachstum, die sich aus dem Corona-Kontext heraus noch einmal neu stellt: Macht es Sinn, dem Mantra der Ökonomen nach immer mehr Wachstum weiter zu folgen – oder ist es Zeit für einen echten Paradigmenwechsel? Weg vom quantitativen Wachstum hin zu wachsender Qualität, die Nachhaltigkeitsregeln folgt? Der Sinn darin lässt sich schnell erkennen: Es ist schlicht Nonsens, wenn alle ein, zwei Jahre in Kalifornien jemand auf eine Bühne steigt, um neue mobile Endgeräte zu lobpreisen, die umgehend zu erwerben uns zu Lemmingen werden lässt, die dem kalifornischen Ruf unkritisch folgen. Nachhaltige Wirtschaft müsste zur Produktion von Geräten mit höchster Lebensdauer führen anstelle von möglichst häufig ersetzten Geräten. Ein Gedanke, aus pandemischen Gründen sinnvoll an dieser Stelle – aber nicht nur, wie der letzte Absatz beweisen wird.
Was hat sich in der Arbeitswelt aus Corona-Gründen entwickelt? Mit Homeoffice und isoliertem Arbeiten und mit virtuellen Konferenzen zum Beispiel jede Menge – auf den ersten Blick. Auf den zweiten waren die Veränderungen in der Arbeit schon messbar, bevor die Pandemie um sich griff. Am 31. Dezember 2019 wurde der Ausbruch einer neuen Form der Lungenentzündung in Wuhan/China bestätigt. Schon deutlich früher (2018) beschäftigte sich die Gütersloher Bertelsmann Stiftung mit „New Work“ und lobte Querdenken die Entwicklung nicht ahnend in einem Newsletter als ein zuzulassendes Andersdenken, mit dem man Tabus bricht. In einem Leitfaden, erschienen im Mai 2020, ist unter dem Titel „New Work: Potenziale nutzen – Stolpersteine vermeiden“ die Rede längst von Homeoffice, mobilem Arbeiten, agilen Arbeitsmethoden, digitaler Innovation – zu einem Zeitpunkt, als wir das Arbeiten bei weitem noch nicht komplett den Regeln der Pandemie unterwarfen.
Fest zu stehen scheint: Wir haben die Chancen der Pandemie in vielen Bereichen ungenutzt liegen lassen: Die übergeordneten Fragen von Wachstum, Konsum ebenso wie Fragen der Nachhaltigkeit und den Willen zur Veränderung. In der Pandemie sind wir Akutem begegnet. Die Chancen zu nutzen, gibt es weiter Gelegenheit: Die nächsten Krisen drängen bereits dazu. Vermutlich werden sie uns deutlich weniger Spielraum für Antworten lassen.