Das Vertraute und Bewährte lebt

Text und Fotos: Thorsten Wagner-Conert

Nur noch wenige erinnern sich an den Werbespruch „Fünf ist Trümpf“ der Deutschen Post. Genutzt hat sie ihn, um die Deutschen auf die Einführung fünfstelliger Postleitzahlen vor nun fast 30 Jahren einzuschwören. Und noch weniger Menschen erinnern sich an die Zeit davor – eine Zeit, die einfacher war in vielerlei Hinsicht. Auch die Postleitzahlen waren schlichter: Sie kamen mit vier Stellen aus. „Die vier sind wieder hier“ – so könnte der Werbespruch des Modegeschäfts Liekenbrock in Rheda-Wiedenbrück lauten. Aber das wird nur gelegentlich stimmen: Die Hoodies, T-Shirts und Sweatjacken mit den PLZ-Aufdrucken „4830“, „4832“ oder „4840“ für Gütersloh, Wiedenbrück und Rheda-Wiedenbrück sind schlicht der Renner und schnell ausverkauft. Was sind die Heimatklamotten? Eine Erinnerung an längst Vergangenes, an bessere Zeiten, an die gute alte Zeit? Jedenfalls ziehen die Zahlen von einst an, so oder so. „Vergissmeinnicht – die Postleitzahl“ war übrigens der Werbespruch der Post zu den 1962 eingeführten bis zu vierstelligen Postleitzahlen. Er funktioniert.

Richtigen Riecher

Auf ganz andere Weise erfolgreich mit „altem Zeug“ ist Hans-Jürgen Schlabs in Gütersloh. Der Mann ist professioneller Haushaltsauflöser und Entrümpler – und er hatte den richtigen Riecher: Zunächst zog er mit noch brauchbaren Dingen auf Flohmärkte, später machte er sich selbstständig und betreibt jetzt neben seiner Entrümplungsfirma in Gütersloh an der Verler Straße einen spannenden Laden mit Namen „Kultkram Antikwaren & Second Hand“.

In den alten Gemäuern von Niemöller & Abel bietet Hans-Jürgen Schlabs ein breites Spektrum von Dingen an, die ihr erstes Leben schon hinter sich haben und die reif sind für eine Zweitverwertung.

Das Angebot lockt die unterschiedlichsten Menschentypen ins Haus: Da kommen solche, die einfach nicht das Geld haben, um sich Alltagsdinge gänzlich neu zu kaufen. Es kommen die Überzeugungstäter, die aufs Neue gelegentlich bewusst verzichten, weil sie eine Nutzung schon vorhandener, abgelegter Dinge für deutlich nachhaltiger halten. Dann sind da die Jäger und Sammler, die auf Glücksfunde für ihr ganz eigenes Sammelthema hoffen. Und es sind da auch die, die dieses „Weißte noch“-Gefühl lieben beim Anblick und Kauf von Dingen, die die Erinnerung wecken. Alle sind Schlabs‘ Kunden – und sie zerlegen das Angebot in seine Sparten: Nutzwertes für den Alltag, Originelles aus Leidenschaft, Rares fürs Glücksgefühl.

Die Herausforderung ist, die Spreu vom Weizen und „alt“ von „oll“ zu trennen. Und da muss man ein wenig Trüffelschwein sein, so wie es der Inhaber auch von sich behauptet. Das Geschäft lohnt sich, bestätigt er: „Man wird kein Millionär, man kann aber seine Kosten bezahlen. Wir haben noch einen ebay-Shop als zweites Standbein im Verkauf. Insofern lohnt sich die Kombination.“

Lehrgeld bezahlt

Anfangs war das Geschäft mit dem Alten und der Erinnerung auch für Hans-Jürgen Schlabs nicht leicht: Lehrgeld war zu bezahlen, weil er zunächst oft zu teuer einkaufte. Da, wo die Maßstäbe fehlen, entscheidet eben das Bauchgefühl über den Preis – und dieses Bauchgefühl musste er eben erst trainieren.

In seinem „Kultkram“ gilt, was auch in der benachbarten Plattenhalle zählt, die Musik-Erinnerungen in großer Dimension anbietet: Die Kunden sind geeint in ihrer Freude über Günstiges, Erinnerungen und Sammlerglück. Da interessiert nicht, wer aus welchen Verhältnissen reinschaut. Die ihnen gemeine Begeisterung für die Dinge, die es schon gibt, die sich bewährt haben, die Geschichten erzählen – diese Begeisterung zählt.

Im Alltag gehen eben auch die alltäglichen Sachen – da sind auch mal Geschäftsauflösungen dabei mit originalverpackten Waren des täglichen Bedarfs, weil im „Kultkram“ so viel wie möglich wiederverwertet werden soll. Nachhaltigkeit mag ein politisch verbrannter Begriff sein. Bei den Menschen gewinnt diese Nachhaltigkeit aber gerade in Krisenzeiten, in denen das Geld zusammengehalten werden will, an Bedeutung.

Über die Ein-Euro-Artikel muss man nicht lange reden: Es gibt sie zuhauf an der Verler Straße. Spannender wird’s, wenn Sammler reinschauen – „eine ganz eigene Szene“, wie Hans-Jürgen Schlabs findet. Und eine, die – nicht immer ganz billig – auf ihre Kosten kommt: Modellautos, alte Emaille-Werbeschilder, Retromöbel, coole Klamotten, Militaria, Fahrräder aus der Zeit, in der es noch keine Elektroantriebe gab und vieles mehr lassen Fans suchen und finden. Das teuerste Stück übrigens lag bei unserem Besuch bei 3.100 Euro: Eine Unitol-Zapfsäule, die auf ihren Sammel-Liebhaber noch wartete.

Kontrast zwischen Privatem und Trödeldorado

Schlabs selbst ist sich ein guter Kunde: Bei Auflösungen findet er Dinge, bei denen er sagt: „Nee, das bleibt bei mir“ – zum Beispiel Schallplatten aus einer bestimmten Musikrichtung. Wenn da etwas Seltenes auftaucht, dann behält er das – und auch Dinge, die zu seinem Industriedesign-Wohnstil passen. Zuhause ist er mittlerweile minimalistisch, nachdem er auch erst gehortet hatte, das aber alles zu viel wurde. Und so lebt er einen scharfen Kontrast zwischen dem Privaten und dem Trödeldorado mit Namen „Kultkram“.

Eines eint die Liekenbrockschen Postleitzahl-Kleidungsstücke und den Kultkram: Das Bewusstsein, das da mal was war – die Erinnerung eben. Beim Trödel kommt die Erkenntnis hinzu, dass man vielleicht nicht alles neu machen muss in Zeiten wie diesen. Weil es längst da ist und weil es sich bewährt hat. Und weil es vielleicht eine gute Idee ist, nicht von allem immer mehr zu produzieren, wenn die Dinge doch noch funktionieren. Die einzige Hürde: Die Dinge sind vielleicht da, aber eben gerade nicht dort, wo man sie im Sammelsurium von Schlabs und seinen Artgenossen sucht.

Der Erfolg, das Gesuchte, das Begehrte im Alten zu finden – dieser Erfolg macht glücklich. Und Glück ist ein gutes Gefühl in unserer Zeit, in der es vieles auszuhalten gilt.

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