50 Jahre Spitzensport im Kreis Gütersloh. Ein kleiner Ausflug in die Welt der Schlagersänger, Saunaraucher und Straßennamen.

Am 22. Februar 1998 war der Gütersloher Bahnhof auf einmal voller Cowboys. Hunderte verkleidete Fußballfans waren per Zug eingetroffen. Am Ende bevölkerten rund 2.000 größtenteils kostümierte Gästefans das Heidewaldstadion und erweiterten mit Sprechchören wie „Und du kommst an den Marterpfahl“ das branchenübliche Liedgut. Der FC St. Pauli war in der 2. Liga zum Auswärtsspiel nach Gütersloh gekommen, und die bisweilen kreative Hamburger Fanszene hatte das Lied „Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh“ zum Anlass für eine Mottofahrt nach Ostwestfalen genommen.
Der Heidewald war an dem Tag gut besucht, was damals nicht immer der Fall war, obwohl die Heimmannschaft in den 90ern vorsichtig an das Tor zur 1. Liga klopfte. Doch es sollte nicht lange dauern, bis sich der FC Gütersloh vor allem in der nichtolympischen Disziplin „Schulden anhäufen“ hervortat. Im Februar 2000 wurde der Fußballclub aufgelöst, um kurz darauf als FC Gütersloh 2000 wiedergeboren zu werden.
Der FC Gütersloh steht symbolisch für sportliche Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten im Kreisgebiet in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Der 1978 ins Leben gerufene Fusionsverein konnte zeitweise im Profifußball glänzen, bis der jähe Absturz die Träume von Spielen gegen Bayern oder Dortmund zum Platzen brachte. Der FC Gütersloh 2000 dümpelt heute irgendwo in den Niederungen des Amateurfußballs. In sportlicher Hinsicht steht der Verein im Schatten der Nachbarklubs aus Verl und Wiedenbrück, die sich in der 3. und 4. Liga achtbar aus der Affäre ziehen. In Gütersloh selber ist der Frauenfußballverein FSV Gütersloh, der einst aus dem FCG hervorging, seit Jahren deutlich erfolgreicher. Zahlreiche National- und Bundesligaspielerinnen sind der Talentschmiede des FSV entsprungen, von Lena Goeßling bis Nina Zimmer.

Massenandrang am Kloster

Der Fußball rangiert im Zuschauerinteresse ganz oben – da unterscheiden sich die Menschen zwischen Borgholzhausen und Langenberg nicht von jenen in anderen Kreisen des Landes. Der bis heute gültige Zuschauerrekord wurde am 15. Oktober 1972 aufgestellt, als 15.000 Interessierte in den Heidewald pilgerten. Nach längerer Umbaupause waren die Stadiontore erstmals wieder geöffnet. Olympiasiegerin Heide Rosendahl durfte gleich zweimal einen Anstoß ausführen, sowohl zu einem Prominentenspiel als auch zu einem Punktspiel zwischen der SVA Gütersloh und Arminia Bielefeld. Das einstige Rad- und Leichtathletikoval präsentierte sich an dem Tag runderneuert: Es gab neue Tribünen und Umkleiden, dafür war die Laufbahn verschwunden. Beim Promi-Spiel waren kurioserweise dennoch reichlich Leichtathleten dabei wie die Läufer Harald Norpoth, Thomas Wessinghage, Sprinter Manfred Ommer oder Stabhochspringer Claus Schiprowski. Helmut Rahn hingegen, Fußball-Weltmeister von 1954, stand zwar in der offiziellen Aufstellung – bis heute hat sich aber kein Zeuge gefunden, der ihn an jenem Tag im oder am Heidewald gesehen hat.
Den inoffiziellen Zuschauerrekord im Kreis hält wahrscheinlich die Hotel-Residence Klosterpforte, die 2006 angeblich 25.000 Fans anzog, die der portugiesischen Nationalmannschaft in ihrem WM-Quartier einen Besuch abstatten wollten. Vor Ort war damals auch der britische „Guardian“, der befand: „Das Sporthotel sieht aus wie ein Konferenzzentrum mit einem ungewöhnlich großen Helm aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Dach.“ Um jedoch gleich hinterherzuschicken, dass das familiengeführte Hotel viel mehr Charme habe, als dieser Satz vermuten ließe.
Dass Marienfeld zu einer der Top-Adressen für die internationale Fußball-Elite aufstieg, war übrigens nicht wirklich geplant. Im Jahr 2001 erreichte Hotelbesitzer Reinhold Frie eine Anfrage, wonach Besiktas Istanbul für ein paar Tage eine Unterkunft in Deutschland suchte. Der sportbegeisterte Frie sagte zu, hatte aber gar keinen Fußballplatz. Da es mit einem angemieteten Platz nur Scherereien gab, baute er später einfach neben dem Hotel seine eigenen Plätze – und zusätzlich noch ein modernes Sporthotel. Seither zieht es Top-Fußballer aus aller Welt nach Marienfeld, wo sie immer mal wieder für Gesprächsstoff sorgen, wie der frühere Schalke-Manager Rudi Assauer, der sich zum Leidwesen der Hotelbetreiber einst in der Sauna genüsslich eine Zigarre anzündete.

Pokalsammler im Tennis und Tischtennis

Herausragenden Spitzensport hat es im Kreis Gütersloh in den vergangenen 50 Jahren natürlich auch abseits des Fußballs gegeben. In den 80er- und 90er-Jahren sorgte die Spvg Steinhagen im Tischtennis für Furore. Die erste Damen- und Herrenmannschaften stiegen von der Kreisklasse in die Bundesliga auf und sammelten national und international Erfolge, bis sich der für die Sponsorenakquise zuständige Manager Rüdiger Lamm lieber verstärkt um Arminia Bielefeld kümmerte. Besonders erfolgreich waren die Steinhagener Frauen, die sich von 1989 bis 1994 sechsmal hintereinander die deutsche Meisterschaft sicherten. 1992 und 1993 holten sie den Europapokal der Landesmeister. Mit Nicole Struse, Katja Nolten, Jie Schöpp, Jin-Sook Cords und Cornelia Faltermaier stand damals fast die komplette Damen-Nationalmannschaft in Steinhagen an der Platte. Doch die zwischenzeitliche Euphorie – es kamen bisweilen mehr als 1.000 Zuschauer zu den Spielen – ebbte ab. Nach Querelen zwischen Verein und Manager wurden 1994 kurzfristig beide Teams aus der Bundesliga abgemeldet. Lamm war nach eigener Aussage „nicht mehr bereit, Spiele für 84 Zuschauer zu organisieren“. Die Ära war jäh vorbei. Die Halle ist 2021 abgerissen worden – heute steht hier ein modernes Sportzentrum.
Als fleißiger Pokalsammler erwies sich auch der TC Blau Weiss Halle, der zwischen 1994 und 2018 zu den erfolgreichsten Tennisvereinen Deutschlands gehörte. Gleich fünfmal holten sie in der Zeit den Mannschaftstitel in die Lindenstadt. 2018 wurde das Team aus der Bundesliga zurückgezogen, weil dem Verein schlichtweg das Geld ausgegangen war, um weiterhin erstklassig aufschlagen und retournieren zu können. Grund dafür waren die finanziellen Schwierigkeiten, in denen der Hauptsponsor Gerry Weber geraten war. 2018 war auch das letzte Jahr, in dem das große heimische Tennisturnier noch den Namen des Modekonzerns trug – anschließend gab es neue Geldgeber für das bekannte Rasenturnier, bei dem sich die männlichen Tennis-Cracks wie Henri Leconte, Michael Stich oder Alexander Zverev auf Wimbledon vorbereiteten. Seriensieger ist ein anderer: Roger Federer triumphierte gleich zehnmal in HalleWestfalen, zuletzt 2019. Zum Dank hat die Stadt eine Straße nach ihm benannt: Seit 2016 führt die „Roger-Federer-Allee“ zur OWL-Arena.

Zweiräder mit und ohne Motor

Aufsehenerregender Spitzensport, der ein Millionenpublikum vor dem Fernseher faszinierte, wurde über einige Jahre ebenfalls in Harsewinkel geboten. Im Emstalstadion feierte etwa Motorrad-Legende und Hobby-Schlagersänger Egon Müller („Racing is my life“) große Erfolge, die damals noch von der ARD-Sportschau ausführlich gewürdigt wurden. Stadt und ADAC hatten den MSC Harsewinkel beim Bau eines Stadions unterstützt, so dass die Stars der Gras- und Sandbahnrennszene hier nur allzu gerne für Krach und Staub sorgten. Auch heute noch wird im Emstal Motorsport großgeschrieben: Sandbahnrennen, Super Moto Rennen, Kartrennen stehen hier ebenso auf dem Programm wie Automobil- oder Jugendkartslalom. Die „Sportschau“ lässt sich allerdings längst nicht mehr blicken.
Beim nicht motorisierten Zweiradrennsport ist es der ursprünglich aus Steinhagen stammende Jörg Ludewig, der als Radprofi überregionale Aufmerksamkeit erzielte – nicht nur bei seinen drei Teilnahmen bei der Tour de France. Ludewig fuhr auch im Trikot des RSV Gütersloh, der eine lange Tradition aufweist und in den 70ern, 80ern und 90ern etliche Erfolge verbuchen konnte, etwa die Jugendmeisterschaft 1976 im Straßenrennen.
Ein besonderes Event, bei dem sich Breitensport und Leistungssport die Hand reichen, war seit jeher die Lauf-Veranstaltung „Die Nacht von Borgholzhausen“. Auf der Siegerliste konnte sich 1979 Wolf-Dieter Poschmann eintragen, der später als ZDF-Reporter Sportereignisse kommentieren sollte. In Pium hätte er in all den Jahren einiges zu berichten gehabt – etwa als Ausdauerbarde Gunter Gabriel („Hey Boss, ich brauch mehr Geld“, „Papa trinkt Bier“) 1983 am Lauf teilnahm, nicht ohne zwischenzeitlich einen Privatgarten an der Strecke aufzusuchen und um Grillgut zur Stärkung zu bitten.*

Der letzte Cowboy aus Marienfeld

Einer der erfolgreichsten Kreis-Sportler überhaupt ist Jannis Drewell aus Steinhagen, der 2015 in Aachen Europameister im Voltigieren wurde und ein Jahr später Bronze bei der WM in Le Mans holte. Es folgten zahlreiche Medaillen und Meisterschaften, bis er sich 2021 plötzlich aus dem Reitsport verabschiedete. „Nach 22 Jahren Voltigieren ist nun Schluss. Ich bin unglaublich dankbar und glücklich, dass ich eine solche Karriere erleben durfte“, schrieb er auf Facebook und dankte allen Wegbegleitern.
Einer, der auch irgendwie etwas mit Pferden im Kreisgebiet zu tun hat, ist Hermann Gerland. Der Fußballtrainer kaufte 1999 in Marienfeld einen Bauernhof, um Turnierpferde zu züchten. Als Coach von Arminia Bielefeld hatte er damals weniger Erfolg. Als er einen Drohanruf von einem Fan erhielt, antwortete Gerland kurzerhand: „Junge, kein Problem. Komm vorbei, ich wohne Adenauerstraße 95. Ich ziehe mich wieder an, dann gehe ich raus und warte eine Stunde auf dich“, heißt es in seiner Biografie. Gerland wartete, doch der Anrufer tauchte nicht auf. Der letzte Cowboy aus Marienfeld besitzt den Hof noch heute.

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