Der Frauenfußball boomt. Doch an der Basis steht der Mädchenfußball oft noch im Schatten der Junioren – zum Glück nicht überall, wie eine kleine Tour von Werther nach Bielefeld zeigt.

Text: Andreas Beune . Fotos: Yvonne Gottschlich

Wenn es mal auf dem Platz nicht läuft, kann man einfach den Blick zum nahen Teutoburger Wald genießen. Am Meyerfeld ist die Fußballabteilung des BV Werther zu Hause – mit Natur- und Kunstrasenplatz und einem Verkaufswagen, an dem es an Spieltagen verführerisch nach Bratwurst, Pommes oder Kaffee duftet. Viele Gründe, sich am Meyerfeld mit der Landschaft oder kulinarischen Köstlichkeiten abseits der Spielfelder zu beschäftigen, gibt es aber nicht. Für ansehnlichen höherklassigen Fußball sind in Werther seit Jahren die Frauen zuständig. Das erste Frauenteam spielt in der aktuellen Spielzeit 2023/24 in der Westfalenliga, das zweite in der Bezirksliga. Die Juniorinnen sind ebenso überregional unterwegs, auch wenn die B-Juniorinnen nach dem Abstieg aus der Westfalenliga nun in der Bezirksliga auflaufen. Bei den Männern ist der Ligaalltag ein anderer. Die erste Männermannschaft kickt einige Ligen darunter in der Kreisliga B, die Jugendteams in der Kreisliga A.
Dass der BV Werther im Frauenfußball eine starke Adresse ist, hat Tradition. Seit 25 Jahren gibt es in der Böckstiegel-Stadt Frauenfußball. Im Altkreis Halle/Westfalen, dessen Teams zum Fußballkreis Bielefeld gehören, schreibt der Verein damit eine Geschichte weiter, die bereits 1971 begann. Erst Ende 1970 hatte der DFB-Bundestag das ursprünglich 1955 beschlossene Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. Kurz danach hatte die SG Oesterweg lokale Pionierarbeit geleistet und ein Frauenteam ins Leben gerufen. In den 1980er-Jahren wechselten einige Spielerinnen zum Ortsnachbarn nach Peckeloh, wo seither der Frauen- und Mädchenfußball kontinuierlich gefördert wird. Die Frauen des SC Peckeloh spielen aktuell in der Bezirksliga, in der mit der Spvg. Steinhagen, TuS Langenheide und dem SV Häger auch weitere Teams aus dem Kreis mitmischen. Und eben die Zweite des BV Werther.
1998, als in Werther mit dem Frauenfußball alles begann, verlief es zunächst gar nicht so vielversprechend. 2:14 ging das Premierenmatch gegen die zweite Mannschaft von Viktoria Clarholz verloren. „Einige von uns sagen bis heute, dass das die schlimmsten 90 Minuten ihres Lebens gewesen wären“, erinnert sich Nina Schalles im „Haller Kreisblatt“. Die damalige Spielerin war aus Jöllenbeck zum BV Werther gewechselt. Während sie bei ihrem alten Verein das Gefühl hatte, dass das Frauenteam nur so nebenher laufe, wäre das in Werther anders gewesen.
„Die Förderung des Frauen- und Mädchenfußballs gehört seit Jahren zu unseren zentralen Zielen“, bekräftigt Henning Niebuhr, Fußballabteilungsleiter beim BV Werther. „Unser Wunsch ist es, in erster Linie mit Eigengewächsen erfolgreich zu sein.“ Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums hat der Verein im August zwei besondere Turniere ausgerichtet: Das Bezirksligateam kickte zunächst gegen die Spvg. Steinhagen, den SC Peckeloh und den VfB Schloß Holte. Anschließend stellte sich die erste Mannschaft den Spielerinnen der Regionalligisten vom Hamburger SV, FSV Gütersloh und Arminia Bielefeld.
Ein Highlight wie dieses hochkarätige Turnier kann auch wieder neue Fußballerinnen anlocken. „Mädchen für den Vereinsfußball zu begeistern, ist insgesamt durchaus schwierig“, gibt Henning Niebuhr zu. „Wir bieten zum Beispiel Talenttage an oder kooperieren mit den örtlichen Grundschulen. So möchten wir nach der Corona-Auszeit in Zukunft wieder Grundschul-Cups ausrichten.“ Der Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen (FLVW) fördert seit Jahren entsprechende „Tage des Mädchenfußballs“, die sich speziell an Kinder ohne Vereinsmitgliedschaft richten.
Generell erlebt der Frauenfußball in Deutschland gerade einen Aufschwung. 17,7 Millionen Zuschauer sahen 2022 das EM-Finale der Frauen zwischen Deutschland und England – diese Quote erreichte die Männer-Nationalelf bei der WM im selben Jahr nicht. Die Zahl der Besucher bei den Spielen der Frauen-Bundesliga steigt ebenso wie die der Zuschauer bei den TV-Übertragungen. Für „Equal Pay“ im Fußball setzt sich sogar der Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich ein.
Laut Mitgliederstatistik spielen 2023 insgesamt 195.968 Frauen und Mädchen Fußball unter dem Dach des DFB. Die Zahl steigt. Dieser Trend ist jedoch recht jung. Zwischen den Saisons 2016/17 und 2020/21 spielten immer weniger Frauen und Mädchen Fußball, und auch die Anzahl der gemeldeten Mannschaften sank kontinuierlich. Nach dem Ende der Corona-Pandemie und erfolgreichen Auftritten der Frauennationalmannschaft hat das Interesse wieder zugenommen.
Während Vereine bei Jungs häufig sogar Wartelisten führen müssen, da die Nachfrage so hoch ist, sieht das bei Mädchen anders aus. Die Mehrzahl der Vereine im Fußballkreis Bielefeld hat gar keine Mädchenmannschaften. Von den Bambinis bis zur E-Jugend spielen Jungs und Mädchen meistens zusammen in einer Mannschaft. Für die E-Juniorinnen gibt es mittlerweile eine eigene OWL-Nord-Staffel, in der fünf Teams antreten, darunter ist eine Mannschaft aus dem Fußballkreis Bielefeld. Ein paar E-Juniorinnen spielen in einer Liga mit F-Junioren.
Wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen sind, zeigt ein Blick in die Ligen der 11- und 12-Jährigen der Saison 2023/24. So spielen bei den D-Juniorinnen in der Kreisliga A, der sogenannten Liga OWL Nord, in zwei Staffeln insgesamt 13 Teams. Mit dem SC Bielefeld 06/24, TuS Quelle und BV Werther kommen davon drei aus dem Fußballkreis Bielefeld, die anderen Teams stammen aus benachbarten Kreisen wie Herford oder Lemgo. Zum Vergleich: Bei den gleichaltrigen Jungs sind alleine im Fußballkreis Bielefeld 62 Mannschaften gemeldet, im Kreis Herford sind bei den D-Junioren auf Kreisebene 38 Juniorenteams aktiv. Zudem spielen wenige Mädchenteams wie die vom DSC Arminia Bielefeld in dieser Altersklasse gegen die Jungs.
Wer sich bei Spielerinnen aus dem Fußballkreis Bielefeld umhört, ahnt, dass der Weg zur Gleichberechtigung kein leichter ist. Bei Fragen nach den attraktivsten Trainingszeiten, Zuschüssen für die Ausrüstung oder Kostenübernahme für ein Trainingslager stehen bei vielen Clubs die Herren- und Junioren-Teams eindeutig im Vordergrund.

Starke Vorbilder für den Nachwuchs: Die 1. Frauenmannschaft des BV Werther spielt in der Saison 2023/24 in der Westfalenliga.

„Beim BV Werther kommunizieren wir auf Augenhöhe“, betont der Abteilungsleiter. Ein wichtiger Aspekt der Vereinsarbeit sei die Qualifizierung der Trainierinnen und Trainer. Entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen werden gefördert. Was die Vereinsführung besonders freut: Spielerinnen und Spieler aus dem Seniorenbereich sind als Coaches bei Jugendteams im Einsatz. „Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl im Verein.“
Inwiefern die vom DFB offiziell beschlossene Reform des Kinderfußballs sich positiv auf die Entwicklung des Mädchenfußballs auswirken kann, vermag Henning Niebuhr nicht vorherzusehen. Die vieldiskutierten Änderungen werden 2024 in Kraft treten und sehen unter anderem altersabhängig kleinere Spielfelder und Mannschaftsgrößen vor. Die neuen Spielformen hätten sicher Vorteile gerade für Kinder, die sich sonst nicht so in Szene setzen könnten. Zugleich sieht er es skeptisch, dass Ergebnisse immer weiter in den Hintergrund rücken. Ganz allgemein fühlt er sich bei der großen Reform des Kinderfußballs von Fußballverband und -kreis im Stich gelassen. „Die Anschaffung der kleineren Tore ist für den Verein ebenso eine Herausforderung wie die Platzorganisation an den Spieltagen.“
Mit der Frage, wie sich Gleichberechtigung im Fußball erreichen lässt, beschäftigt sich seit dem Sommer 2023 ein neues Projekt „Klischeefrei im Sport – no stereotypes“, das auch in Ostwestfalen zu Hause ist. Ein Ziel des Projekts: Mit praxisorientierten Angeboten und medialer Aufklärungsarbeit die Entwicklungsmöglichkeiten und Teilhabe aller Menschen am Sport nachhaltig zu stärken. Zusammengefunden haben sich dafür das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit (kompetenzz) mit Sitz in Bielefeld, der Deutsche Fußball-Bund und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Klischees verhindern, dass Mädchen und Frauen den Zugang zum Fußball finden“, erklärte Professor Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit, bei der Präsentation des Projekts zur Bedeutung der Sichtbarkeit von Vorbildern für die Gewinnung des Fußball-Nachwuchses. „Wir wünschen uns einen Fußballsport, in dem Frauen ausreichend repräsentiert und als Vorbilder sichtbar sind, als Spielerinnen, Schiedsrichterinnen, Trainerinnen und Funktionärinnen.“
Das Projekt hat ein erstes sogenanntes Factsheet zur Sichtbarkeit von Sportlerinnen in den Medien veröffentlicht, das aufzeigt, dass der Weg zu Chancengleichheit und Gleichberechtigung steinig ist. So bekamen Sportlerinnen im Jahr 2021 abgesehen von Großveranstaltungen durchschnittlich nur 10 Prozent der medialen Aufmerksamkeit in der Sportberichterstattung. „In den Redaktionen müssen noch viel mehr Reporterinnen, Redakteurinnen und Chefinnen ihren Platz finden, um die Sportberichterstattung vielfältiger und klischeefrei zu gestalten“, wird Prof. Ilse Hartmann-Tews von der Deutschen Sporthochschule Köln, Institut für Soziologie und Genderforschung, zitiert. „Denn Frauen und Fußball? Das passt zusammen – egal ob auf dem Rasen oder hinter dem Mikrofon!“

Infos: www.bvwerther.de / www.klischeefrei-sport.de

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