102.393 – so viele Einwohner leben in Gütersloh. Und das bedeutet: Gütersloh ist nicht nur Kreis-, sondern auch Großstadt. Und drumherum? 1.372 landwirtschaftliche Betriebe mit insgesamt 52.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche: Der Kreis Gütersloh ist klar als „ländlich“ definiert – und das trotz all der wirtschaftlichen Hotspots. Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld, Eigentümer vom Meierhof Rassfeld, betreibt einen der bekanntesten Höfe Güterslohs gewissermaßen innerhalb der Stadtmauern und schlägt damit die Brücke vom Land zur Stadt.

Text: Jessica Kaup . Fotos: Detlef Güthenke

Mähdrescher rütteln über die Berliner Straße, Maisacker und Kornfelder säumen den Stadtring, und immer wieder grasen Pferde auf kleinen Weiden inmitten von Wohngebieten. Hier kräht ein Hahn im Vorgarten, dort hört man Schweine grunzen aus einem Gehöft in zweiter Reihe. Gütersloh – die Großstadt. Gütersloh, das Dorf. Rustikal. Erdverbunden. Und wenn große Immobilienportale den Kreis und seine Kreisstadt mitten in der Westfälischen Bucht charakterisieren, fallen Sätze wie „Die Region ist klar als ländlich definiert“. Der Einfluss von Teuto und Senne, vom kantigen Münsterland und dem traditionsreichen Bistum Osnabrück werden geltend gemacht, um diese Bodenständigkeit zu begründen. Eine Bodenständigkeit mit engem Verbund der Menschen: Wer von Gütersloh einmal hinaus in die Welt gelangt ist und nach Jahren fern der Heimat beim weihnachtlichen Turmblasen am ESG Lehrer, Mitschüler und die Clubkameraden des Tischtennisvereins trifft, der weiß, wovon ich spreche, und der spürt, dass von den mehr als 100.000 Einwohnern das Gros aus Einheimischen besteht – so wie das „auf dem Land“ eben üblich ist.
Als ländliches Idyll präsentiert sich auch der Meierhof Rassfeld. Dort, wo sich Brockhäger Straße und Hollerstraße gabeln, betreibt Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld gemeinsam mit seiner Frau Iris und seinen drei Kindern eine Landwirtschaft, die sich an die Nähe zur Stadt angepasst hat und das Beste daraus macht. Behaupten allerdings muss er sich hier mehr als anderswo.

Flächenfraß macht Druck
„Ich muss stark und permanent um meine Ländlichkeit kämpfen“, berichtet Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld von dem Flächendruck, dem er – wie seine Kollegen – ausgesetzt ist. Beim Blick auf die Landkarte des Kreises wird deutlich: Der Anteil der landwirtschaftlich genutzten Flächen an der Gesamtfläche im Kreis Gütersloh schrumpft – Jahr für Jahr verlieren die Landwirte im Kreis Gütersloh Ackerfläche und Grünland. Denn der Flächenfraß durch Straßen-, Wohnungs- und Gewerbebau ist enorm. Grund dafür: die boomende Wirtschaft, der das Land Tribut zollt und die nicht nur Gewerbe-, sondern auch Wohnflächen fordert. Darüber hinaus suchen finanzkräftige Bürgerinnen und Bürger nach Möglichkeiten, Kapital in Form von Immobilien und Land anzulegen. Last but not least zersetzt auch der Ausbau der Infrastruktur Flächen – bestes und jüngstes Beispiel: Die A 33, die zudem eine Reihe von Zwangsumsiedlungen nach sich zog, und viele Landwirte zur Aufgabe ihrer Höfe zwang. Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld weiß, wie begehrt seine Flächen sind. Hat er früher immer wieder Land veräußern müssen, so tauscht er es heute nur noch gegen „wertgleichen Grund und Boden.“ Sonst, so der Landwirt, würde man die eigene Lebensgrundlage nach Art der Salamitaktik aufgeben. Und das will er nicht, denkt hingegen dynastisch. „Ich möchte den Hof für meine Nachfahren erhalten. Das geht aber nur, wenn eben noch genügend Land da ist, das bewirtschaftet werden kann.“
Haver-Rassfeld hat der Stadt nicht nur Fläche abgeben müssen, sondern stellt sie auch für allgemeine Interessen zur Verfügung. „Ich lasse es zu, dass eine Reihe von Versorgungsleitungen über mein Land laufen. Gas, Strom, Wasser und Telekommunikation, all das fließt gewissermaßen durch meinen Besitz.“

Stadt und Land gemeinsam stark
Haver-Rassfeld fühlt sich als Partner der Stadt Gütersloh und ist klar der Meinung, wenn man als Landwirt so städtisch lebt und agiert wie er am Meierhof, muss man viel für ein gutes Miteinander tun: „Wir müssen uns der Lage ein Stück weit anpassen ohne unsere landwirtschaftliche DNA aufzugeben“, sagt er und nennt ein Beispiel: „Wir hatten Rinder. Eine große Mutterherde. Die Kühe mussten täglich über die Kreisstraße getrieben werden – das bedeutete zweimal am Tag Straßensperrung für einige Minuten. Vor 30 Jahren ging das noch einigermaßen, aber heute funktioniert das einfach nicht mehr. Wir haben uns dann zum Wohl der Tiere und aus Rücksicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern entschlossen, kein Rindvieh mehr zu halten, denn ohne die Möglichkeit zum stressfreien Weideaustrieb kommt das für uns nicht in Frage.“ Der Meierhof Rassfeld ist seit einigen Jahrzehnten auf Puten spezialisiert und der einzige Neuland zertifizierte Hof deutschlandweit, der Puten ganzjährig auf dem Freiland hält. „Die Geflügelhaltung passt zu unseren räumlichen Gegebenheiten und lässt sich selbst im Stadtgebiet ökologisch vorbildlich darstellen“, meint Haver-Rassfeld über sein Putenparadies, in dem sich rund 5.000 Puten in unterschiedlichen Altersgrößen auf den weitläufigen Wiesen rund um das Anwesen tummeln. Neben dieser Nutztierhaltung setzt man auf dem Meierhof Rassfeld auf drei weitere Säulen, die ebenfalls der städtischen Nachbarschaft geschuldet sind: Den Hofladen, die Mietgastronomie und die Vermietung von Wohn- und Geschäftsraum. „Das sind alles Betriebsfelder, die gut in den stadtnahen Bereich passen und eben entsprechen gut ankommen“, begründet der modern denkende und agierende Landwirt die Entwicklung seines Betriebes, der nicht nur mit den Spezialisierungen punktet, sondern auch mit einer ganz neuen Art der Offenheit: „Ich muss mich hier als Bauer anders aufstellen als in einem Flächenland, wo die Höfe auf einer Scholle für sich liegen. Ich bin Bürger, Dienstleister und muss mich kommunikationsstark einbringen.“ Das sei nicht allen Landwirten in die Wiege gelegt … Bei Haver-Rassfelds aber gehören Verbrauchernähe, Transparenz und eine gute Kommunikation zum Alltagsgeschäft. „Die städtischen Bürgerinnen und Bürger sind in der Regel recht kritische Verbraucher“, weiß Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld. Ihm ist wichtig, dass er zeigt, wie es auf dem Meierhof läuft: „Getreide, Mais und Zwischenfrüchte bauen wir an und sind damit Selbstversorger in einem geschlossenen System. Das Futter für unsere Puten produzieren wir so, und der Mist kommt in die Biogasanlage zur Stromerzeugung und anschließend als Dünger auf das Land.“ Um die Landwirtschaft, der oft ein rauer Wind entgegenweht, erfahrbar zu machen, sind häufig Kitas und Schulen zu Gast und Besucher willkommen. Friedrich Wilhelm Haver-Rassfeld und seine Familie sehen die enge Verknüpfung zwischen Stadt und Land, wie sie im Kreis Gütersloh herrscht, als eine Win-Win-Situation: „Neben den höfischen Produkten und der Möglichkeit, bei uns in idyllischem Rahmen kräftig zu feiern, bieten wir mit den zum Betrieb gehörenden Land- und forstwirtschaftlichen Flächen einen hohen Naherholungswert – und zwar unentgeltlich!“ Auch die Kulturlandschaft rund um die im Landschaftsschutzgebiet gelegene Hofstelle wird von der Familie gehegt und gepflegt. Insgesamt unterhält der Betrieb gut vier Kilometer private Wege und Hofflächen für die Nutzung durch gern gesehene Besucher des Hofes.
„Aber auch wir profitieren von der Nähe zur Stadt – allem voran durch die vielen Kundinnen und Kunden für unsere Angebote und die kurzen Wege zu Arzt, Schule, Einkauf und natürlich auch zur Gastronomie inmitten der Stadt …

Der Meierhof Rassfeld blickt auf eine fast 1000-jährige Geschichte zurück. Im Jahre 1088 wurde der am Schlangenbach in der Bauernschaft Blankenhagen gelegene Hof erstmals urkundlich erwähnt. Seitdem ist er im Besitz der Familie Meier zu Rassfeld. Die gesamte historische Hofanlage steht unter Denkmalschutz. Ganz viel Historie also – ohne allerdings von Gestern zu sein.

Ist Gütersloh nur ländlich oder doch auch ein bisschen kosmopolitisch? „Wir haben hier viele starke Unternehmen, die weltweit verknüpft sind. Das macht uns eben auch zu einem wirtschaftlichen Knotenpunkt mit weitreichender Vernetzung. Unsere Unternehmen allerdings sind – auch wenn es sich neben den vielen mittelständischen Betrieben um Global Player handelt – in der Region verwurzelt. Die größtenteils traditionsreichen Unternehmen wissen wo ihr Ursprung ist und leben diese Bodenständigkeit auch in der hochmodernen Business-Welt.“

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