Foto: Detlef Güthenke
Der Sandboden ist schuld! Das jedenfalls ist die These von Jörg Sundermeier, angesprochen auf die berühmte Sturheit des hiesigen Menschenschlags. Der Chef vom Berliner Verbrecher Verlag bohrt den ostwestfälischen Holzkopf historisch an. Warum gerade er? Weil der Journalist und Buchautor in Verl aufgewachsen ist! Das allein ist Referenz genug. Doch als Verfasser der „Heimatkunde Ostwestfalen“ hat er sich darüber hinaus qualifiziert …
Westfäölske Dickköppe
Sind wir auch stur und bodenständig, bedächtig eher als sehr wendig, so sind wir doch von Herzen ehrlich der Heimat treu und zuverlässig. Westfalen teilt sich in Regionen, wo jeweils Untergruppen wohnen, in Münster-, Sauer-, Siegerland, auch Ostwestfalen ist bekannt. Verpflanzt man uns doch in die Ferne so mögen wir uns alle gerne dann ist’s für uns das größte Glück geht’s heimatwärts zurück.
Achim Schmidtmann
Marktführende Weltkonzerne, agile Mittelständler, Kernindustrien von Mett bis Mode – rund um Gütersloh wirtschaftet es sich gut! So blühend war der Landkreis, der Gütersloh umzirkelt, nicht immer! „Gott erschuf in seinem Zorn, die Senne bei Paderborn“, so jedenfalls ist es niedergeschrieben. Vielleicht steht auch irgendwo: „… und noch immer nicht recht froh, schuf er den Boden rund um Gütersloh …!“
Er ist fast weiß, der sandige Untergrund im Kreise Gütersloh, der jede Wanderdüne vor Neid erblassen lässt. Er ist locker und leicht. Für violettes Heidekraut und himmelblaue Sandglöckchen ist das ja ganz schön. Nahrhaftes hingegen gedeiht nur kümmerlich! Und das war für unsere Vorfahren wirklich schlimm!
Denn alles, was der trockene nährstoffarme Sandboden an Erträgen abwarf, war weniger als wenig. Bitter war die Armut – zumindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Dann brachte Justus Liebigs Erfindung des Kunstdüngers die Wende und säckeweise Fruchtbarkeits-Booster, die in die ostwestfälische Wüste geschickt wurden. Der Rest ist Geschichte. Doch: In all den kargen Jahre von anno dazumal hatte längst die Stunde des ostwestfälischen Holzkopfes geschlagen, sich in der historischen Wahrnehmung verwurzelt und stur, wohl aber nicht stumpf, seine Schneise bis kurz vorm Heute geschlagen.
Arm, aber stolz
Obwohl als Holzkopf verschrien, trug der Ostwestfale sein Haupt hoch, auf geradem Rücken und starken Schultern. Er liebte sein karges Stück Boden und zeigte sich gleichermaßen „erdeinig“ und heimatverbunden. Genau diese ungewöhnliche Mischung aus Armut und Stolz irritierte vor Jahrhunderten Reisende, wurde als überaus beachtenswert beschrieben und war dem Journalisten Georg Weerth 1845 sogar eine lange Reportage über „Die Armen von der Senne“, wert. Die schlugen sich – und das hat auch Jörg Sundermeier gleichermaßen recherchiert – in ihrem Elend mundfaul und wortkarg durchs Leben; sie waren richtige Knötterpötte und nölten auch gerne mal; sie taten sich bescheiden an Steckrüben-Eintopf und Pickert gütlich und konnten eines ganz vorbildlich: sparen nämlich.
„Der Ostwestfale“, sagt Sundermeier, „ist nicht gewohnt, mit viel Geld umzugehen“. Er steckt(e) es in seinen Sparstrumpf und hortet weiter. Weder benötigt, noch macht er viel Gedöns um nix. Gerade auch, was seine Klötten angeht! Der Knieperkopp benutzt zunächst, was er hat, flickt, bessert aus, repariert, trägt auf. Ein neuer Wintermantel? Warum? Der geerbte von Tante Christa ist doch erst 15 Jahre alt. Kein Wunder, dass es heißt: „Was in Berlin Mode ist, kommt im Kreis Gütersloh zehn Jahre später an“. Und da sich die Uhren in OWL ein wenig langsamer drehen als anderswo, gibt es zwischen Dalke und Ems sicherlich immer noch mehr Drämelpötte als an den Ufern von Spree oder Rhein.
Der Ostwestfale ist mit seiner eher hölzernen Mentalität nicht allein auf weiter Flur: Die Friesen, so Jörg Sundermeier, könnten uns Ostwestfalen auch schon mal ausschweigen und den Spannungsbogen zwischen Skepsis und Zögern sehr straff ziehen. Bei ihnen wird man keinen Wortschwall erleben, vielmehr bedächtige Pausen – und für die ist eben auch der Ostwestfale bekannt, beim dem gerne einige Bierchen zwischen ein beharrliches Nö und ein kräftiges Jau passen.
Meinungsstark und pragmatisch
Das Bewahrende findet sich nicht nur im Haushalten – im Umgang mit Dingen und Geld wieder, sondern auch im Umgang mit Ideen, Meinungen. Der Ostwestfale entscheidet schnell – dabei durchaus abwägend, bescheinigt Sundermeier. Was ihn dabei als Holzkopf kennzeichnet? „Einmal entschieden, ändert er seine Meinung nur höchst ungern und lässt sich nur schwer korrigieren.“ Ja, es bedarf schon einer großen Portion Unbeirrbarkeit, Durchhaltevermögen und offensichtlich unschlagbarer Argumente, um hiesige Menschen dann doch noch vom Gegenteil zu überzeugen. Aber, und darauf legt Jörg Sundermeier großen Wert: „Lässt sich der Ostwestfale eines Besseren belehren, so tut er das mit einer tiefen Einsicht und von ganzem Herzen.“ Und das ist doch wirklich liebenswert.
Sundermeier attestiert dem hiesigen Menschenschlag zudem eine gesunde Portion Pragmatismus – den westfälischen Edling Widukind, der seinerzeit erbittert gegen die Franken kämpfte und sich schließlich christlich taufen ließ, führt der Fachmann dafür historisch ins Feld. An diesem
Beispiel sähe man sehr schön: Der Ostwestfale verteidigt sein Hab und Gut zwar mit eherner Lanze, fügt sich angesichts einer drohenden Niederlage und im vollen Bewusstsein von Ausweglosigkeit dann jedoch in sein Schicksal. Der Holzkopf ist demnach keinesfalls ein Synonym für tumbes Beharren, sondern lässt bestenfalls eine gewisse Anpassungsfähigkeit zu.
Die hiesigen Holzköpfe sind also keine Hohlköpfe!
Außer: sie sind ein wenig morsch im Gebälk – vielleicht weil sie sich einmal zu oft einen hinter die Birne gekippt haben … In der Regel aber wissen ostwestfälische Dickköpfe sehr wohl: „Sowas kommt von sowas“ und handeln nach der Devise „Wat mutt, dat mutt“. Sie agieren dabei durchaus rascher als sie sprechen. Denn was anliegt, wird „sobutz“ erledigt und nicht erst hundertmal in Gedanken durchgespielt – so wie es Kuxköppe eben machen.
Achtung, Fremdling!
Auch wenn hiesigen Dickköpfen viel Liebenswertes anhaftet – die Zuwanderung in den Kreis Gütersloh hielt sich ob seiner Armseligkeit früher in Grenzen: Keine halbwegs rechnende Familie hielt eine Zukunft auf dem blinden Fleck der Landkarte für lebenswert und verheiratete seine Söhne oder Töchter hierher. Man blieb demzufolge unter sich. Daher rührt die tiefe Skepsis allem Fremden gegenüber. Wobei sich die Fremdartigkeit gar nicht erst in einer anderen Sprache, Religion oder gar Hautfarben manifestieren musste, sondern bisweilen schon am Eingang zum nächsten Dorf begann: Der harte, wettergeprägte Herzebrocker misstraute dem harten, wettergeprägten Clarholzer. Der ruppig direkte Schloss Holter beäugte den ruppig direkten Stukenbrocker mit Argwohn. Bis das erste Mal „Wo bisse wech?“ in freundlichem Tonfall gefragt wurde, dauerte. Bisweilen Dekaden. Doch das ist lange her …