Der Kreis Gütersloh mag für viele eher für seine Wirtschaft und Industrie bekannt sein, doch versteckt sich hier auch eine lebhafte und pulsierende Jazzszene mit zwei außergewöhnlichen Jazz-Clubs. Wir tauchen ein in die faszinierende Welt des Jazz …

Text: Sybille Hilgert . Fotos: Andreas Kirschner, Rainer Stephan

FARMHOUSE Jazzclub Harsewinkel
Ein ganz besonderer Jazzclub

Der Kreis Gütersloh hat ein Herz für den Jazz. Nicht nur der Jazz-Preis des WDR wurde lange Jahre in Gütersloh verliehen, auch einer der ältesten Jazzclubs Deutschlands ist hier zu Hause: Im Farmhouse Jazzclub Harsewinkel geht es schon seit 1963 (nicht nur) um den Jazz.

In den 1960er-Jahren gab es in Deutschland ein regelrechtes Jazz-Revival, das auch Ostwestfalen erfasste. Rund um Jochen Belz bildete sich damals in Versmold eine Jazzband, die auf den zahlreichen Tanzveranstaltungen der Gegend spielte, unter anderem im Hotel Poppenborg in Harsewinkel. Nach einer dieser Veranstaltungen, dem sogenannten Jazzbandball, entstand dann im Dezember 1962 die Idee zur Gründung eines eigenen Clubs.

Vom Jazzbandball zum Clubkonzert
Bereits im Februar 63 war die Planung vorangeschritten, ein Domizil anvisiert und eine Satzung in Anlehnung an den damaligen Rhedaer Jazzclub entworfen. Diese wurde am 29. Juni 1963 in Prövestmanns Kotten unterzeichnet. Obwohl es Widerstände aus der Bevölkerung gab, fand bereits Silvester 1963 die erste Party im Club statt. Ab 1965 gab es dann erste Konzerte. Jetzt lud man Musiker, wie etwa den legendären Gitarristen Ali Claudi ein, live zu spielen. In der Anfangszeit übernachteten die Musiker noch bei den Club-Mitgliedern, weil man Hotelkosten sparen wollte. Daraus wurden dann so lange Nächte, dass die Musiker zum Teil nicht mehr in der Lage waren, am nächsten Morgen zu fahren und sich entschlossen, noch einen Gig zu spielen. Daraus entstand die Tradition der kombinierten Samstags- und Sonntagskonzerte, die bis heute besteht. Sie beginnen samstags ab 19 Uhr und werden sonntags ab 12 Uhr als Matinee fortgesetzt.

Club mit eigenem Haus
„Bei uns gibt es schon einige Dinge, die uns von anderen Clubs unterscheiden. Und dazu zählen die „Doppelkonzerte””, so Dr. Felix Oestersötebier, seit 2021 Vorstandsvorsitzender des Clubs. Außerdem ist es ungewöhnlich, dass ein Jazzclub ein eigenes Gebäude besitzt. Zu diesem gehört auch ein großer Außenbereich, der im Sommer zum beliebten Open-Air-Veranstaltungsort wird. Das heutige Farmhouse, etwa sechs Kilometer außerhalb von Harsewinkel, pachtete der Club 1973. Die alte Stallung wurde von den Clubmitgliedern eigenhändig renoviert und 1975 mit einem Konzert der „Blackbirds of Paradise“ eröffnet. 1993 kündigte die Erbengemeinschaft, der das Haus gehörte, den Pachtvertrag und wollte verkaufen. Der Jazzclub brachte in einer großen Gemeinschaftsleistung den Kaufpreis auf, und seitdem ist das Haus Eigentum des Farmhouse Jazzclubs. „In anderen Jazzclubs zahlt man einen Mitgliedsbeitrag, aber eine verpflichtende ehrenamtliche Arbeit gibt es nicht”, so Oestersötebier. „Weil hier jeder mithilft und jeder jeden kennt, herrscht bei uns eine sehr familiäre Atmosphäre. Auch das ist eine Besonderheit unseres Clubs.” Zurzeit gibt es etwa 50 Mitglieder, von denen aber nicht mehr alle aktiv sind. Im Laufe der Jahre spielten viele internationale Bands und Musiker aus mehr als 25 Nationen  (England, Schweden, Dänemark, Polen, Ungarn, Holland, Schweiz, Schottland, Zimbabwe, Kenia und den USA) im Harsewinkeler Jazzclub. Legendär ist auch die Riverboatshuffle auf dem Kanal in Münster, die der langjährige Vorstandsvorsitzende Jochen Belz organisierte.

Kinder sind gerngesehene Gäste
Oestersötebier, der das Programm seit 2017 verantwortet, wünscht sich ein möglichst „buntes” Publikum und bietet darum, ein breitgestreutes abwechslungsreiches Programm: „nicht zu kopflastig. Man muss auch einen Zugang dazu finden, ohne Musik studiert zu haben. Wir wollen ein möglichst niedrigschwelliges Angebot machen.” Dementsprechend locker ist es vor allem bei den Sommerkonzerten. Da kann man zwischendurch auch mal aufstehen, sich ein Bier holen oder eine Bratwurst essen. Deshalb ist der Farmhouse Jazzclub im Sommer auch für viele Familien ein sonntägliches Ziel. Kinder sind im Jazzclub übrigens gern gesehene Gäste. Auch Felix Oestersötebier, dessen Eltern Mitglieder sind, kennt den Club von klein auf. Sein Weg zum Jazz führte über die intensive Beschäftigung mit Musik, denn er spielte Bassgitarre und war Mitglied der Big Band des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums. „Ich bin der Überzeugung, dass man bei intensiver Beschäftigung mit Musik einfach irgendwann beim Jazz landet.”

Der Zauber von Live-Musik
Der Farmhouse Jazzclub hat mit seinen School Jam Veranstaltungen seit 1993 viel dafür getan, junge Leute für den Jazz zu gewinnen, im Club auftreten können und den Zauber von Live-Musik erleben.
„Jüngere Leute müssen einfach erkennen, dass Jazz gute „handgemachte” Musik
ist – viel schöner als die „Musik aus der Dose mit dem immer gleichen Rhythmus”, die im Radio gespielt wird.” Leider wurden die Veranstaltungen eingestellt, denn in der Ferienzeit war es oft schwierig genügend Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu finden. Während der Pandemie fanden die Konzerte und Veranstaltungen unter Einhaltung aller Vorschriften im Außenbereich des Farmhouse Jazzclubs statt. Und das sei ein großes Glück gewesen, denn wenn man den Club geschlossen hätte, dann hätte er diese Zeit wahrscheinlich nicht überstanden. Und auch sonst haben sich die Mitglieder nicht ausgeruht. Das „Clubhaus” wurde zahlreichen Modernisierungsarbeiten unterzogen, die Trinkwasseraufbereitung modernisiert und der Kinderspielplatz in Schuss gebracht. Demnächst wird die Küche renoviert und einige Möbel erneuert. Aber auf gar keinen Fall wird etwas an der legendären Plakatwand hinter der Bühne geändert. Auch das Konzertprogramm ist vielversprechend. In den nächsten Monaten sind unter anderem „The Philly Jazz Lounge”, die Jimmy Reiter Band oder das Stefan Schöler Trio zu Gast – und zwar jeweils Samstagabend und Sonntagmittag, im traditionellen Farmhouse Jazz Club-Rhythmus.

Der neue Jazz-Club Rheda-Wiedenbrück
Let’s jazz again

Seit März 2022 gibt es auc in Rheda-Wiedenbrück wieder einen Jazz-Club. Entstanden ist das Ganze auf Initiative von Heinrich Lakämper-Lührs, der lange Jahre im Fachbereich Kultur und Sport der Stadt Gütersloh arbeitete. Sehr schnell hat sich eine beliebte Veranstaltungsreihe entwickelt.

Tatsächlich gab es schon einmal einen Jazz-Club in Rheda-Wiedenbrück. Die Anfänge gehen zurück bis in die Mitte der 1950er-Jahre. Damals gründeten Mitglieder des Schwimmvereins den „jazz club rheda“. Und tatsächlich galt Rheda schnell als beliebter Spielort für Jazz-Größen aus Europa und Übersee. Konzerte fanden im Picasso-Keller des damaligen Café Hurlbrink statt. Einer der Top-Acts war zwei Jahre nach der Gründung des Clubs ein Konzert des berühmten „Modern Jazz Quartetts” aus den USA in der ausverkauften Aula der Volkshochschule.

Vom „jazz club” zum „Jazz-Frühschoppen”
Nach 50 Konzerten löste sich der „jazz club rheda“ 1975 auf. Auf Initiative der zwei Rhedaer Jazzer Rolf Rettig und Heinz-Herbert Dreier (DDD-Der dicke Dreier) gab es in den 1980er-Jahren eine kleine Renaissance (Schwerpunkt auf dem Dixieland-Jazz): Bei ihren Jazz-Frühschoppen am Sonntagvormittag in der damaligen Gaststätte Neuhaus kamen nicht nur Spitzenmusiker aus ganz Europa, auch das Rhedaer Who-is-Who traf sich hier nur zu gerne.
Rettig und Dreier trugen auch zum hohen Niveau des kulturellen Rahmenprogramms der zweiten NRW-Landesgartenschau bei, die 1988 in Rheda-Wiedenbrück stattfand.
Daraus folgte die Konzertreihe „Jazz auf dem Doktorplatz“ in Kooperation mit der
Gartenschau-Nachfolgegesellschaft „Flora Westfalica“ als Veranstalterin. Auch am Domhof und in der Orangerie fanden Konzerte statt. Als öffentliches Livekonzert-Ereignis übrig geblieben ist das „Flora in concert open air“ auf dem Rathausplatz, das nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause in diesem Juli wieder stattfand.

Anspruchsvoll mit unterschiedlichen Schwerpunkten
Ja, es gab und gibt viel Musik in Rheda-Wiedenbrück, aber nach Ansicht des Jazz-Liebhabers Lakämper-Lührs eindeutig zu wenig. Zusammen mit Bürgermeister Theo Mettenborg entwickelte er ein Konzept für Jazz-Veranstaltungen und es folgte die Gründung des Jazz-Club Rheda-Wiedenbrück im März vergangenen Jahres. Ziel des Vereins ist es, anspruchsvollen Jazz mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu zeigen und zu Gehör zu bringen.
Der aus 85 Mitgliedern bestehende Verein organisiert die Veranstaltungen selbst und hat mit dem Abrahams in Rheda eine ideale Location gefunden – „mit Jazzclub-Atmosphäre und guter Akustik”, wie Lakämper-Lührs sagt. Er ist Geschäftsführer des Vereins, ihm zur Seite stehen im Vorstand weitere leidenschaftliche Jazzfreundinnen und -freunde. Leo Lübke konnte als Präsident des Vereins gewonnen werden und füllt diese Aufgabe mit wachsendem Vergnügen aus. Kein Wunder, denn der Verein ist äußerst erfolgreich: Die Abonnements für diese Saison wurden bereits alle verkauft, und es kommen sogar Fans aus Herford oder Minden.

In kurzer Zeit zum Erfolg
Unterstützung bekommt der Verein aus der heimischen Wirtschaft, aber auch von Zuschussgebern wie der Bürgerstiftung Rheda-Wiedenbrück oder der Familienstiftung Lönne-Verch, die damit zur Neubelebung der heimischen Jazz-Szene beitragen wollen. Im vergangenen Jahr fanden fünf erfolgreiche Konzerte mit Weltstars und lokalen Helden statt. Dabei waren unter anderem das Emile Parisiens Sextett oder Laia Genc und Sabine Kühlich. Diese erfolgreiche Linie wird auch in dieser Saison fortgesetzt. Das erste Konzert mit Local Hero Sam Siefert bescherte dem Club ein ausverkauftes Haus. Vielfalt ist auch in den nächsten Monaten garantiert mit Konzerten der polnischen Bassistin und Sängerin Kinga Glyk, des „Piano-Wunders” Johanna Summer und des Jeff Cascaro Quartetts. Wer sich beeilt, bekommt mit etwas Glück noch Tickets für die begehrten Konzerte.

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