Der Kreis Gütersloh gilt als wirtschaftlich sehr gut aufgestellt. Welchen Anteil an diesem Erfolg hat die 2006 gegründete Wirtschaftsförderung pro Wirtschaft GT? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, trafen wir uns mit den Personen, die die „prowi“ in den vergangenen 17 Jahren maßgeblich geprägt haben. Rückblick, Ausblick und Perspektiven: Ein Gespräch mit Nikola Weber, Anna Niehaus (Geschäftsführerinnen pro Wirtschaft GT), Volker Ervens (Vorsitzender Wirtschaftsinitiative Kreis Gütersloh) und Albrecht Pförtner (ehemaliger Geschäftsführer pro Wirtschaft GT).
Der Kreis Gütersloh feiert seinen 50. Geburtstag. Eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte?
Nikola Weber: Blicken wir auf die Entwicklung des Bruttoinlandproduktes und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, kann man nur von einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte sprechen. Über den wirtschaftlichen Erfolg hinaus ist aber auch der Zusammenhalt zwischen den 13 Kommunen gewachsen – auch in vielen anderen Fragestellungen.
Anna Niehaus: Wir freuen uns als pro Wirtschaft GT natürlich auch über die zunehmenden kreisweiten Projekte beziehungsweise viele interkommunale Ansätze und enge Abstimmungen zwischen den Kommunalverwaltungen.
Albrecht Pförtner: Ja, der Kreis Gütersloh ist eine unbedingte Erfolgsgeschichte. Diese Erfolgsgeschichte war und bleibt aber nur möglich, wenn weiterhin Verwaltungen, Politik,
Bevölkerung, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmen in den wesentlichen Punkten an einem Strang ziehen. Es hat in den vergangenen 50 Jahren einen Strukturwandel gegeben – ich nenne da die Bereiche Textil- und Möbelherstellung. Fest steht aber: Wir haben keine Angst vor der Zukunft!
Volker Ervens: Der Kreis Gütersloh ist mindestens einer der besten der Welt … Wir haben hier einen hervorragenden Branchenmix. Besonders erwähnenswert ist die vorbildliche Unternehmer-Mentalität aus Mut, Vorwärtsstreben und Bodenständigkeit. Dazu ist die Region noch ein wirklich schöner Ort zum Leben.
Welche „Handschriften“ haben Albrecht Pförtner – und welche Nikola Weber und Anna Niehaus? Und wie sieht Volker Ervens die Entwicklung der prowi?
Volker Ervens: Albrecht Pförtner hat als Mann der ersten Stunde den Aufbau der pro Wirtschaft GT in herausragender Weise betrieben. Er ist ein hervorragender Netzwerker in den Bereichen Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Er war der Treiber der prowi, aber auch immer der Mahner an den richtigen Stellen. Nikola Weber und Anna Niehaus haben seine großen Fußstapfen auf ihre eigene Art und in sehr gutem Miteinander hervorragend ausgefüllt. Sie packen mit ihrem Team die richtigen Zukunftsthemen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, New Work etc. an.
Anna Niehaus: Nikola Weber und ich haben eine sehr gut aufgestellte Wirtschaftsförderungsgesellschaft übernommen. Ehrlich gesagt, haben wir sie ja auch über Jahre mitgeformt. Wir haben das Dienstleistungsangebot weiter nachgeschärft und wollen den Kreis Gütersloh als Gründungsregion weiter profilieren.
Nikola Weber: Im Team haben wir das Thema Nachhaltigkeit zur rechten Zeit forciert und ein gutes Angebot entwickelt. Im Fokus unserer Arbeit steht auch der Fachkräftemangel, der ja schon ein Arbeitskräftemangel ist. Die pro Wirtschaft GT hat zum Beispiel gute Angebote wie den Wettbewerb „Mitarbeitende.gewinnen“ ins Leben gerufen.
Albrecht Pförtner: Ich hatte zunächst Aufbauarbeit in einem schwierigen Umfeld zu leisten. Es galt, Vertrauen – gerade bei den Kommunen – aufzubauen. Nach vielen Jahren in dem Job baut man auch ein vertrauensvolles Miteinander und ein entsprechendes Netzwerk auf: Das hat die inhaltliche Arbeit sehr befördert. Ein wesentlicher Punkt war, dass der Landrat das Thema „Ermöglichungsbehörde“ ernst gemeint hat und so für ein wirtschaftsfreundliches Grundklima gesorgt hat: ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor!
Digitalisierung, Globalisierung und demographischer Wandel sind zentrale Herausforderungen, denen sich die Unternehmen im Kreis Gütersloh heute stellen müssen. Wie reagieren Sie auf die Anforderungen?
Anna Niehaus: Wir sind Ansprechpartner für die Erstorientierung zu diesen Fragen und bieten einen abrufbaren Werkzeugkasten zu Methoden, Leitfäden, Vorlagen, Checklisten an. Über uns sind Expertenwissen und das Netzwerk aus Praxiswissen abrufbar.
Albrecht Pförtner: Wie überall in unserer Gesellschaft gibt es die Cleveren, die Mitläuferinnen und Mitläufer – und die Abwartenden beziehungsweise Skeptischen. Für alle Gruppen braucht und gibt es Angebote auch bei der prowi. Die Umsetzung liegt bei den Unternehmen selbst. Es gilt: Wer nichts unternimmt, kann vom Markt verschwinden.
Die Folgen des Ukraine-Krieges, Lieferengpässe, der Abbruch von Geschäftsbeziehungen, steigende Energie- und Rohstoffkosten etc. belasten die Unternehmen. Wie kommen die Firmen im Kreis Gütersloh durch die Krise?
Nikola Weber: Wir haben eine sogenannte „Stapelkrise“: Eine Krise folgt auf die andere – und noch ist kein Ende in Sicht, nicht jeder Stapel ist schon durch … Die Unsicherheiten nehmen uns in manchen Bereichen die Dynamik, aber wir sind bisher besser als gedacht durch die Krise gekommen – alles weitere bleibt abzuwarten.
Wie wird der Wirtschaftsstandort zukunftsfähig gestaltet?
Albrecht Pförtner: Ich wünsche mir im Kreis Gütersloh auf breiter gesellschaftspolitischer Linie ein klareres Bekenntnis, dass Wirtschaften gewollt ist, jeder Arbeitsplatz zählt und neue Unternehmen willkommen sind. Politik und Verwaltungen müssen den Rahmen ermöglichen, so dass die Unternehmen auf diese Herausforderungen dynamisch reagieren können. Da ist unser System an vielen Stellen zu langsam und zu ängstlich. Unsere Menschen, egal ob Unternehmerinnen und Unternehmer oder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind clever genug, Chancen zu ergreifen: einfach machen lassen!
Nikola Weber: Das ist eine Mammutaufgabe. Eine große Herausforderung ist der Arbeitskräftemangel: Hierzu gibt es leider keine einfachen Lösungen. Im Fokus stehen ganz klar: Aus- und Weiterbildung, Digitalisierung und Automatisierung, Wissensmanagement, und Effizienz. Zu den weiteren Aufgaben gehören die Themen Infrastruktur, digitale Infrastruktur, Fläche, Bildung, Kita, Verkehr und Wohnen. Soll heißen: Es gibt viel zu tun!
Die Innovationskraft von Unternehmen entscheidet heute über dessen wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg? Welche Rolle spielen die vier Innovationszentren im Kreis Gütersloh in diesem Zusammenhang?
Anna Niehaus: Momentan sehen wir leider, dass Digitalisierung und Innovationsausgaben zurückgehen. Derzeit sind es die Akutthemen, die Unternehmen beschäftigen: dazu gehören Energiepreise, Energieversorgungssicherheit und Arbeitskräfte. Dennoch sind die Anforderungen an Unternehmen und der Transformationsdruck gewaltig. Die erwähnten Zentren werden helfen können, sich den komplexen Anforderungen zu stellen. Dennoch: Es braucht Mut und Geduld bis die Zentren Profil, Wirkung und Strahlkraft entwickelt haben.
Albrecht Pförtner: Wir sind froh, dass wir in Gütersloh mit der Innovationsmanufaktur nun endlich einen derartigen Ort haben. Er soll Knotenpunkt für alle innovationsaffinen Unternehmen und Menschen der Region sein. Dann entstehen neue Ideen, neue Wertschöpfung, neue Arbeitsplätze …
Wie fördert die Wirtschaftsinitiative die pro Wirtschaft GT als Ideen- und Impulsgeber?
Volker Ervens: Wir unterstützen die pro Wirtschaft GT durch permanente Begleitung im Tagesgeschäft. Zwischen dem Vorstand der Wini und der Geschäftsführung der prowi findet eine fortlaufende und immer aktuelle Abstimmung statt. Wir sehen uns als Förderer und Forderer und sind immer bemüht, unseren Mitgliedern, aber natürlich letztlich der Wirtschaft des Kreises insgesamt, gute Mehrwerte zu generieren.
Anna Niehaus: Für uns ist die Wirtschaftsinitiative der Draht für Feedback zu Ideen, Projekten, Ausrichtungen. Als Stimme der Wirtschaft im Gesellschafterkreis der prowi ist sie immens wichtig. In der Gründungszeit der prowi war sie vielleicht inhaltlich noch prägender als heute.
Welchen Einfluss hat die Wirtschaftsinitiative?
Volker Ervens: Über das von mir beschriebene Engagement und unsere Position als Gesellschafter der pro Wirtschaft GmbH haben wir sehr gute Möglichkeiten zur Einflussnahme oder besser gesagt zur Mitgestaltung. Und dies ist in den vergangenen Jahren immer wieder im guten Zusammenspiel mit den Mitgesellschaftern, dem Kreis Gütersloh und den 13 Städten und Gemeinden bestens gelungen.
Nikola Weber: Die Wirtschaftsinitiative arbeitet sehr zurückgenommen im Hintergrund der prowi, ist aber in den aktuellen Themen immer ganz nah am Ball und unterstützt uns tatkräftig. Für Kundinnen und Kunden ist die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsinitiative und pro Wirtschaft GT gar nicht so einfach.
Zahlen, Daten, Fakten:
» Zunächst als Referat in der Kreisverwaltung organisiert
» Ausgründung 2006 als GmbH. Geschäftsführer: Albrecht Pförtner, Prokuristin Nikola Weber. Ab 2012 Anna Niehaus Nachfolgerin von Nikola Weber. Seit 2021 Nikola Weber und Anna Niehaus im Tandem als Geschäftsführerinnen
» Zusammensetzung der Gesellschafter:
Kreis Gütersloh: 51 Prozent
13 Städte und Gemeinden: 24 Prozent
Wirtschaftsinitiative Kreis Gütersloh e.V.: 25 Prozent
» Anfangs durchaus politisch umstritten. Es wurde hart um Aufgaben und Ausstattung der Gesellschaft gerungen.
» Seit 2016 zahlreiche Aufgaben hinzugewonnen: MINT-Förderung, Europainformationszentrum, erweitertes Standortmarketing, zunehmende Aufgaben im Tourismus, Ausbau der Angebote für Unternehmen
» 2021: deutliche Stärkung durch die Kreispolitik: Schaffung von zusätzlichen Stellen für die Themen Nachhaltigkeit und Transformation, Gründung und Innovation sowie strukturierte Fördermittelakquise für Kommunen