Fotos: Detlef Güthenke
Wer hätte besser über die Ursachen erzählen können als einer, der die Höhen und Tiefen der Möbelbranche in den vergangenen Jahrzehnten miterlebt hat? Meine Wahl fiel auf Leo Lübke, der seit 1994 Geschäftsführer von COR Sitzmöbel in Rheda-Wiedenbrück ist. Die Gründung des Familienunternehmens fiel 1954 in die Hochphase der einheimischen Möbelindustrie. Denn mit dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und dem Zuzug vieler Flüchtlinge aus dem Osten, stieg auch der Bedarf an Möbeln. „Ostwestfalen lag auf der Bahnstrecke Cöln-Minden günstig nur eine Stunde vom Ruhrgebiet entfernt“, so Lübke, „wir hatten die ideale Position zwischen Beschaffungsmarkt und Absatzmarkt“.
Betriebe wuchsen rasant
Beste Voraussetzungen boten auch genug Material aus den Buchenwäldern im Paderborner Land, viele Zulieferer der Möbelindustrie in Ostwestfalen und die älteste Tischler-Fachschule in Detmold. Jeder Haushalt brauchte Küchen-, Wohnzimmer- und Schlafzimmermöbel. Man dachte, die „Boomjahre des Wirtschaftswunders der 1950er- und 1960er-Jahre gingen immer so weiter“, lächelt Leo Lübke: „Erfolg macht manchmal blind!“
Aber wie konnte das nach einem so erfolgreichen Start geschehen? Lübke blickt nochmals auf die Anfänge, als aus den Schreinereien und Tischlereien Möbelproduktionen mit mehr als 50 Mitarbeitern erwuchsen. Es gab natürlich mehr Mitarbeiter, weil viel handwerklich und nicht so maschinenlastig produziert wurde wie heute. Die Betriebe wuchsen rasant. Viele Inhaber kamen mit den damit einhergehenden veränderten Strukturen im Betrieb nicht mehr klar. „Zu schnell gewachsen“, so Lübke, „haben manche die Bodenhaftung verloren und Warnsignale aus dem Markt überhört“. Vielleicht haben die meist von Familien geführten Unternehmen nicht rechtzeitig an Investitionen oder die Erneuerung ihrer Produktionsstätten gedacht?
Allein in Rheda-Wiedenbrück gab es 20 und im Kreis Gütersloh mehr als 40 Möbelunternehmen. Die Produktionsmengen waren immens. Anfang der 1970er-Jahre kamen die ersten Sättigungserscheinungen. Die Wirtschaftskrise beendete zudem den Höhenflug der Möbelindustrie. Es trennte sich die sogenannte „Spreu vom Weizen“. Der Markt drehte sich, und die Firmen gerieten unter Preisdruck. Einige Hersteller sind dem Kostendruck begegnet, indem sie ihre Produktion nach Osteuropa verlegten. Dort sind die Sozialkosten und Abgaben bei deutlich geringeren Lohnkosten erheblich geringer. In den meisten Fällen scheiterte die „Rettung“ jedoch, weil die Kooperation in den ersten Jahren wegen Qualitäts- und Logistikproblemen schlecht funktionierte. Oder weil die Betriebe die teure Produktionsauslagerung zu spät angingen.
Gleichzeitig entstanden in der Zeit Einkaufsverbände, die die ihre eigene Philosophie verfolgten. Hier ging es um Preis und Mengen. Sie sicherten den Herstellern große Auftragsvolumen zu, allerdings unter einem harschen Preisdiktat. Folglich mussten sie sich nur um die Produktion und nicht den Vertrieb kümmern. „Eine Abhängigkeit entstand, der nur Hersteller standhalten konnten, die ihre Produktionskosten unter Kontrolle hatten und betriebswirtschaftlich gut aufgestellt waren.
Wandel in der Möbelproduktion
Welche Möglichkeiten bestanden noch, um weiter zu existieren? „Ich brauchte lange Zeit, um die Änderungen zu begreifen“, blickt Leo Lübke zurück und kommt zu dem Schluss, dass es vor allem die Markenhersteller waren, die es schafften. Der Schlüssel dazu waren ein eigenständiges Design und hochwertige Qualität sowie der selektive Vertrieb mit guten Partnern und guter Werbung. Das Konzept ist erfolgreich aufgegangen. „COR hat schon die Vision einer besseren Welt, achtet auch auf Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit“, sagt Lübke aus Überzeugung.
Auch wenn alle Möbelunternehmen im Kreis Gütersloh nicht genannt werden können, fanden auch sie Möglichkeiten des Überlebens. Einige werden ihre eigene Nische entdeckt haben, punkten mit pfiffigen Lösungen oder zeitgenössischem Design und hoher Handwerklichkeit. „Da bleiben nur die übrig, die ein spezifisches Leistungsversprechen haben“, ist sich Lübke sicher. Dahinter verbergen sich Schlüsselworte wie „custom made“, wo es darum geht, nach Vorstellungen und Kriterien der Kunden zu produzieren. Und „Unique Sales Proposition“ (USP) – was nichts anderes bedeutet, als ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Das erscheint Lübke, unabhängig von der Marke, am allerwichtigsten.
Als weitere Konkurrenten der Möbelindustrie nennt Lübke Innenausbauer und Tischler. Sie haben qualitativ und funktional gegenüber der industriellen Fertigung deutlich aufgeholt. Wer es sich erlauben kann, lässt sich eine ganz individuelle und perfekt an das Haus angepasste Lösung kreieren und bauen.
Letztendlich tragen die veränderten Einrichtungsgewohnheiten der Menschen zum Wandel in der Möbelproduktion bei. Jahrzehntelang war die beliebte Schrankwand quasi ein Statussymbol und Mittelpunkt eines jeden Wohnzimmers. Schon längst ist der Bedarf an großen „Aufbewahrungsmöbeln“ jedoch zurückgegangen. Flache Lowboards und kleine Regale genügen häufig. „Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass viele Medien wie Schallplatten, CDs sowie große Hi-Fi-Anlagen kaum noch existieren“, so Lübke. „E-Books ersetzen Bücher und Lexika“. Wie sich das noch weiter entwickeln wird, dazu gibt es keine Prognosen
Heute spricht Leo Lübke von einer Stabilisierungsphase und einem überschaubaren Markt. Es ist ihm wichtig zu betonen, dass „es der Möbelbranche in Ostwestfalen – trotz der vielen Schließungen der Vergangenheit – gut geht. Sie hat es geschafft, sich an die veränderten Zeiten sehr gut anzupassen. Noch immer ist OWL das „Mekka“ der deutschen Möbelindustrie“.