Prüfungsvorbereitung in der Stadtbibliothek Gütersloh
Foto: Detlef Güthenke
Die Stadtbibliothek Gütersloh ist mehr als ein Ort zum Bücherausleihen. Gerade während der Prüfungszeit für das Abitur und für andere Abschlüsse verwandelt sie sich zu einem lebendigen Lernort, einem Treffpunkt für konzentriertes Arbeiten und gemeinsamen Austausch. Die „Langen Lernnächte“ bieten Schülerinnen, Schülern und Studierenden die Möglichkeit, bis 22 Uhr zu lernen und miteinander zu arbeiten.
Die Idee der „Langen Lernnacht“ hat ihre Wurzeln an den Universitätsbibliotheken. Seit mehr als einem Jahrzehnt entwickeln sich dort Angebote, die dem Bedürfnis der Studierenden nach flexibleren Lernzeiten entsprechen, insbesondere während der Prüfungsphasen. Nach und nach übernahmen auch Öffentliche Bibliotheken den Gedanken, Schülerinnen, Schülern und Studierenden über die üblichen Öffnungszeiten hinaus die benötigten Informationen und einen Arbeitsplatz zu bieten. Zu den Vorreitern zählte die Stadtbücherei Hagen. Sie führte die „Langen Lernnächte“ ein und schuf damit ein erfolgreiches Modell, das bald auch andere Bibliotheken wie Gütersloh inspirierte.
Ein Erfolgsmodell mit stetig wachsenden Teilnahmezahlen
„Als wir 2019 mit den ‚Langen Lernnächten‘ hier bei uns starteten, haben wir diese Idee von der Stadtbücherei Hagen übernommen. Seitdem erfreut sich unser Angebot trotz der Corona-Pause wachsender Beliebtheit“, berichtet die stellvertretende Bibliotheksleiterin Anja Krokowski. Die Zahlen sprechen für sich: Die sieben angebotenen Lernnächte im Jahr 2024 verzeichneten
752 Teilnehmende – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren (2022 : 190, 2023 : 578).
Romy Rettig, frischgebackene Abiturientin am Evangelisch Stiftischen Gymnasium berichtet, wie sie die Langen Lernnächte durch die stressige Prüfungszeit begleitet haben. „In der Schulmediothek – der ‚Medi‘ – hing ein Plakat, und wir haben es auch untereinander weitererzählt“. Der entscheidende Vorteil der Stadtbibliothek? Das gemeinsame Lernen mit Mitschülerinnen und Mitschülern, auch über den eigenen Freundeskreis und Schulgrenzen hinweg. „Sogar der Austausch mit Kursteilnehmenden anderer Schulen – ich hatte Deutsch und Sozialwissenschaften als Leistungskurse – war in der Stadtbibliothek unkompliziert möglich. Das war echt cool!“, erinnert sie sich. Die Atmosphäre habe ihr geholfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und im Gespräch komplexe Themen besser zu verstehen.
Mehr als nur Lernen: Gemeinschaft und Austausch bis 22 Uhr
Die Flexibilität der Langen Lernnächte war für Romy Rettig, die inzwischen ein duales Studium zur Diplom-Finanzwirtin beim Finanzamt Gütersloh begonnen hat, besonders wichtig. „Man konnte zwischendurch auch mal einen Termin wie eine Fahrstunde wahrnehmen und dann eben danach wiederkommen.“ Die Öffnungszeiten bis 22 Uhr und die gute Erreichbarkeit mit dem Fahrrad boten den nötigen Freiraum. Die Lernnächte entsprechen auch dem Schlafrhythmus der jungen Leute: Viele von ihnen sind während der Prüfungsvorbereitung später ins Bett gegangen und haben erst nachmittags angefangen zu lernen. „Am Anfang haben wir uns auch manchmal verquatscht“, gibt Romy Rettig lachend zu. Aber Probleme mit der Konzentration habe sie grundsätzlich nicht gehabt. Diese sei bei ihr abends eigentlich sowieso besser als morgens.
„Ich persönlich war mit den Lerninhalten bei meiner Prüfung super zufrieden. Ich habe mir nicht so viel Druck gemacht“, erklärt sie. Ihr sei es wichtig gewesen, dass der Numerus Clausus (NC) keine zentrale Rolle spielte. „Außerdem arbeite ich seit ich 15 Jahre alt bin parallel zur Schule. Ich war erst Kellnerin und dann im Einzelhandel tätig.“ Zusätzlich engagierte sich Romy Rettig als Stufensprecherin und übernahm zusammen mit ihrer Freundin die Abiball-Planung. „Ich bin sehr zufrieden, wie alles geklappt hat.“
Ein Ort für alle
Die Langen Lernnächte bieten nicht nur Oberstufenschülern Unterstützung, sondern ziehen auch jüngere Schüler sowie Studierende an: „Es waren tatsächlich auch Schülerinnen und Schüler der Stufen unter uns da; die kamen dann schon nach der Schule so um
13 Uhr“, berichtet Romy. Auch Studierende nehmen während ihrer Prüfungsphasen daran teil. „Ich würde sagen, dass mir die Langen Nächte bei meiner Prüfungsvorbereitung auf jeden Fall sehr geholfen haben“, resümiert Romy Rettig. Verbesserungsvorschläge hat sie kaum: „Denn alle können die Zeiten ja so nutzen, wie sie es möchten.“ Die Stadtbibliothek war dabei nicht nur ein passender Lernort ohne die heimischen Ablenkungen, sondern bot auch die nötige Infrastruktur: „Wir haben uns den Multiraum aufschließen lassen und dort einen größeren Tisch belegt,“ erzählt die ehemalige Abiturientin. Zusätzlich konnten wir auch den Digitalen Werkraum und den Konferenzraum nutzen. Zusammen zu lernen stand im Vordergrund: Lernzettel wurden erstellt, Theorien besprochen und Klausuren vergangener Jahre analysiert. „Die Lernzettel haben wir gemeinsam ergänzt und uns dann gegenseitig abgefragt. Das hat Spaß gemacht und war echte Teamarbeit.“
Das Angebot unterstützt die Stadtbibliothek mit kleinen Snacks und Obst, die vom Literaturverein – Freunde und Förderer der Stadtbibliothek Gütersloh e. V. gesponsert werden. Auch ein Kaffeeautomat steht bereit. „Früher gab es sogar Schulter-Massagen durch eine Physiotherapeutin“, so Anja Krokowski. „Die kommenden sechs Termine für die Langen Lernnächte 2025 stehen bereits fest: Wir starten am Freitag, 25. April. Alles Weitere gibt es zeitnah über unsere üblichen Kanäle wie Instagram, Facebook, Plakate und Pressemitteilungen“, verspricht die stellvertretende Bibliotheksleiterin.
Die Langen Lernnächte in Gütersloh sind ein Beispiel dafür, wie Bibliotheken im digitalen Zeitalter ihre Rolle neu definieren und sich als dritte Orte, in diesem Fall als zentrale Lernorte und Treffpunkte etablieren. Sie bieten mehr als nur Bücher – sie schaffen eine Gemeinschaft, die den Lernenden hilft, die Herausforderungen der Prüfungszeit erfolgreich zu bewältigen.