Vom Nesthäkchen zu Grande Dame:

Sie war 28 Jahre jung, bildhübsch und schwanger – nicht gerade die typischen Voraussetzungen, um in der Politik Karriere zu machen. Zumindest nicht Anfang der 1970er-Jahre. Doch Ulrike Poetter, damals noch Menzefricke, eroberte 1973 als jüngstes Gründungsmitglied und als eine von nur drei Frauen den Kreistag des neu geschaffenen Kreises Gütersloh. Für die FDP saß sie mehr als 22 Jahre in diesem Gremium.

Fotos: Detlef Güthenke/Archiv

Es war am 25. März 1973, an das Datum erinnere ich mich genau“, sagt Ulrike Poetter über die konstituierende Sitzung des neuen Kreistags. „Ich habe mich mit Sicherheit schick gemacht und so ein hübsches �Kostümchen� getragen“, erinnert sich Poetter. Ob es damals zur Feier des (Kreis)-Tages Schnittchen gab und Sekt oder Bier – das weiß sie nicht mehr, aber: „Wenn das irgendwie feierlich gewesen wäre, würde ich mich mit Sicherheit erinnern.“ „Sie wissen ja, der Gütersloher hat ‚einen Igel in der Tasche‘ und gibt ungern mehr aus als notwendig.“ Das formuliert Ulrike Poetter mit einem Lächeln auf den Lippen und nicht unwirsch, denn Gütersloh liegt ihr ebenso am Herzen wie Versmold: „Ich bin in Gütersloh zur Schule gegangen, habe am Städtischen Gymnasium mein Abitur gemacht – als es noch das Mädchengymnasium war, habe viel Verwandtschaft dort.“ Dass die Premieren-Sitzung mit den 60 Kreistagsabgeordneten im 7. Stock des sandbeigen Rathauses von Gütersloh war, daran erinnert sie sich. „Es gab ja noch kein Kreisgebäude – und so waren wir auch die nächsten 25 Jahre in vielen verschiedenen Räumlichkeiten untergebracht.“ „In insgesamt 30 Gebäuden gab es Büros“, erzählt Poetter und dass sie zu denjenigen gehörte, die vehement für den Bau eines Kreistagsgebäudes gekämpft haben.

Selbstbewusst und meinungsstark
Getagt wurde seinerzeit zumeist mittwochnachmittags oder samstagvormittags um Punkt 9 Uhr. „Der Fraktionsvorsitzende der CDU war ein niedergelassener Arzt aus Verl – er hatte um die Zeit seine Praxis geschlossen und konnte sich also um die Kommunalpolitik kümmern“, schmunzelt Ulrike Poetter, die unter anderem in den Ausschüssen für Umwelt, Finanzen und Kultur tätig war und sich dort mit viel Leidenschaft und erworbener Sachkenntnis einbrachte. Denn: Die Tochter eines Arztes und einer Lehrerin, die in Saarbrücken geboren wurde und deren Eltern es nach dem Krieg nach Versmold verschlug, ist eine Frau der gut begründeten Argumente: Sie bezeichnet sich als „selbstbewusst“, als „meinungsstark“ und „streitbar in der Sache“. Sie weiß allerdings, „dass man Politik erst lernen muss.“ „Man wird erst mit der Zeit souverän, sicher und routiniert“, versichert sie.

Bei ihrem ersten Wortbeitrag – damals im Kreistag 1973 – habe ihr noch ganz schön die Stimme gezittert: „Da bin ich mit wackeligen Knien nach vorne zum Rednerpult gegangen.“ Das Thema? „Ich fand die Aufwandsentschädigung, die wir für unsere politische Tätigkeit im Kreistag bekommen sollten, zu hoch. Schließlich war das ein Ehrenamt.“ Mit diesem hehren Ansinnen nach Einsparungen auf Kosten der Politiker kam sie allerdings nicht weit. Antrag auf Diätenreduktion: abgelehnt. „Das gehört dazu. Ich habe nie die Diskussion gescheut, bin keiner Kampfabstimmung aus dem Weg gegangen – auch nicht gegen Männer!“, betont sie.

Poetter ist in ihrer ganzen Art und auch mit ihrem Karriereverlauf eigentlich Paradebeispiel für gelebte Emanzipation – ohne diese vor sich herzutragen. Vom Gendern hält sie nichts, und auch der Quote steht sie skeptisch gegenüber. „Ich habe immer als Mensch Politik gemacht – unabhängig vom Geschlecht.“ Eines allerdings bringt sie in Sachen Gleichberechtigung dann doch auf die Palme: „Es muss selbstverständlich sein, dass Frauen und Männer bei gleicher Leistung das gleiche verdienen! Genauso selbstverständlich ist für die mittlerweile 78-Jährige, die mit Mitte 50 eine kaufmännische Fortbildung absolvierte und seit dem Ausscheiden aus dem Kreistag zudem als freie Redakteurin arbeitet, dass man das Steuer irgendwann in die Hände der jüngeren Generation legt – und den Verantwortlichen dann eben auch nicht mehr reinredet. „Irgendwann ist Schluss. Jetzt halte ich mich zurück!“

Aus Protest gegen rechts in die Politik
Ulrike Poetter hat drei Kinder: Tochter Meike und die Söhne Hendrik und Magnus: „Hendrik war gewissermaßen das 6. Kreistagsmitglied – wenn auch nur für ein paar Monate und das im Verborgenen“, schmunzelt Ulrike Poetter, die mit dem 1973 Geborenen in ihrer Anfangszeit als Kreistagsmitglied schwanger war. Kein Wunder, dass ihm die Politik in den Genen liegt und er für viele Jahre kommunalpolitisch in Herzebrock aktiv war. Auch seine Geschwister waren politikaffin: „Sowohl meine Kinder als auch meine vier Enkelkinder sind politisch interessiert“, berichtet Ulrike Poetter nicht ohne Stolz und erzählt, dass sich Meike, Hendrik und Magnus seinerzeit bei den Jungen Liberalen engagierten. Sie selbst fand ihren Weg in die Politik erst als Erwachsene – aus sehr gutem Grund: „Bei den Kommunalwahlen 1969 kandidierte mein verstorbener Mann Volkmar Menzefricke im Wahlbezirk Loxten für die FDP. Dort stand damals auch ein NPD-Politiker zur Wahl. Das fand ich erschreckend, und ich habe gedacht: „Jetzt geht das schon wieder los. Ich wollte ein Gegengewicht schaffen. Also habe ich 1970 den Schritt in die Politik gewagt. Nur zwei Jahre später übernahm ich dann schon auf Kreisebene in der FDP Verantwortung“, berichtet Poetter und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen: „Die brauchten jemand für die Finanzen, und da wurden Frauen gerne genommen – übrigens auch für den Schriiftführerinnenposten …“ Die Bankkauffrau, die im Bankhaus Lampe in Münster gelernt hat und heute noch als stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat der Sparkasse Gütersloh-Rietberg-Versmold sitzt, übernahm diese Position gerne und schon bald lokal- und kommunalpolitisch immer mehr Verantwortung: So viel, dass sie als Vierte auf die FDP-Liste der Kreistagskandidaten gehievt wurde und durch ein gutes Wahlergebnis der Blau-Gelben tatsächlich in der Kreispolitik landete.

Die Kunst der Kompromisse
Über ihre Zeit im Kreistag sagt Poetter: „Es war eine gute, kollegiale Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinaus. Es gab vernünftige Vorlagen, die es uns ermöglicht haben, anständig zu arbeiten.“ Die Hauptarbeit in der Politik sei es, „Mehrheiten zu beschaffen“. „Das Leben im Kreistag besteht aus Kompromissen. Wenn ich eine Idee einbringe und für ihre Umsetzung werbe, dann freue ich mich, wenn liberales Gedankengut erhalten bleibt und ich letztlich die Grundzüge meiner Idee im Entschluss noch wiedererkennen kann.“

Lange nach dem Ausscheiden aus dem Kreistag – die FDP musste sich nach dem Wahlmisserfolg 1994 zunächst von der Kreisebene verabschieden – blieb Ulrike Poetter als Politikerin aktiv. Als Vorsitzende ihrer Partei in Versmold, als stellvertretende Bürgermeisterin dort und zuletzt immerhin noch als „stellvertretende sachkundige Bürgerin“. Darüber hinaus hat sie sich nicht nur als Politikerin engagiert, sondern war stets ausgesprochen kulturinteressiert: Sie hat dem Versmolder Kunstkreis 33 Jahre vorgestanden und mehr als 200 Ausstellungen kuratiert. Kunst, insbesondere die von heimischen Künstlerinnen und Küntlern, ist Ulrike Poetter eine Herzensangelegenheit – vielleicht weil ihr Großvater, Professor Wilhelm Poetter, seinerzeit ein hoch angesehener Maler und Grafiker war. „Ich habe es Anfang der 1980er-Jahre geschafft, sowohl im Kreistag als auch bei uns in Versmold ein jährliches Budget für den Ankauf von Werken heimischer Künstler zu erwirken. Das wurde über Jahrzehnte beibehalten. Tolle Werke mit bleibendem Wert sind so im Besitz des Kreises und der Stadt Versmold gelandet und die Künstlerinnen und Künstler entsprechend gefördert worden“, erzählt sie mit sichtlichem Stolz.

Raus ins Leben
Eine typische Ruheständlerin ist Ulrike Poetter nicht. Und sie gehört auch nicht zur Fraktion der beige gekleideten Seniorinnen, die sich auf Butterfahrten Wärmedecken aufschwatzen lassen. Lebenshungrig und wissensdurstig ist die hoch gewachsene Dame mit praktischem Bob, dezentem Make-up und kerzengerader Haltung. Aktiv und viel unterwegs: Erst im vergangenenJahr bereiste sie nicht nur Schottland und Polen, sondern jettete mit ihrem jüngsten Sohn auch nach Miami Beach, um in einem dortigen Museum Werke ihres berühmten Großvaters zu bestaunen. „Ausruhen kann ich mich daheim im Garten“, sagt sie resolut und berichtet von Städtereisen und Museumsbesuchen, vom wöchentlichen Sport und dem regelmäßigen Spazierengehen in den Boombergen, von Spaß an der Literatur und Abendessen im Kreise der Familie.

Und was wünscht sich Ulrike Poetter von den politischen Vertreterinnen und Vertretern auf Kreisebene in Zukunft? „Wir sind ein wirtschaftsstarker Kreis. Das bleibt hoffentlich so. Und: Ich wünsche mir, dass dieser Wohlstand den Bürgerinnen und Bürgern des Kreises vermehrt zugutekommt! Wenn die Kassen gut gefüllt sind, sollte man nicht nur das Nötige ermöglichen, sondern ein paar Mal öfter auch das Wünschenswerte!“

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