Doppeltes Glück oder Stadt ohne Mitte?

Auf der einen Seite starke Unternehmen und eine moderne Innenstadt, auf der anderen Seite beschauliche Fachwerkromantik, Touristen – und dazwischen die Autobahn. Die Rede ist von Rheda und Wiedenbrück. Im Zuge der Gebietsreform wurden die beiden doch recht gegensätzlichen Orte zusammengeführt, was im Vorfeld, aber auch nach Vollzug viel Konfliktpotenzial bot und zu Demonstrationen, Klagen und Konkurrenz führte.

Die beiden Städte sind aber auch sehr unterschiedlich. Wiedenbrück war ein kleines, feines Handelsstädtchen, das im Jahr 952 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt wurde und zum Erzbistum Osnabrück gehörte. Das umliegende Gebiet befand sich im Besitz der Edelherren zur Lippe. Diese ließen ihre Burg in der Nähe von Wiedenbrück bauen, um Macht zu zeigen und Zugriff zu haben. Das Städtchen Rheda wurde sozusagen als Reaktion auf Wiedenbrück errichtet und 1088 erstmals urkundlich erwähnt. Hier verlief eine Landesgrenze mit Zollstation, und es galten zum Teil unterschiedliche Maße und Gewichte. Übrigens wurde um diese Grenze (dort, wo heute die A2 ist) ein 60 Jahre dauernder Prozess geführt, der Bielefelder Rezess. Es war also auch vor Hunderten von Jahren schon nicht einfach mit Rheda und Wiedenbrück.

Wirtschaftliches Ungleichgewicht
Zwischen den Städten herrschte ein wirtschaftliches Ungleichgewicht: Wenn es Rheda gut ging, ging es Wiedenbrück schlecht und umgekehrt. Wiedenbrück war als Handelspunkt bis zum 30-jährigen Krieg im Vorteil. Zum Ende des Krieges brannten die Schweden auf dem Rückweg in den Norden die Stadt nieder. Danach fand Wiedenbrück nicht wieder zur alten Stärke zurück. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts gab es wieder einen bescheidenen Wohlstand,
der durch Handwerk und Holzbau erzielt wurde. In Rheda siedelte
sich zu dieser Zeit die Zigarren- und Fleischindustrie an und sorgte
für Arbeit und Reichtum. Anfang der 1960er-Jahre ging es Rheda
wirtschaftlich besser als Wiedenbrück, das wiederum bis 1970
Kreisstadt war.

Für eine effizientere Verwaltungspolitik
Und dann verordnete die Landesregierung von SPD und FDP die kommunale Neuordnung. Das Ziel war die Schaffung größerer kommunaler Einheiten, um eine effizientere Verwaltungspolitik zu ermöglichen. Diese Einheiten umfassten zum einen Gemeinden ab mindesten 8.000 bis 30.000 Einwohner und zum anderen Gemeinden mit mehr als 30.000 Einwohnern. Wie Dr. Wolfgang Lewe vom Heimatverein Rheda berichtet, waren sowohl Rheda als auch Wiedenbrück darauf erpicht, der zweiten Gruppe anzugehören. Denn diese profitierte von mehr Zuschüssen und Bauland sowie der Verbesserung der Infrastruktur, etwa durch den Bau von Gymnasien, Volkshochschulen oder Krankenhäusern.

Auf keinen Fall zusammen
Eine Zusammenlegung mit Wiedenbrück kam für die Rhedaer nicht in Frage, weil sie wirtschaftlich und verwaltungstechnisch wesentlich besser aufgestellt waren. 1970 beschloss der Rat so einstimmig, nicht mit Wiedenbrück zusammen zu gehen. Der Plan war, sich mit Herzebrock zusammen zu tun – auch damit hätte man die Einwohnerzahl von mehr als 30.000 erreicht. In Wiedenbrück wiederum hatten die Räte der Dörfer Lintel, St. Vit und Batenhorst beschlossen, auf keinen Fall mit Wiedenbrück zusammenzukommen, wenn nicht Rheda dabei war. Sie hatten Angst, im gemeinsamen Rat mit Wiedenbrück übervorteilt zu werden.
Zudem waren Rheda und Wiedenbrück durch die Autobahn getrennt, was laut eines Gutachtens ein Zusammenwachsen der Städte verhindern würde. Auch konfessionelle Unterschiede spielten eine Rolle. Rheda war durch das Fürstenhaus protestantisch geprägt (obwohl schon um 1900 in Rheda mehr katholische als evangelische Bürgerinnen und Bürger lebten). In Wiedenbrück waren mehr als Dreiviertel der Einwohner katholisch. Die Mentalitäten wollten nicht so recht zueinander passen.

Proteste auf dem Rathausplatz
Bis die beiden Städte endgültig zu Rheda-Wiedenbrück wurden, gab es noch einige Probleme. Bei einer Abstimmung im Rhedaer Rat sprachen sich einige CDU-Mitglieder für den Namen Wiedenbrück aus. Rheda sollte ganz verschwinden. Dagegen gab es massiven Protest, der vom Fürstenhaus und der Kaufmannschaft Rheda initiiert wurde. Zwischen 5.000 und 10.000 Menschen kamen 1970 auf dem Rathausplatz zusammen, um gegen das Verschwinden des Namens „Rheda“ zu protestieren, so Dr. Lewe. Das wirkte, und um des Friedens willen kam man auf die Namensnennung Wiedenbrück-Rheda. Laut Gerüchten bewegte das einige heimische FDP-Mitglieder dazu, den damaligen Innenminister Weyer in Düsseldorf aufzusuchen, um sich der Namensgebung anzunehmen. Egal wie – man einigte auf den Namen „Rheda-Wiedenbrück“, was sich letztendlich auch viel besser aussprechen lässt.
Übrigens passte auch vielen Wiedenbrückern die Umbenennung nicht, was das „Wiedenbrücker Lied“ von 1974 belegt. Hier heißt es unter anderem „… unsere Stadt – die für alle groß und klein – … nur den einen Namen hat. Wiedenbrück bleibt Wiedenbrück. Stadt und Name kehrn zurück.“

Verfügung von ganz oben
Die Zusammenführung von Rheda und Wiedenbrück wurde dann vom Land verfügt. Am 1. Januar 1970 wurden mit dem „Gesetz zur Neugliederung des Kreises Wiedenbrück und von Teilen des Kreises Bielefeld“ vom 4. Dezember 1969 die bis dahin selbstständigen Städte Rheda und Wiedenbrück sowie die Gemeinden Batenhorst, Lintel, Nordrheda-Ems und St. Vit zur neuen Stadt zusammengeschlossen. Hinzu kamen ein kleiner Teil der Gemeinde Bokel (sogenannte
„Dorfheide“) sowie das Dorf Bosfeld aus der Gemeinde Herzebrock. Am 1. Januar 1973 wurde der Kreis Wiedenbrück aufgelöst und Rheda-Wiedenbrück dem neu gegründeten
Kreis Gütersloh zugeschlagen.
Abgesehen vom Unwillen der Bevölkerung profitierten die Städte von der Zusammenführung. Zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen wurden durchgeführt: In Rheda wurden die Schloßstraße geplant, die Fußgängerzone gebaut und das Einstein-Gymnasium errichtet. Zudem wurde das Rathaus nach Rheda verlegt. Die Wiedenbrücker pochten auf Ausgleich und bekamen das Stadthaus am Kirchplatz … und so weiter.
Ungewöhnlich: Dort wo andere Städte als Mittelpunkt eine Kirche haben, stießen nach der Zusammenlegung von Rheda und Wiedenbrück die Gewerbegebiete aufeinander. Heute – nach Verschwinden vieler Betriebe – befindet sich hier das Versorgungszentrum mit zahlreichen Lebensmittel-, Bau- und Möbelmärkten. Von daher ist hier doch eine zwar nicht schöne, aber recht lebendige Mitte entstanden.

Die Landesgartenschau versöhnt
Der Entschluss, die Landesgartenschau in Rheda-Wiedenbrück zu realisieren, führte dann fast zur Aussöhnung. Die zunächst umstrittene Veranstaltung wurde ein Riesenerfolg. Statt der erwarteten 500.000 Besucher kamen über zwei Millionen Menschen, um sich die blühende Doppelstadt anzusehen. Die Landesgartenschau war dann erneut ein Anlass, um in beiden Städten Sanierungsarbeiten durchzuführen, merkt Dr. Lewe an. In Rheda wurden der Domhof und der Schlossgarten umgebaut, das Schloss an die Kanalisation angeschlossen. Auch in Wiedenbrück, wo es bis dahin fast nur Sickergruben gab, wurde eine Kanalisation gebaut. Die Städte machten sich fein, die Flora mit heutiger Stadthalle wurde gebaut und die Grünanlagen der Landesgartenschau erwiesen sich nicht nur als optische Verbindung zwischen den beiden Städten. Als die Autobahn im Jahr 1982 auf sechs Spuren ausgebaut wurde, sorgte man dafür, dass ein Durchgang zur Flora unter den Fahrbahnen geschaffen wurde und die Autobahn die beiden Städte nicht mehr komplett trennte.

Das heutige Verhältnis ist immer noch ein wenig von der ehemaligen Konkurrenz geprägt – aber nicht mehr so tiefgreifend. Es gibt zum Beispiel zwei Feuerwehren, Rhedaer und Wiedenbrücker Sport-, Karnevals-, Schützenvereine und Heimatvereine. Dr. Lewe ist der Meinung, dass diese Konkurrenz positiv ist und man sich gegenseitig anfeuert. Auch wenn die Wiedenbrücker beim Karnevalsumzug bei der Ausfahrt aus Rheda immer noch gerne singen „Wir sind aus Rheda raus, wir sind aus Rheda raus.“ Aber das mit einem Augenzwinkern.

Das Wiedenbrücker Lied

Über tausend Jahre alt,
zwischen Wiesen, Feld und Wald
liegt unsre kleine Stadt,
die für alle groß und klein …

Fachwerkhäuser, kunstreich schön,
hoch die starken Türme stehn
in unsrer kleinen Stadt,
die für alle groß und klein …

Handwerk, Handel, schöne Kunst,
alles steht in hoher Gunst
in dieser kleinen Stadt,
die für alle groß und klein …

Manchmal sind wir etwas lahm,
bleiben doch nicht immer zahm
in dieser kleinen Stadt,
die für alle groß und klein …

Euer Recht ist Eure Macht;
doch gebt auf die Räte acht
in dieser kleinen Stadt,
die für alle groß und klein …

Bürgermeister und Ihr Rät,
noch ist es nicht ganz zu spät
für unsere kleine Stadt,
die für alle groß und klein –
Niemals wird das anders sein! –
nur den einen Namen hat:
Wiedenbrück bleibt Wiedenbrück!
Stadt und Name kehrn zurück!
Bürger setzt Euch dafür ein!
Dann wird bald es sicher sein!

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