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Verleger wie der aus Harsewinkel stammende Rainer Sprehe sorgen dafür, dass sich Holz immer wieder in Papier verwandelt. Mit seinem auf Radsport spezialisierten Covadonga Verlag hat er die Buchszene eindrucksvoll bereichert – als Ein-Mann-Betrieb.

Am Anfang war die Lücke. „Warum muss ich Bücher über den Radsport eigentlich immer auf Englisch oder Niederländisch lesen?“, fragte sich Rainer Sprehe als Liebhaber der Sportart. Seine Antwort hat er schließlich gefunden: „Dann muss ich wohl selbst Abhilfe schaffen.“ Im Herbst 2002 meldete der gebürtige Harsewinkler den Verlag Covadonga offiziell als Gewerbe an. In Frühjahr und Sommer 2003 erschienen die ersten vier Bücher, fast 20 Jahre später ist die Zahl auf mehr als 160 gewachsen. Darunter sind Biographien, Reiseberichte oder Ratgeber, die in irgendeiner Form mit Radsport zu tun haben. Ein Roman des preisgekrönten belgischen Autors Dimitri Verhulst ist ebenso vertreten wie ein Buch über den Radsportboom in Ruanda. Manche Bücher erzählen von Glück und Schönheit des Pedalierens, andere davon, wie der Profisport Leben zerstören kann. Kurz: Die Covadonga-Mischung ist so bunt wie das Fahrerfeld aus der Hubschrauberperspektive.

Das richtige Gespür
Jüngster Coup sind die Bücher von Guillaume Martin. Der französische Profifahrer landet derzeit nicht nur in den Top 10 der großen Landesrundfahrten, sondern sorgt auch in den internationalen Feuilletons für Furore. Der studierte Philosoph sinniert kenntnisreich und kurzweilig über die Gemeinsamkeiten von Spitzensport und den Gedankenwelten der Herren Sokrates, Platon und Aristoteles. Monty Python trifft Frankfurter Schule – verlegt in Bielefeld, wo der Covadonga-Gründer mit Familie lebt.
Zurück zu den Anfängen. Zu den ersten Veröffentlichungen des nach einem Ort in Spanien benannten Verlages gehörte das Buch „Raubeine rasiert“. Der ungeschminkte Bericht des irischen Ex-Profifahrers Paul Kimmage wurde 1990 in England zum Sportbuch des Jahres gekürt. Kein Verlag in Deutschland schien sich in all den Jahren für das Buch zu interessieren, obwohl es in radsportverrückten Ländern längst als Klassiker galt. Also versuchte Rainer Sprehe sein Glück. Rasch zeigte sich, dass er das richtige Gespür hatte. Nachdem der bekennende Radsportfan Manuel Andrack eines Abends in der „Harald Schmidt Show“ Passagen aus dem Kimmage-Buch vorlas, stand das Buch kurz darauf in den Top10-Verkaufscharts eines großen Onlineversandhauses.

Ein gutes Näschen bewies der ostwestfälische Verleger auch mit dem Londoner Autor Tim Moore, der zu seinen ersten Veröffentlichungen gehörte. In „Alpenpässen und Anchovis“ erzählt Moore mit britischem Humor, was einem so widerfährt, wenn man alleine und ohne große Französisch-Kenntnisse die 3.000 Kilometer einer Tour de France nachradelt. Moores skurrile Reisebücher – er ist mit dem Esel den Jakobsweg abgeschritten oder hat auf einem DDR-Klapprad fast 9.000 Kilometer vom Barentssee bis zum Schwarzen Meer zurückgelegt – gehören seither zum festen Bestandteil des Covadonga-Programms. Was anfangs noch ein Hobby war, ein Nebenberuf, ist für Rainer Sprehe längst zum Haupterwerb avanciert. Dabei ist sich der Verleger dem „Do it yourself“-Motto treu geblieben. In seinem Ein-Mann-Betrieb übernimmt der Verleger alles vom Layout der Bücher bis zur Pressearbeit. Er telefoniert mit Autoren aus den USA, beantwortet Presseanfragen aus Österreich und schickt Bücher für eine Weihnachtstombola zu einem Radsportverein in die Eifel. Einige Bücher übersetzt er, andere hat er gleich selber geschrieben. Man kann auch sagen: Ohne Leidenschaft läuft das alles nicht.

Sprung ins kalte Wasser
Musik und Sport hatten ihn in schon jungen Jahren fasziniert. Als Schüler gab er in Harsewinkel ein Punk-Fanzine heraus, das sich dank origineller Schreibweise und Themenwahl in der überregionalen Szene rasch einen exzellenten Ruf erwarb. In Studienzeiten schrieb er unter anderem für das Arminia-Bielefeld-Fanzine „Um halb vier war die Welt noch in Ordnung“, später auch für das Magazin „11 Freunde“. Nach abgeschlossenem Studium und Volontariat zog er Anfang der 2000er-Jahre nach Bielefeld, um sich mit einem Redaktionsbüro selbstständig zu machen. Über Aufträge musste er sich nicht beklagen, allerdings reizte es ihn irgendwann, berufliches Neuland zu betreten. Also sprang er rein ins kalte Wasser des Verlagsgeschäfts. „Ich habe gleich in den Anfangstagen eine große Anzeige in dem Magazin des Börsenvereins des Buchhandels geschaltet“, blickt Rainer Sprehe zurück. „Das war für einen Kleinverlag schon ein sehr forsches Auftreten.“
Auch wenn die Nische der Radsportliteratur erfolgreich gefunden war, tauchten mitunter Hindernisse auf. Im Gegensatz zu anderen Ländern genießt der Profi-Radsport in Deutschland nach einigen Doping-Affären nicht den allerbesten Ruf. Das bedeutendste Radrennen, die Tour de France, wurde in manchen Jahren nicht einmal mehr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen. Entsprechend verhalten reagierte der Buchhandel, wenn es um das Bestellen von Büchern ging. Für den Verleger hieß das, verstärkt auf Titel jenseits der Profisportthemen zu setzen. Schließlich wächst die Szene der ambitionierten Hobbyfahrer auch hierzulande seit Jahren. Für diese Zielgruppe hat Covadonga etwa mit der „Trainingsbibel“ des US-amerikanischen Autors Joe Friel einen Ratgeber parat, der seinen selbstbewussten Titel nicht ohne Grund trägt. Die Welt des Sports kennt Rainer Sprehe dabei nicht nur aus der Zuschauerperspektive. Seine sportliche Karriere als Fußballer endete in der A-Jugend des TSG Harsewinkel mit einer Roten Karte wegen Schiedsrichterbeleidigung. In den Folgejahren schwang er sich immer wieder für lange Touren auf das Rennrad – stets als Hobby, für einen Verein ist er nie gefahren. Heute ist er immer noch viel mit dem Rad unterwegs, mit dem Rennrad ebenso wie mit Mountainbike und Gravel-Rad. Es gibt wohl kaum einen Weg im Ravensberger Land, den er noch nicht befahren hat. Zudem schnürt er die Laufschuhe für TuS Eintracht Bielefeld und nimmt an Laufevents vor allem in der Region teil.
Die regelmäßige Bewegung in der Freizeit ist Ausgleich für die vielen, vielen Stunden im Bürostuhl, die es zu verbringen gilt, wenn man einen Verlag leitet. Ganz alleine ist er nicht, beim Vertrieb beispielsweise kooperiert er seit Jahren mit dem ursprünglich aus Göttingen stammenden Verlag Die Werkstatt, der sich vor allem auf Fußballbücher spezialisiert hat. Zu der Zusammenarbeit gehörte in den Vor-Corona-Jahren auch ein gemeinsamer Auftritt auf den großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt am Main. „Als Ein-Mann-Betrieb muss ich wieder Kosten und Nutzen abwägen. Ein mehrtägiger Messeauftritt zum Beispiel ergibt in meinem Fall einfach wenig Sinn“, erläutert der 50-Jährige.

Dauerbrenner im Verlag
Lohn für die Mühen sind nicht nur stimmende Verkaufszahlen. Lohn ist auch die öffentliche Anerkennung für den Mut, immer wieder neue Buchprojekte jenseits des Mainstreams zu wagen. Als das in der Szene angesagte Onlineportal „Cycling Magazine“ im Dezember 2021 eine Weihnachts-Wunschliste mit den zehn besten Radsport-Büchern veröffentlichte, stammten neun aus dem Covadonga Verlag. Eine Kolumnensammlung des in Deutschland unbekannten Niederländers Wilfried de Jong „Ein Mann und sein Rad“ fand nicht zuletzt viele Käufer, weil es sonntagsmorgens lobend im Radioprogramm von WDR 2 vorgestellt wurde (und vielleicht auch, weil ein nackter Mann auf dem Cover zu sehen war). Ein Dauerbrenner im Verlag ist auch das Buch „Der Schweiß der Götter“, in dem sich Benjo Maso mit der Geschichte des Radsports beschäftigt. „Das Buch hat sich zunächst nicht besonders gut verkauft, gewann dann aber durch viele positive Besprechungen und Tipps viel Aufmerksamkeit.“
Wirklich vorhersehbar sind Verkaufszahlen und öffentliche Resonanz nicht – erst recht, seitdem die sozialen Medien die klassischen Buchkritiken der Printzeitungen, Fernseh- oder Hörfunkmagazine mit einer Vielzahl an Blogs, Tweets oder Podcasts ergänzen. Schwer zu prognostizieren ist auch der Verkauf von E-Books. „Der Anteil ist bei mir anfangs stetig gestiegen, stagnierte dann, um jetzt sogar zurückzugehen“, so Rainer Sprehe. Erfahrungen, die er mit anderen Verlagen teilt. Ein anderes Thema, das die Branche derzeit umtreibt, ist die Papierknappheit. „Das ist schon seit etlichen Monaten eine Herausforderung und erschwert die Planungen“, führt er aus. „Der Termindruck bei den Druckereien ist enorm, zudem sind die Papierpreise deutlich gestiegen.“ Das hat beispielsweise Auswirkungen beim Nachdruck von älteren Titeln, der sogenannten Backlist. Mitunter ist das Papier nicht mehr verfügbar, auf dem ein Buch einst gedruckt wurde. Einige Verlage haben daraufhin die Preise für nachgedruckte Titel angehoben. Welche Auswirkungen das für seine Preisgestaltung hat, vermag Rainer Sprehe noch nicht zu sagen. Sicher ist: Pläne für die Zukunft hat er so einige. Fast zwanzig Jahre nach der Verlagsgründung gehen ihm die Ideen für neue Buchprojekte nicht aus. Wie gut, dass da diese Lücke war.

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