Digital geht noch einiges. Und an vielen Orten der Republik ganz unterschiedliches.

Müllautos des Entsorgungskonzerns Remondis machen, was Müllautos sollen: Aberhunderte von ihnen fahren durch praktisch alle Straßen deutscher Kommunen, um Müll einzusammeln. Das ist eine vergleichsweise stupide, aber notwendige Aufgabe, um die sich niemand zwingend schlägt.

Der Konzern hat nachgedacht. In einer Kooperation mit einem Experten für Künstliche Intelligenz, Gary Hilgemann, gelangte man schnell zu der Überzeugung: Die Fahrzeuge müssen eigentlich viel mehr können. Von der Überzeugung zum Handeln und zum Ausprobieren waren es einige digitale Schritte. Denen voraus ging eine sachliche Betrachtung dessen, was in der kommunalen Verantwortung noch nützlich sein könnte.

Daten sammeln im Vorbeifahren

Herausgekommen war dabei die Erkenntnis, dass sich die befahrenen Straßen in unterschiedlichem Zustand befinden. Mal gibt es relativ junge Straßenbeläge, mal Buckelpisten und ein anderes Mal Strecken mit beginnenden, mehr oder weniger tiefen Schlaglöchern. In Versuchsgebieten wie Oberhausen hat sich Remondis dieser Straßen mit ihren Mängeln angenommen. Während die Müllautos wie gehabt ihrer originären Aufgabe nachkommen, sammeln sie nun auch Daten aus Straßenvermessungen quasi im Vorbeifahren ein und übermitteln dabei festgestellte Mängel direkt an zuständige Ämter, die sich dann um die Behebung kümmern. Ähnlich verhält es sich mit verschmutzten Straßenschildern: Müllautos „sehen“ die Mängel, übermitteln sie – versehen mit entsprechenden Koordinaten – und schon lassen sich Probleme ohne übermäßigen Aufwand lösen.
Ein weiteres Problem, von Remondis und der Firma STF aus Dülmen mit einer Lösung versehen, wird im Kreis Coesfeld angegangen. Im ganzen Kreis messen die Fahrzeuge des Konzerns die Versorgung mit Mobilfunk. So entsteht eine flächendeckende Landkarte, die Versorgungslücken und den entsprechenden Ausbaubedarf ausweist.
Hinter all den Beispielen steckt dieselbe Mimik: Die Ressourcen in vorhandener Infrastruktur werden entdeckt und nutzbar gemacht, hier erweitert durch die Nutzbarkeit einer kompletten Flächenabdeckung und regelmäßig wiederkehrender Arbeitsabläufe.
Das alles klingt noch banal im Vergleich zu den Herausforderungen, denen sich Kommunen in absehbarer Zukunft stellen müssen: Wie bekommen sie beispielsweise autonome Fahrzeuge in die städtischen Verkehrssysteme integriert? Wie lässt sich Klimaneutralität steuern? Wie bettet man smarte Industrie 4.0-Fabriken in die bestehende Infrastruktur ein?
So individuell, wie Kommunen sind – so individuell muss an Lösungen herangegangen werden. Im ländlichen Bereich stellen sich andere Herausforderungen als in urbanen Städten. Weshalb sich Kommunen neben überregional, teils global gedachten Zukunftsprojekten mit eigenen Lösungen auf den Weg machen.

Absichten im Sinne der Bürger

Dabei sind hoheitliche Aufgaben der Kommunen zu respektieren. Der Versuch der Stadt Würzburg, Abläufe der kommunalen Verwaltung in der Abwicklung an einen Gütersloher Servicedienstleister zu übertragen, scheiterte am politischen und bürgerlichen Widerstand und kostete die Oberbürgermeisterin vor circa 15 Jahren ihr Amt.
In Gütersloh geht der „Digitale Aufbruch“ einen anderen Weg. Gefördert wird er mit Mitteln aus dem Programm „Modellprojekte Smart Cities made in Germany“. Die Bürgerschaft wurde in einer Laufzeit von 2018 bis 2020 an der Ideenfindung zu Projekten beteiligt. Hier bewahrheitet sich: Wer die Menschen mitnimmt, überrollt sie nicht mit Veränderungen, die leicht als Bevormundung missverstanden werden können. Vielmehr lassen sich nun Absichten erkennen, die im Sinne der Bürger sind und die einen hohen Nutzwert und Zugewinn an Lebensqualität versprechen.
Ein Beispiel ist die „24/7 Open Library Stadtbibliothek“: Bisher hat die Bibliothek 41 Stunden in der Woche geöffnet. Mit elektronischen Zugangskontrollen, einer intelligenten Energiesteuerung von Licht und IT und mit der schon vorhandenen automatisierten Ausleihe und Rückgabe könnte die Öffnung des Hauses umfassend ausgedehnt werden und so den Nutzern als erweitertes Arbeitszimmer im öffentlichen Raum auch abends und an Wochenenden zur Verfügung stehen.
Ein weiterer von insgesamt rund 35 verfolgten Vorschlägen im „Digitalen Aufbruch“: Die Verknüpfung von Mobilitäts- und Kulturangeboten, dem Ticketverkauf und Steckbriefen zu Veranstaltungen in einem Kulturportal mit entsprechender App.
Gütersloh ist noch mit der Entwicklung seiner Smart City Strategie beschäftigt – wie insgesamt acht Großstädte in NRW. Nur Gelsenkirchen, Paderborn und Solingen sind schon weiter und setzen ihre Strategie bereits um. Paderborn beispielsweise hat fünf Arbeitspakete definiert, die sich um unterschiedliche Schwerpunkte kümmern. In Summe geht es dann darum, alle nützlichen Daten in der Urban Data Plattform zu erfassen. Damit wird die Basis gelegt, um für die Stadtentwicklung eine ganzheitliche Betrachtung zur Verfügung zu haben. Dabei spielen auch die Aspekte aus den Bereichen Energie und Verkehr eine wichtige Rolle.
Mit manchem Thema der Smart Cities fremdelt der Außenstehende noch, weil es ihn entweder in der Beschreibung der Projekte nicht oder nicht ganz erreicht – oder aber weil in den Projekten so viel Zukunftsmusik steckt, die erst noch zu verständlichen Alltagsklängen werden muss.
Als reizvoll erscheint bei den Modellprojekten Smart Cities, dass sie aus echten Bedarfen und Bedürfnissen heraus in authentischen Kommunen entwickelt wurden und so in der praktischen Anwendung wahrnehmbar werden. Aus einem üppigen Bouquet lokal oder interkommunal entwickelter Projekte kann ganz Deutschland profitieren. Und so werden sich künftig auch im Kreis Gütersloh Lösungen anwenden lassen, die ihre Kinderkrankheiten längst im Modellversuch haben ablegen können.

Vernetzung mit anderen Kommunen

Dazu ist eine Vernetzung der digitalen Veränderer ebenso erforderlich wie entsprechende Mittel und die passgenaue Weiterbildung. Nur so lassen sich die Menschen mitnehmen in eine neue Ära öffentlichen Lebens. Das bestätigt im Übrigen auch das Zukunftsradar Digitale Kommune 2022. Die Studie hatte der Deutsche Städte- und Gemeindebund im Juni 2022 veröffentlicht. Aus ihr geht hervor, dass sechs von zehn Kommunen 2021 Fortschritte bei der Digitalisierung gemacht haben. Aber nur jede fünfte Kommune von 900 erfassten Städten und Gemeinden meint, der Stand der eigenen Digitalisierung sei gut oder sogar sehr gut. Knapp die Hälfte der befragten Kommunen übrigens hat bisher noch gar nichts Spruchreifes in Fragen einer Digitalisierungsstrategie auf dem Tisch.

Als wichtigstes Instrument für eine gelingende Digitalisierung sehen die Kommunen übrigens die Vernetzung mit anderen Kommunen an; Geld und Weiterbildung rangieren an zweiter und dritter Stelle. Diese drei Kriterien erscheinen lösbar im Vergleich zu einer vierten Hürde, die im Radar deutlich benannt wird: Kleine Kommunen gucken besonders lang in die Röhre, wenn es um die Gewinnung von Fachpersonal für Projekte der Digitalisierung geht. Insgesamt aber beschreiben mehr als 40 Prozent der Befragten ihre personelle Situation als schlecht oder sogar sehr schlecht. Bei dem gegenwärtigen durch Krieg und Corona heraufbeschworenen Mangel an Fachkräften über alle Branchen hinweg besteht hier wohl die größte Herausforderung, um gelingende Digitalisierungsschritte machen zu können. Die angespannte Personallage erscheint in absehbarer Zeit kaum lösbar – und sie wird verbunden sein mit der Frage nach Finanzmitteln von Bund und Ländern, die derzeit zur Krisenbewältigung an anderer Stelle aufgezehrt werden. Doch die Corona-Krise hatte auch ihr Gutes im Bereich der öffentlichen Verwaltungen: Fast 90 Prozent der kommunalen Beschäftigten waren in der Lage im Homeoffice zu arbeiten, und es wurden bei 60 Prozent der befragten Kommunen neue Tools zur Zusammenarbeit eingesetzt. Die digitalen Dienstleistungen der Verwaltung für die Bürger haben Corona bedingt bei 50 Prozent der befragten Kommunen zugelegt. Die Krise als Fortschrittstreiber funktioniert zäh, aber sie funktioniert.
Aber manchmal sind es eben auch die kleinen Dinge, die einen großen Zugewinn versprechen: Wenn beispielsweise ein schlichtes digitales Tableau – wie es als Projekt im „Digitalen Aufbruch“ in Gütersloh definiert wurde – Isselhorst informativ auf die Sprünge hilft. Oder wenn Sensoren und Künstliche Intelligenz helfen, Bürgern auf die Finger zu klopfen, die Biomüll mit Restmüll verwechseln. Und dann sollen auch hier die Müllfahrzeuge die Straßenzustände unter die Lupe nehmen. Weil sie es können, wenn man sie denn lässt. Und wenn erst einer, wie eingangs Remondis, den Anfang gemacht hat …

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