Im kommenden Sommer feiert sie ihren 75. Geburtstag. Man kann sie also durchaus als betagt bezeichnen: Die Vinyl-Schallplatte, die Ende des vergangenen Jahrhunderts eigentlich schon vor dem Aus stand. Warum sie dennoch in einem Magazin voll von Innovationen Platz findet? Sie bestimmt inzwischen nach eindrucksvollem Comeback die neue Hörkultur ganz maßgeblich und ist damit ein echter Trendsetter. Zudem steht mit der Bertelsmann-Tochter Sonopress ein Unternehmen bereit, den Wachstumsmarkt mit Top-Tonträgern Made in Gütersloh zu beliefern.
Foto: Bertelsmann
Es war am 21. Juni 1948 im legendären Waldorf Astoria-Hotel in New York, als der amerikanische Musikkonzern Columbia Records eine glänzend schwarze Scheibe aufs Grammophon legte, den Tonkopf vorsichtig in die Spiralfurche setzte und die diamantene Nadel Mendelssohns Violinkonzert in E-Moll aus den Rillen kratzte. Der Beginn des Siegeszugs der Schallplatte. Geräusche, Sprache und Musik, Klassik und Pop, Hits und Hörspiele, die Beatles und die Stones, Karajan und Karel Gott – alles, was einen aufzeichnungswürdigen Ton von sich gab, klang ab sofort auf bruchsicherem und leidlich widerstandsfähigem Untergrund im Kreis.
Im Rausch der Töne
Und wie kommt der Klang auf die Scheibe? – Ganz einfach: Die aufgezeichnete Schwingung wird mechanisch moduliert, indem das gespeicherte Tonmaterial in Form von Unebenheiten in eine Kunststoffoberfläche gepresst wird. Das Ganze wird beim Abspielen dann vom Tonkopf abgetastet. Die Rille, in der die Nadel unterwegs ist, ist nämlich nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint, glatt und eben. Sie weist vielmehr genau das gezahnte Profil auf, das den Inhalt der Aufnahme bestimmt. Die Bewegungsstöße des Tonkopfes, der sich durch die typischen Einkerbungen arbeitet, werden in Klänge verwandelt, die schließlich stereophon aus den beiden Lautsprechern des Plattenspielers strömen. Gerade Menschen mit feinem Gehör lieben dieses Prozedere auf Vinyl: Es ist die unvergleichliche Klangdynamik mit all ihren Höhen und Tiefen, die das Zuhören zu einem sinnlichen und sehr lebendigen Tonerlebnis avancieren lässt. Da das Vinyl als Wiedergabematerial rein technisch gesehen alles andere als ideal ist, tönt es mit einer minimalen Unschärfe vom Plattenspieler in den Raum – genau das verleiht den Tönen ihre berauschende Wärme, lässt den grellen, mitunter zu klaren Ton der CD vergessen, und auch der sterile Sound aus Streaming-Endgeräten gerät schnell ins Hintertreffen, sobald es auf dem Schallplattenspieler rund geht. Hinzu kommt: Anders als bei den Folge-Tonträgern sind die Geräusche auf Vinyl nicht in ihrem Klangspektrum beschnitten, die aufgezeichneten Töne nicht datenkomprimiert. Die Aufnahme kommt also in vollem Ausmaß auf die Scheibe und zur Geltung.
Das schätzt auch Sven Deutschmann, Geschäftsführer der Bertelsmann-Tochter Sonopress. Der 59-Jährige, der selber gerne mal zur Gitarre greift, mag „die perfekte Mischung aus Musik und einem kreativen Cover.“ Manche Schallplatten-Hüllen sind geradezu Kunstwerke. „Nehmen Sie beispielsweise das ikonische Bananen-Cover-Artwork von Andy Warhol für The Velvet Underground!“ Auch an seine erste selbst gekaufte Schallplatte erinnert sich der Chef des digitalen Dienstleisters noch „sehr genau“: Es war das „White Album“ von den Beatles. „Ich konnte die Platte im Urlaub als 13-Jähriger aus zweiter Hand für 10 Mark erwerben – damals ein wirklich günstiger Preis“, schmunzelt Deutschmann.
Sonopress: Jetzt geht’s wieder rund
Auch in Gütersloh meldet sich das schwarze Rund wieder zurück: Bei der Bertelsmann-Tochter Sonopress steht man in den Startlöchern, um künftig beim Thema Vinyl den Ton anzugeben. Dazu hat man eine Million Euro Investitionskapital in die Hand genommen und unter anderem nagelneue Schallplattenpressen aus Schweden gekauft. Es kann künftig also wieder rund gehen an der Carl-Bertelsmann-Straße, dort wo am 2. Dezember 1992 die letzte Langspielplatte in Form gepresst wurde. faktor³ spricht darüber mit Sven Deutschmann.
Ist es korrekt, dass Sonopress zurzeit noch nicht am Standort Gütersloh produziert, sondern in Frankreich?
Das ist richtig – und so war es von Anfang an geplant. Wir arbeiten seit Jahren mit unserem französischen Kooperationspartner sehr erfolgreich zusammen. Vor allem liefern wir über diesen Weg gemeinsam die in Gütersloh vor sechs Jahren entwickelten hochauflösenden 4K UHD Blu rays in den französischen Markt. In diesem Format können bis zu 100 GB auf einer Disc gespeichert werden. UHDs sind sozusagen das High-End-Produkt im optischen Datenspeicherformat und werden komplett bei Sonopress in Gütersloh hergestellt.
Bei der herkömmlichen Langspielplatte kommen hingegen die fast unveränderten Fertigungsverfahren der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre zum Tragen. Beispielsweise werden bei der Verarbeitung des Basismaterials Vinyl Wasserdampf und Kühlwasser eingesetzt. Und wie es bei jeder Neuaufnahme eines Fertigungsprozesses nun mal so ist, bedarf es während der Einführungsphase einer gewisse Lernkurve, bis alle Prozesse stabil laufen. Unser französischer Kooperationspartner hatte diese Lernkurve bereits erfolgreich durchlaufen – und da war es für uns bei Sonopress mehr als naheliegend, die Zeit bis zum Go-Live abzukürzen und unsere ersten LP-Pressen in Frankreich aufzustellen. Da dort die gesamte Infrastruktur bereits vorhanden ist, ergibt sich die Produktionsbereitschaft quasi von Tag eins nach der jeweiligen Maschineninstallation. Eine ideale Voraussetzung für unseren Wiedereinstieg in die LP-Produktion nach ziemlich genau 30 Jahren.
Ab wann ist es denkbar, in Gütersloh wieder Schallplatten zu produzieren, was müssen dazu für Vorgaben erfüllt sein, und wie stellen Sie sich dann das Prozedere vor?
Es wird Sie überraschen, aber genau genommen haben wir bei Sonopress in Gütersloh bereits in diesem Jahr mit dem Aufbau einzelner Fertigungsschritte begonnen. Zum kompletten Herstellungsprozess gehört ja nicht nur das eigentliche Pressen der Platten, sondern auch die Dateneingangsprüfung und das sogenannte Mastering, gefolgt von der Galvanik zur Anfertigung der Matrizen für den Fertigungsprozess. Darin steckt eine Menge Know-how, doch das gehört zu unseren Stärken aus der CD- und DVD-Fertigung. Und dass wir zum gegebenen Zeitpunkt im Zuge des weiteren Kapazitätsausbaus neue Linien in Gütersloh aufbauen werden, gehört ganz klar zu unserem strategischen Ansatz. Die Räumlichkeiten bei uns an der Carl-Bertelsmann-Straße sind dafür gut geeignet, der notwendige Platz steht uns zur Verfügung, und unser Fachpersonal freut sich schon auf die neuen Herausforderungen. Übrigens sind wir mit unserer Spezialdruckerei Topac seit vielen Jahren sehr vertraut mit der Marktentwicklung im Schallplatten-Segment.
Welches werden die ersten Schallplatten sein, die in Frankreich gepresst werden? Von welchen Künstlern?
Die erste Schallplatte, die wir in unserem neuen Workflow produziert haben, war der BMG Titel „The Kinks“. Ein echter Klassiker! Auf der LP befindet sich unter anderem der bekannte Titel „Waterloo Sunset“.
Vinyl ist ein Kunststoff – nun erlebt dieses Material im Format der Schallplatte ein Revival – ist das nicht komplett gegen die Trend der Nachhaltigkeit?
Hinsichtlich des grundsätzlichen Einsatzes von Kunststoff muss man sicherlich differenzieren. Es geht ja bei der LP nicht um ein funktionales, schnelllebiges Verpackungsprodukt, das nach kurzer Zeit in einen Recyclingkreislauf gelangt, sondern um Sammlerstücke, die archiviert, gehegt, gepflegt und viele Jahrzehnte lang aufbewahrt werden. Übrigens sieht die Umweltbilanz beim Streaming gar nicht so positiv aus, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte.
Streaming ist nicht komplett umweltfreundlich?
Nein. Grund dafür sind die Treibhausgasemissionen. Und die entstehen nicht nur wenn unter anderem der Akku des Wiedergabegerätes aufgeladen und die Internetverbindung gehalten werden muss – auch die Digital Service Provider verbrauchen viel Energie: ihre riesigen Server sind wahre Stromfresser.
Ist es wirklich das Hörerlebnis, dass das Comeback begründet, oder ist es einfach der Nostalgie geschuldet, mit der man den schwierigen Zeiten entflieht?
Fest steht, dass es ein anhaltender Trend ist, der jetzt schon seit mehreren Jahren erfreuliche Zuwächse aufweist, Das Interessante daran ist, dass die Gründe sehr vielfältig sind. In jedem Falle bietet ein physisches Tonträgerprodukt, sei es nun eine Schallplatte oder eine CD, viel mehr für jeden Musikliebhaber als ein einfacher Datenstrom über das Streaming – damit meine ich das Cover, das Booklet und häufig auch zusätzliche Features.