Die Realität ist besser als ihr Ruf
Interview: Christian Horn . Fotos: Detlef Güthenke
Ein gutes Gehalt, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und glänzende Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt dank großer Nachfrage – es gibt gute Gründe, sich für die Arbeit in der Pflege zu entscheiden. Ein zentrales Argument fehlt laut Marcus Plump, Teamleiter Tagesstruktur der FLEX Eingliederungshilfe gGmbH, allerdings auf der Liste: „Die Freude, mit Menschen zu arbeiten und zu erleben, wie sie von deinem Engagement profitieren. Diese Erfahrung ist einfach großartig und für mich immer noch die größte Motivation, diesen Beruf auszuüben.“
Seit 1990 kümmert sich der Sozialmanager an den Standorten Werther und Versmold um Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen. Mit seinem Team gestaltet er Tagesstrukturen, ohne die seine Klientinnen und Klienten nur schwer im Alltag zurechtkämen. Als zentraler Ansprechpartner organisiert er Spiel- und Unterhaltungsangebote, plant Tagesfahrten und Ausflüge oder initiiert auch schon mal ein Kunstprojekt. Für den 55-Jährigen geht es aber nicht nur um Betreuung und Begleitung. „Wir wollen den Menschen darüber hinaus Kompetenzen vermitteln, die für ihren Lebensalltag wichtig sind. Manchmal gelingt es uns sogar, hilfsbedürftige Menschen aus schweren Lebenskrisen zurück in die Arbeitswelt zu führen. Das sind dann echte Highlights in der täglichen Arbeit.“
Gute Chancen in der Pflege
Positive Erfahrungen, die Marcus Plump gerne mit anderen teilt, so auch im September 2023 auf der Informationsveranstaltung „Deine Chance in der Pflege“ im Kreishaus in Gütersloh. „Als wir von der Veranstaltung hörten, haben wir uns ohne Zögern für die Teilnahme entschieden. Schließlich sind wir wie alle anderen Pflegeanbieter auch immer auf der Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen, die uns unterstützen können.“ Ein Dutzend Aussteller bot den über 100 Besucher:innen auf so genannten Aktionsinseln die Möglichkeit, sich rund um das Thema Pflege zu informieren. Ergänzt wurde das Angebot durch Interviews mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der Pflege sowie mit Bildungsträgern, die den vorrangig ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer detaillierte Auskünfte zu Themen wie Qualifizierung, Umschulung und Weiterbildung gaben. „Um die personellen Engpässe in der Pflege zu schließen, müssen auch Quereinsteiger und Personen mit Migrationshintergrund, die häufig bereits in ihren Heimatländern in Pflegeberufen gearbeitet haben, stärker in den Blick genommen werden. Ansonsten bekommen wir die Situation in der Pflege nicht in den Griff“, unterstreicht Jürgen Blomeier vom Jobcenter des Kreis Gütersloh die Bedeutung dieser Zielgruppen. Dabei dürfe jedoch das Thema Qualifizierung nicht aus dem Blick geraten. „Schließlich wollen wir die Menschen, die sich für den Weg in die Pflege entscheiden, ja auch im Beruf halten und nicht nach wenigen Monaten schon wieder verlieren. Damit wäre nichts gewonnen.“
Junge Menschen frühzeitig ansprechen
Denn die Zeit drängt. Bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland mindestens 300.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Eine Situation, in der es mehr denn je darauf ankommt, junge Menschen frühzeitig für eine Ausbildung in diesem Beruf zu begeistern. „Wir wollen schon bei den Schülerinnen und Schülern das Interesse am Pflegeberuf wecken und sie in ihrem sozialen Umfeld und in ihrer Sprache über die aktuellen Rahmenbedingungen und Perspektiven informieren“, erläutert Claudia Fuchs, Leiterin Kommunale Koordinierung vom Bildungsbüro Kreis Gütersloh. Ein Mittel der Wahl: ein zweiteiliger Kurzfilm, der jungen Menschen den Pflegeberuf näherbringen soll. Mit ihrer Anfrage an das „Berufeklappe“–Team der Moritz-Fontane-Gesamtschule aus Rheda-Wiedenbrück stieß sie bei Schülerlaborleiter Sascha Müller auf offene Ohren: „Wenn ich Schülerinnen und Schüler nach ihrem Wunschberuf frage, fällt der Begriff „Pflegekraft“ nur selten. Viele assoziieren mit dem Pflegeberuf schlechte Bezahlung und viele Überstunden. Dabei sieht die Wirklichkeit oft anders aus.“ Tatsächlich erhält ein nach TVöD vergüteter Gesundheits- und Krankenpfleger bereits im ersten Berufsjahr eine Vergütung von über 3.000 Euro brutto (monatliches Grundgehalt zuzüglich Zuschläge), die sich in den folgenden Jahren je nach Qualifizierungsgrad weiter erhöhen kann. Demgegenüber steht eine hohe Arbeitsverdichtung mit viel Verantwortung häufig schon in den ersten Berufsjahren. Unterschiedliche Aspekte eines vielschichtigen Berufsbildes, die im Kurzfilm „Ausbildung in der Pflege“ anschaulich am Beispiel der beiden Auszubildenden Pauline und Ertunc erzählt werden. „Der Film zeigt eindrucksvoll, wie interessant und abwechslungsreich, aber auch verantwortlich eine Ausbildung in der Pflege sein kann. Ich bin mir sicher, dass der Film helfen wird, neue Interessenten für diesen wichtigen Beruf zu gewinnen“, ist Claudia Fuchs von der Wirksamkeit der Maßnahme überzeugt.
Ausbildungsvergütung auf hohem Niveau
Junge Menschen bereits in der Schule mit dem Pflegeberuf vertraut machen – eine Strategie, von der auch die Zentrale Akademie für Berufe im Gesundheitswesen GmbH (ZAB) in Gütersloh profitiert, sagt Stephanie Hiller, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der ZAB: „Im Gegensatz zu den Vorjahren sind die jungen Menschen, die sich bei uns für eine Ausbildung bewerben, häufig deutlich besser qualifiziert und bringen bereits erste Erfahrungen in dem Berufsfeld mit, zum Beispiel über Praktika und ehrenamtliches Engagement. Darauf kann man dann in der Ausbildung sehr gut aufbauen.“
Rund 400 Auszubildenden nutzen jährlich das Angebot des Bildungsunternehmens für Berufe im Gesundheitswesen. Hinzu kommen einige tausend Berufstätige, die Weiterbildungsangebote der ZAB in Anspruch nehmen. „Unser Ziel ist es, für alle Absolventinnen und Absolventen ein interessantes und vor allem aktuelles Angebot bereit zu stellen. Schließlich soll nicht nur der Beruf, sondern auch schon die Aus- und Weiterbildung so attraktiv wie möglich gestaltet werden“, erläutert Stephanie Hiller. Dementsprechend spielt das Thema Digitales Lernen an der ZAB, wo die unterschiedlichen Lehrprogramme und Inhalte nach neuesten Standards vermittelt werden, eine große Rolle. „Digitale Lösungen prägen mittlerweile die Praxis im Gesundheitswesen. Diese Entwicklung müssen wir als Ausbildungseinrichtung natürlich berücksichtigen, wenn wir die Menschen gut auf den Beruf vorbereiten wollen.“ Ob die technisch hochwertig ausgerüstete Schulungsräume, moderne Schulungsformate oder aber das innovative Skills Lab in Haus 15 – digitale Technologien machen die Ausbildung zur Pflegekraft am ZAB zu einer spannenden Angelegenheit. Gleiches gilt für das Thema Ausbildungsvergütung, die tariflich geregelt ist. Bereits im ersten Ausbildungsjahr beträgt die monatliche Ausbildungsvergütung mehr als 1.100 Euro brutto, ein Salär, das bis zum dritten Ausbildungsjahr auf mehr als 1.300 Euro steigt. Damit erhalten die Auszubildenden in der Pflege deutlich mehr als Angehörige anderer Berufsgruppen, beispielsweise Mechatroniker oder Bankkaufleute. „Natürlich muss auch hier nach dem jeweiligen Ausbildungsberuf differenziert werden. Festzuhalten bleibt aber, dass sich die Vergütung im Pflegeberuf sowohl in der Ausbildung als auch später im Beruf auf einem sehr guten Niveau bewegt“, betont Stephanie Hiller.
Sichtbarkeit der Pflege verbessern
Eine angemessene Vergütung, gute Aufstiegschancen und Entwicklungsperspektiven sowie glänzende Aussichten auf dem Arbeitsmarkt – bleibt die Frage, warum sich das schlechte Image der Pflege in der Öffentlichkeit so hartnäckig hält. „Tatsächlich haben Menschen außerhalb des Gesundheitswesens oft eine falsche, weil undifferenzierte Vorstellung von der aktuellen Situation in der Pflege. Um dieses Bild gerade zu rücken, müssen wir dringend mehr Sichtbarkeit herstellen“, sagt Hendrik Schnecke, Projektleiter beim Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft (ZIG) und Mitarbeiter der Servicestelle Gesundheit des Kreises Gütersloh. Eine Forderung, der bereits entsprechende Aktivitäten gefolgt sind, beispielsweise auf zwei Berufsinformationsbörsen, die 2023 in Schloss-Holte-Stukenbrock und Rheda-Wiedenbrück stattfanden. Auf sogenannten Pfleginseln präsentierten sich hier zahlreiche lokale Pflegeunternehmen erstmals mit einem gemeinsamen Informationsangebot. Interessierte Schülerinnen und Schülern erfuhren nicht nur alles Wissenswertes rund um das Thema Pflege, sondern konnten auch technische Hilfsmittel wie Alterssimulationsanzug und Patientenlifter ausprobieren. Ein abwechslungsreiches Angebot, was bei beiden Veranstaltungen auf reges Interesse stieß und Hendrik Schnecke optimistisch stimmt: „Das neue Konzept und der geschlossene Auftritt der Pflegeunternehmen ist gut beim Publikum angekommen. Sicherlich konnten wir so schon den ein oder anderen dazu motivieren, sich für eine Ausbildung in der Pflege zu entscheiden.“