Langzeitarbeitslose eigenverantwortlich betreuen

Gütersloh. Vor 10 Jahren, am 1. Januar 2012, war es soweit: Der Kreis Gütersloh durfte, nach erfolgreichem Antrag beim Land Nordrhein-Westfalen, das kommunale Jobcenter ins Leben rufen und ab diesem Zeitpunkt Langzeitarbeitslose in eigener Regie betreuen. Mit einem Schlag hatte der Kreis ein fünftes Dezernat mit über 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr. „Eine absolut spannende Zeit“, erinnert sich Fred Kupczyk, Dezernent des Jobcenters. „Hier wurde im Grunde nicht nur ein neuer Fachbereich aufgebaut, sondern fast schon eine ganze Behörde.“

Mehr als eine Milliarde Euro als Kosten der Grundsicherung hat das Jobcenter den Menschen im Kreis Gütersloh seitdem als Grundsicherungsleistungen zur Verfügung gestellt, vornehmlich für den Lebensunterhalt (48 Prozent), Kosten für Unterkunft und Heizung (32 Prozent), Eingliederungsleistungen zur Qualifizierung und Arbeitsaufnahme (7 Prozent) aber auch als Verwaltungs- und Personalkosten für Administration und Beratung (13 Prozent). Um den Rat suchenden und leistungsberechtigten Menschen im Kreis Gütersloh Hilfe zukommen zu lassen, hat das Jobcenter überschlägig rund 2 Millionen Euro je Woche eingesetzt. „In zehn Jahren konnten wir insgesamt mehr als 33.000 Haushalten helfen. So viele unterschiedliche Bedarfsgemeinschaften konnten wir in den vergangenen Jahren mit Finanz- und Eingliederungsleistungen unterstützten“, erläutert Kathrin Meister, Abteilungsleiterin Materielle Hilfen des Jobcenters. Dabei ist die Zahl auch ein Indiz dafür, dass es neben der verfestigten Bedürftigkeit kontinuierlich auch viele Zu- und Abgänge sowie kurzfristige Hilfebedarfe gibt. Zudem haben es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters in den vergangenen zehn Jahren geschafft rund 31.000 Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.


Dabei erschweren häufig sogenannte Vermittlungshemmnisse eine Arbeitsaufnahme. „Heute gehen wir davon aus, dass etwa 30 Prozent aller erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine schwerere gesundheitliche Beeinträchtigung aufweisen, mindestens 10 Prozent so schwer, dass eine Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt nicht mehr oder langfristig kaum möglich ist“, erklärt Rolf Erdsiek, Abteilungsleiter Arbeit und Ausbildung des Jobcenters. Spezialisierte Arbeitsberater beraten und betreuen psychisch beeinträchtigte Personen, Suchtmittelabhängige, Rehabilitanden und Schwerbehinderte sowie Erwerbsgeminderte. Sie versuchen auch für diese Menschen eine passende Arbeit zu finden, festzustellen, wo sie eingesetzt werden können und wo nicht, sie auf einem möglichen Prozess der Gesundung und Arbeitsintegration zu begleiten. „Bei insgesamt sinkenden Fallzahlen und einem verbleibenden höheren Anteil von gesundheitlich beeinträchtigten Personen wollen und können wir die Beratung und Weichenstellungen für diese Menschen zur Integration sicherstellen und gesellschaftliche Teilhabe positiv gestalten“, so Erdsiek.

Als „Optionsduo“ übernahmen Silke Siefert und Björn Haller die Projektleitung um den letztlich erfolgreichen, 278 Seiten langen Optionsantrag auszuarbeiten. Entstanden ist das Foto im September 2011, ungefähr drei Monate bevor das Jobcenter offiziell seine Arbeit aufnehmen sollte. Foto Kreis Gütersloh.


Natürlich kümmert sich das Jobcenter auch um junge Menschen und unterstützt sie bei der Suche nach einer geeigneten Ausbildung. 2014 wurde dafür ein eigenes Sachgebiet ins Leben gerufen: ‚Ausbildung U 25‘, welches von Rolf Kunstmann geleitet wird. Die Ausbildungsvermittlung agiert mit ihren Ausbildungscoaches an drei Standorten, Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück und Halle/Westf., ortsnah und eingebunden in lokale Netzwerke. Sie berät zu über 120 Berufen. Dabei arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eng mit den Abteilungen Jugend und Bildung zusammen. „Der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit wird durch eine berufliche Ausbildung erreicht“, ist Kunstmann überzeugt. „Daher gilt für uns der Leitsatz ‚Ausbildung vor kurzfristiger Integration‘.“ Insgesamt 3.364 junge Menschen konnten in den vergangenen zehn Jahren in eine Ausbildung integriert werden, davon 2.746 in eine duale Ausbildung bei heimischen Arbeitgebern. Seit 2017 wird auch die Zahl der geflüchteten Menschen, die eine Ausbildung aufgenommen haben, erfasst: 272 haben in fünf Jahren einen Ausbildungsplatz und damit verbesserte Integrationsmöglichkeiten gefunden.


„Zusammen mit der Wirtschaft im Kreis Gütersloh haben wir die vergangenen Herausforderungen überwunden, zahlreichen Familien zu Arbeit und Einkommen verholfen und so dazu beigetragen, die Steuerlasten für Grundsicherungsleistungen gering zu halten. Das soll und wird auch in Zukunft so sein!“ ist Kupczyk überzeugt. Dazu beitragen wird auch das neue Verwaltungsgebäude, welches der Kreis Gütersloh auf dem Grundstück ‚Auf dem Stempel‘ errichtet. Voraussichtlich im Frühjahr 2024 werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen drei Abteilungen des Jobcenters insgesamt 210 Büros im Neubau beziehen. Für die Besucherinnen und Besucher des Jobcenters bestehen die Vorteile darin, dass sie dann alle Anliegen an einem Ort mit einem Termin erledigen können. Zum Jobcenter kommen beinahe ebenso viele Menschen wie zur Abteilung Straßenverkehr.

Kathrin Meister, seit 2020 Abteilungsleiterin Materielle Hilfen, setzt sich für digitale Angebote im Leistungsbereich des Jobcenters ein. Die Bildungskarte und der Online-Antrag für das ALG II fallen in ihre Zuständigkeit. Auf dem Bild vom September 2020 wird sie von Fred Kupczyk in ihrer damals neuen Rolle als Abteilungsleiterin begrüßt. Foto Kreis Gütersloh

Zum Thema Option – kommunales Jobcenter:
Die sogenannte Option, also die Möglichkeit ein kommunales Jobcenter aufzubauen und Langzeitarbeitslose eigenverantwortlich zu betreuen, kam natürlich nicht über Nacht. 2007 hatte das Bundesverfassungsgericht die gemeinsame Aufgabenwahrnehmung durch die Kreise beziehungsweise kreisfreien Städte einerseits und der Agentur für Arbeit andererseits, wie es auch im Kreis Gütersloh der Fall war, für verfassungswidrig erklärt und vom Bund eine Neuregelung bis Ende des Jahres 2010 verlangt. Im Zuge dessen verständigte sich der Bund darauf, es weiteren Kommunen zu ermöglichen, Langzeitarbeitslose zukünftig in eigener Regie zu betreuen. Dafür votierte auch der Kreis Gütersloh. Der Kreis versprach sich davon eine deutlich größere Flexibilität, mit der stärker auf die Belange der Menschen und der Wirtschaft eingegangen werden konnte. 2010 wurde der 278 Seiten lange Optionsantrag eingereicht. Die Chancen standen 50:50, da in NRW lediglich acht Kreise und Städte den Zuschlag erhalten konnten, es aber doppelt so viele Bewerber gab. Gut drei Monate nachdem der Antrag abgegeben wurde erhielt der Kreis Gütersloh im März 2011 den Zuschlag. Damit war klar, dass die Agentur für Arbeit zwar weiterhin die Kurzzeitarbeitslosen betreut und insbesondere für die Auszahlung des Arbeitslosengeldes I zuständig ist. Die umfassende Betreuung der ALG II-Empfänger, die Auszahlung des Arbeitslosengeldes II und die Übernahme der Kosten der Unterkunft erfolgte von nun an aber durch den Kreis.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert