Serie Höfegeschichten, Teil 6
Nach wechselvoller Geschichte kommt es zur kulturellen Umnutzung eines traditionsreichen Hofes in Borgholzhausen
Text: Dr. Rolf Westheider | Fotos: Detlef Güthenke
Auch kleine Paradiese sind nicht makellos. Eine intakte Hofanlage in ortstypischer Bauweise, im vorderen Hofraum alte Eichen und nach allen Seiten ein sanft abfallender Esch, nach hinten ein unverstellter Blick aus dem traumhaften Garten auf den nahen Teutoburger Wald. Zauberhafter könnte es kaum sein, wenn … ja wenn nicht in nur wenigen hundert Metern Entfernung die A 33 entlang ginge. Reiner Beinghaus und Andreas Josephowitz sind Mieter auf dem Hof. „Es hängt vom Wind ab, manchmal hört man kaum etwas. Seit dem Lückenschluss 2019 ist es schlimmer geworden, jetzt fahren noch mehr Fahrzeuge viel schneller da lang. Aber wir haben uns damit abgefunden.“ Schließlich werden sie durch Vieles entschädigt, das sie gestaltet und weiterentwickelt haben. Nächstes Jahr soll ihr Traum zur Vollendung kommen: Die Deele des Hofes wird zur „Wild-Lounge“, einer außergewöhnlichen Location für ebensolche Veranstaltungen und Konzerte.
Einfluss des Haller Kommerzienrats Kisker
Wie es scheint, haben ungewöhnliche Geschichten auf dem Hof einen angestammten Platz. Die erste haben wir Dr. Katja Kosubek und Martin Wiegand vom „Virtuellen Museum Haller Zeiträume“ zu verdanken. Sie beginnt im Jahre 1864. Preußen machte sich anheischig, das dänische Holstein zu erobern. Mit dem Gefecht von Missunde, einem kleinen Fischerdorf an der Schlei, begann der erste der sogenannten Einigungskriege. Der 23-jährige Unteroffizier Ludwig Winnebrock wurde schwer verwundet und starb zwei Tage danach in Eckenförde. Seine Eltern, Franz Heinrich (1806 bis 1890) und Catharine Wihelmine (1815 bis 1900), vom Hof Westbarthausen Nr. 1 im Amt Borgholzhausen, verloren ihren einzigen Sohn und damit auch den Hoferben. Sie entschieden sich, ihr Vermögen für das geplante Krankenhaus in Halle einzusetzen, das im Oktober 1876 eingeweiht werden konnte. Dies sei, so schrieb Karl Wolf 1905, dem Einfluss des Haller Kommerzienrats Kisker zu verdanken gewesen. Wirksam wurde das Testament erst nach dem Tod der Mutter im Jahr 1900. Mit 94.000 Mark konnte sich das Haller Krankenhaus über die größte Spende freuen, die ihr bis dahin zuteilgeworden war. Mit diesem für die damalige Zeit großen Vermögen konnte nun ein Anbau realisiert werden. Zum Dank wurde der Weg nebenan zur „Winnebrock-Straße“.
Die weiteren Geschichten erzählt Karl-Heinrich Hoyer, sie haben allesamt mit seiner Familie zu tun. Noch vor dem Tod der Eheleute Winnebrock, die ins benachbarte Dissen gezogen waren, hatte Johann Heinrich Hohnhorst den Hof für seinen Sohn Ludwig erworben. Weil der jüngste Sohn als Hoferbe starb, bekam Ludwigs Tochter Marie Hohnhorst das Anwesen. Erst 1909 durfte sie Karl Hoyer heiraten, eine nicht standesgemäße Ehe, denn man achtete sehr darauf, dass die Bauern unter sich blieben und Ehepartner mit ähnlich großen Besitzungen gefunden wurden. Der Theologiestudent Hoyer hatte 1902 den heutigen Teutoburger-Wald-Verband gegründet und war als Lehrer in Dissen tätig. Gegenüber der Margarinefabrik Homann hatte er gebaut. Dort zogen die Eheleute hin und verkauften den Hof an Vahrenhorst, dessen Tochter Gertrud den aus Hörste bei Halle stammenden Diplomlandwirt Dr. Heinrich Bußmeyer heiratete. In seiner Dissertation über die „betriebswirschaftliche Bedeutung der Nutzviehhaltung“ im Kreis Halle i.W. aus dem Jahr 1934 hatte Bußmeyer schon auf die Notwendigkeit einer verbesserten Pferdezucht hingewiesen. Folgerichtig stellte er sich selber dieser Aufgabe. Damit kam die Pferdehaltung und auch der Reitsport auf früheren Hof Winnebrock – lange bevor dies andernorts geschah. Mit der Übernahme der Besitzung durch Bußmeyers jüngste Tochter Ingrid schließt sich der Kreis, denn ihr Mann, der Veterinärmediziner Dr. Martin Pohlmann, stammte vom Hof Winnebrock in Winkelshütten Nr. 3, wo auch der Krankenhausstifter seine familiären Wurzeln hatte. Ein späterer Pächter des Hofes betrieb eine Pferdepension, sodass auch die Pferde blieben.
Auch im Backstage-Bereich einiges zu bieten
In die Reihe ungewöhnlicher Geschichten passen die Umnutzungsvorhaben der derzeitigen Mieter Beinghaus und Josephowitz. Für sie erwiesen sich die früheren Nutzungen als Bürde. Als sie 2016 auf den Hof kamen, galt es zunächst, zahlreiche Hinterlassenschaften ehemaliger Pächter zu entsorgen. Opernsänger Beinghaus, der seit 2004 in Borgholzhausen ansässig ist, entdeckte in seinem neuen Domizil nun die besondere Akkustik der großen Deele und erahnte die einzigartigen Aufführungsmöglichkeiten, die sie bieten würde. Eigenes handwerkliches Geschick verwandelte die früheren Pferdeställe in eine Bühne, ein neuer Fußboden wurde verlegt, und an der Stirnseite, dort, wo sich in alten Zeiten das Herdfeuer befand, entstand eine großzügige Theke. Hinterleuchtete Stoffe, Raumteiler, Spiegel, große Lüster und andere stimmungsvolle Illuminationen sorgen für das festliche Ambiente. Der Vorsatz, aus dem Hof etwas ganz Besonderes zu machen, nahm nach und nach Gestalt an. Die Deele verwandelte sich in einen Festsaal. Räumlich und vor allem atmosphärisch ist nun alles bereit, um Konzerte des eigenen Ensembles „Opus Arte“, langfristig vielleicht auch Theaterstücke einer wieder zu gründenden Schauspielgruppe aufzuführen. Lesungen könnten durchgeführt werden, auch für Hochzeiten und Firmenfeiern würde sich der außergewöhnliche Ort anbieten. Die inhaltlichen Konzepte stehen, nach Klärung einiger Formalitäten soll es dann im nächsten Jahr losgehen, so Beinghaus.
Auch im Backstage-Bereich hat der Hof einiges zu bieten. Dazu zählt ausdrücklich die Küche, wurden doch viele Opus-Arte-Aufführungen mit Menüs oder als Open-Air-Veranstaltungen mit einem Picknick verknüpft. Der gelernte Bäcker Beinghaus versteht sich auch als Koch. Essen anzubieten ist für ihn ein besonderer Ausdruck von Gastfreundschaft. Die zentrale Funktion der Küche zeigt sich auch in der übergroßen, mit LKW-Plane bespannten und bedruckten Arbeitsplatte, auf der zu Weihnachten der Tannenbaum seinen Platz findet. Überhaupt findet sich überall Großflächigkeit, drinnen wie draußen: Am Arbeitstisch – ihn als Schreibtisch zu bezeichnen wäre untertrieben – am Besprechungsplatz und auch dort, wo Gesangsunterricht und Stimmbildung erteilt wird.
Gäste in großer Zahl empfangen zu können, dieser Eindruck verfestigt sich schließlich auch im Garten. Lauschige Ecken, selbst für die Hunde, interessante Durch- und Einblicke, inspirierende Objekte, gärtnerisch originell platziert. An einem langen Tisch sind noch viele Plätze frei. Rainer Beinghaus und Andreas Josephowitz ist zu wünschen, dass künftig noch viele Gäste den Genuss des Kulturraumes mit ihnen teilen können. Der kreativ gestaltete Hof als ästhetische Einheit und das, was er künftig als „Wild-Lounge“ zu bieten verspricht, lässt selbst die Autobahn vergessen. – Es wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein, wenn es sie nicht gäbe…