Kids auf der Pirsch

Fotos: Detlef Güthenke

Ist Bambi das Kind vom Hirsch, wohnen Dinos im Unterholz und: Wo ist eigentlich Waldemar, der kleine
Waldgeist? Diesen und anderen spannenden Fragen gehen Kinder beim Waldspaziergang im Rhedaer Forst auf den Grund. Organisiert wird das herbstliche Abenteuer vom Lernort Natur der heimischen Jägerschaft. Gudrun Westhoff ist dabei der Natur-Guide für Kids und Eltern.

Kühl ist es an diesem Morgen im Oktober, der einen herrlichen Herbsttag verspricht. Erste Sonnenstrahlen tauchen den Wald in ein Lichtermeer aus hundert bunten Farben. Letzte Tautropfen perlen von den Blättern, es duftet nach feuchtem Boden. Mittendrin in diesem herbstlichen Szenario vergnügtes Kinderlachen, aufgeregtes Geschnatter, emsiges Treiben. Kinder geben sich am Hubertusheim im Rhedaer Forst ein Stelldichein, um drei aufregende Stunde draußen in der Natur zu verbringen. Hier herrscht heute Hochbetrieb: Neben den Jungen, Mädchen und ihren Eltern, die sich mit Gudrun Westhoff zum Waldspaziergang verabredet haben, treffen sich die ortsansässigen Jäger zu ihrem alljährlichen Waldputztag – und noch eine weitere Kindergruppe stöbert durchs Gehölz.

Wo ist Waldemar?
Die Kinder, die am heutigen Vormittag den Wald im Rahmen von Lernort Natur erleben, sind zwischen drei und fünf Jahren alt. Unter ihnen: Marven und Mia, Frederik, Frieda und Emma. Sie alle stapfen warm eingepackt über die nahen Waldwege und streifen von Spiel-Station zu Spiel-Station direkt in den angrenzenden Wald – natürlich erst nachdem Naturpädagogin Gudrun Westhoff wichtige Fragen beantwortet hat: Was ist eigentlich ein Wald? Wer wohnt denn da? Und: Wie müssen wir uns im Zuhause der Tiere verhalten? Dass man leise sein muss, nicht ins tiefe Unterholz eindringt, um die Tiere nicht aufzuschrecken, wissen die Kleinen und kennen damit bereits einige der sogenannten Waldregeln. Doch davon gibt es noch viele mehr. Wer könnte die besser kennen als Waldemar, der kleine Waldgeist. Der schlaue Bewacher des Rhedaer Forst hat eigens für die Kinder Bildkarten ausgelegt und darauf erklärt: Hunde müssen an der Leine geführt werden, Feuer dürfen wir hier keines machen, unseren Müll, den nehmen wir wieder mit heim. Unbekannte Pilze oder fremde rote Beeren zu naschen ist ebenfalls verboten, denn das macht nicht nur schlimme Bauchweh, sondern kann sogar tödlich enden! Ganz schön viel Theorie …

Tiere zum Anfassen
Eicheln und Kastanien, Tannenzapfen und Pilze, grüne Nadeln und bunte Blätter – die Schatzkiste des Rhedaer Forst ist prall gefüllt und wartet nun darauf, von den kleinen Entdeckern entlarvt zu werden. Auch wenn die Pflanzenwelt die Kinder in ihren Bann zieht, so richtig begeistert sind sie von den Tieren. Den echten und den Tierpräparaten! „Die Anziehungskraft ist sehr groß. Wenn die Kinder könnten, würden sie die Präparate immer wieder streicheln das weiche Fell, die zarten Federn, die spitzen Stacheln erfühlen – das fasziniert übrigens auch die Eltern. Wie all diese Tiere leben, ob sie sich Speck für die Kälte anfressen, Vorräte anlegen und ein kuscheliges Winterversteck bauen, Gudrun Westhoff und ihre Helfer haben den staunenden Zuhörern jede Menge Wissenswertes zu berichten. Die avancieren dann selber zu waldlichen Baumeistern, errichten ein Tipi und ziehen feine Stricke durchs Astwerk zu einem überdimensionalen Spinnennetz.
Um nicht nur viele Eindrücke sowie spannende Fakten, sondern auch ein paar greifbare Erinnerungen an den morgendlichen Waldspaziergang mit heimzunehmen, werden fleißig bunte Blätter gesammelt und die allerschönsten von ihnen zu einer herbstlichen Collage auf Papier geklebt – ein Stück Wald für zu Hause.

Kinder wollen es wissen
„Die Kinder stellen unfassbar viele Fragen zur Natur, zu den Wildtieren, zu den Präparaten. Sie wollen wissen, ob diese Tiere richtig gelebt haben, nun wirklich tot sind und die Augen echt sind“, freut sich Westhoff über das kindliche Interesse. All diese Fragen würden ehrlich aber kindgerecht beantwortet, und so würde beispielsweise auch beschrieben, wie der Präparator ein verstorbenes Tier haltbar und lebensecht herrichtet. Selbst so kritische Themen wie „Schießen und Jagen“ tauchen bei Waldspaziergängen immer mal wieder auf. Dabei sei viel Fingerspitzengefühl gefragt: „Wir erklären, warum welche Tierart gejagt wird, wann nicht geschossen werden darf und dass es dabei nicht um Spaß geht, sondern dass die Jagd einen wichtigen Teil der Hege darstellt und zudem gute Lebensmittel sichert“, so Westhoff.
Ob es Wildschweine gibt oder sogar Wölfe, interessiert die Kleinen, und manch einem ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken an ein Zusammentreffen mit diesen großen Waldbewohnern. Hier sorgt die Naturkennerin mit Aufklärung für ein sicheres Gefühl. Beruhigend auch: Im Wald leben keine Dinos, denn es ist der Rhedaer Forst – weder Jurassic Parc noch Disney World, in der Bambi wohnt. Apropos: Ist der Hirsch der Papa von Bambi? „Viele Kinder haben heute keinen Bezug mehr zur Natur. Das heißt, sie kommen mit wenig Vorbildung in den Wald“, berichtet Gudrun Westhoff, die festgestellt hat: „Kinder vom Bauernhof oder aus Jägerfamilien wissen am meisten, aber auch Kinder mit osteuropäischer Herkunft sind häufig wissender als unsere Stadtkinder, da sie bei Oma und Opa noch die Kuh, das Schwein oder den Wald kennengelernt haben.“
Dass viele Kids die Bewegung in freier Natur nicht gewöhnt sind, stellt Gudrun Westhoff an den fehlenden motorischen Fähigkeiten fest: „Die Kleinen sind es schlichtweg nicht gewöhnt, die Füße hochzuheben, wenn ein herabgefallener Ast im Weg liegt“, beobachtet die Naturpädagogin und ergänzt weitere Unsicherheiten und Berührungsängste: „Es gibt auch immer Kinder, die überhaupt keine Lust aufs Laufen haben. Dafür fallen andere dadurch auf, dass sie nicht eine Minute stillstehen können. Für mache ist der Wald auch so fremd, dass sie erst gar nichts damit anzufangen wissen und wir sie explizit auffordern müssen, sich mal alleine durch die Bäume zu bewegen oder aufmuntern, einen Baum anzufassen und dessen Rinde zu erfühlen.“

Bessere Bildung dringend erforderlich
Naturbezogene Bildung müsste häufiger und konsequenter stattfinden, so die Forderung der Jägerschaft. Allerdings müssten dafür dementsprechend gebildete Menschen und keine nur vermeintlichen Umweltschützer zur Verfügung stehen. Dass das nicht immer so ist, stellt Westhoff an folgendem Beispiel dar: „Wenn Pädagogen ideologisch verbrämt sind und Jägerinnen und Jäger grundsätzlich als Mörder bezeichnen, greift das einfach zu kurz und ist so nicht korrekt!“ Es sei aber schwierig, das zu entkräften und bedarf einer schlüssigen Argumentation. „Wir sollen Tiere und ihre Lebensräume schützen. In zunehmend besiedelten Gebieten müssen wir diese Lebensräume zum Teil erst wieder herstellen beispielsweise durch das Anlegen von Teichen oder durch Anpflanzungen. Dazu gehört dann aber auch, das Rehwild nicht überhand nehmen zu lassen, damit es die frisch angepflanzten nicht Bäume schädigt“, so Westhoff, die weiter ausführt: „Diese Anpflanzungen sind wichtig, weil viel Wald durch die Trockenheit, durch Waldbrände oder den Borkenkäfer oder Pilzerkrankungen zerstört wurde. Rehwild auch teilweise auch Rotwild, können diese Arbeit wieder beeinträchtigen. Also wird von uns erwartet, Wild in großer Anzahl zu schießen. Dies mindert auch die Quote der Wildunfälle auf Straßen. Es ist unsere Aufgabe, hier ein Gleichgewicht herzustellen und verantwortungsvoll zu handeln.“

Eltern in der Pflicht
Auch die Eltern müssten eine Rolle in der Naturpädagogik spielen, fordert Westhoff: „Von Eltern erwarte ich, dass sie ihre Kinder häufiger nach draußen schicken und gezielt auf Vorgänge in der Natur hinweisen. Einfach wäre es, Vögel an Futterhäuschen gemeinsam zu beobachten und dann zu bestimmen. Beobachten Sie den Lauf der Jahreszeiten, fragen Sie sich doch mal, warum Blätter im Herbst bunt werden. Lassen Sie Ihre Kinder draußen im Regen spielen und durch Pfützen springen. Und: Haben Sie keine Angst vor Dreck! – In meinen Augen sind nur dreckige Kinder glückliche Kinder!“
Leider seien heutzutage aber auch schon viele der jungen Eltern gar nicht mehr mit und in der Natur groß geworden. Sie haben selbst kein Gespür für die Natur entwickelt und können folglich gar kein Wissen weitergeben. „Daher sind wir schon dankbar, dass wir den Kitas und Grundschulen hier ein klitzekleines Angebot machen können.“
Auch und insbesondere die Jägerschaft nimmt Gudrun Westhoff in punkto Naturpädagogik in die Pflicht – und dieser „Lehrauftrag“ sei bei den Grünröcken eine echte Herzensangelegenheit: „Lernort Natur ist ja auf Initiative von Jägern entstanden. Wir wollen Menschen die Natur, speziell unseren Wald und die darin lebenden Tiere, das Ökosystem Wald im Ganzen und Zusammenhänge in der Natur näher zu bringen.“

Learnig by doing
Hauptsächlich geschieht das Lernen in der Natur mit Hilfe von geführten Waldspaziergängen, bei denen die Erfahrung des Draußenseins und der Kontakt zu Wald und Tieren/Tierpräparaten im Vordergrund stehen. „Hierfür steht uns gerade in Rheda ein Waldstück am Hubertusheim zur Verfügung, in dem die Kinder auch mal abseits des Weges toben dürfen“, freut sich Westhoff.
Es gäbe aber auch die Möglichkeit der „Kofferraum-Waldschule“: „Dann nehmen wir Präparate und andere Materialien im Kofferraum mit und fahren zu den Kitas oder Schulen hin. Hier fehlt dann leider meistens der Wald im Hintergrund. Aber zur Not verstecken wir auch Tiere in der Hecke am Schulhof oder im Außengelände der Kita.“
Die Dritte Möglichkeit ist die „Rollende Waldschule“: Die Kreisjägerschaft besitzt einen Anhänger mit Tierpräparaten, in dem unter anderem auch Materialien zur Fell- oder zur Baumbestimmung enthalten sind. Diese Rollende Waldschule ist gut geeignet für öffentliche Veranstaltungen wie beispielsweise Dorffeste oder Umweltmärkte. Gelegentlich biete die Kreisjägerschaft auch Aktionen in den Ferien.
„Bei allen Veranstaltungen legen wir großen Wert auf eine Mischung aus Lehren, Learning by Doing, spielerisch Erfahrungen machen, sich selbst ausprobieren.“ So werden Dinge aus der Natur erklärt, das Leben von Tieren nachgespielt, Bäume kennengelernt, mit Hilfe von Becherlupen werden Erdbewohner aufgespürt, Waldbilder gelegt, barfuß der Waldboden erkundet, Tierpräparate gesucht und besprochen, es wird gegraben, geschaut, gerochen, gehört und angefasst …“

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