Text: Katrin Jünger | Fotos: Detlef Güthenke

Wer in einem Haushalt lebt, in dem auch kleine bis mittelgroße Kinder aufwachsen, kennt das Bild: Irgendwo gibt es diesen einen überquellender Wäschekorb, in dem abgelegte Kleidungsstücke vorerst gesammelt werden und der immer irgendwie im Weg steht. In einer Schublade stecken lauter zu klein gewordene Lieblingsstücke, von denen man sich noch nicht so recht trennen mag. Und auf dem Dachboden findet sich mindestens ein Umzugskarton, der randvoll mit ausrangierten Spielzeugen einer neuen Bestimmung harrt. Letzterer wird uns immer nur dann ins Gedächtnis gerufen, wenn es ans Ausmisten geht oder wir eigentlich auf der Suche nach etwas ganz anderem sind.

Das ewige Weiterreichen

Dies sind die Gegenstände, mit denen die Kreislaufwirtschaft, die wir im Privaten alltäglich betreiben, ihren Anfang nimmt. Es ist ein Vorgehen, dass offenbar allen Eltern von ganz allein zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Spätestens in dem Moment nämlich, in dem sie das Krankenhaus mit dem Neugeborenen verlassen, bepackt mit neuen und alten babytauglichen Dingen, von denen sie noch nicht so genau wissen, was eigentlich damit zu tun ist und wo diese ihren Platz im neuen Nest finden werden, werden sie scheinbar unausweichlich Teil eines althergebrachten Brauchs. Dann beginnt das ewige Weiterreichen von allem, was zu kurz in Gebrauch war, als dass es auf den Müll gehören könnte, dessen Verschwinden aus dem eigenen Fundus man aber dennoch kaum erwarten kann. Und so packt alle Eltern in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen die Aufräum- und Entsorgungswut.
Die übermotivierten unter ihnen verfolgen dann den Plan, das stets erschöpfte Klamottenbudget wieder aufzufüllen, indem sie sich zu einem der diversen Kinderflohmärkte anmelden, die es in den Gütersloher Kiten, an der Weberei oder dem Heidewaldstadion zuhauf gibt. In diesem Zuge verbringen sie viel Zeit damit, Preise zu kalkulieren, die guten Stücke durch Waschen vom Kellermief zu befreien und mit ihrem Gewissen zu verhandeln, ob es korrekt sei, etwas, das man selbst geschenkt bekommen oder geerbt hat, mit Gewinnstreben zu verscherbeln. Der weniger ambitionierte Rest entscheidet sich meist dafür, sich diese Mühe zu sparen. Er bevorzugt es, Freunden und Bekannten etwas Gutes zu tun und der Tradition zu entsprechen, die besagt, dass Kinderkleidung (und auch Spielzeug) stets weitergereicht werden. So halten sie ein System am Laufen, dass seit vielen Generationen besteht und das dem Prinzip folgt: Eine Hand wäscht die andere, und wir stecken alle zusammen in dieser Misere, in der wir unsere lieben Kleinen beinahe fortwährend neu einkleiden müssen, weil sie erst sehr spät in ihrem Leben damit aufhören, zu wachsen.

Wäschekorb hervorgekramt

Beiden Gruppen von Eltern ist gemein, dass der Prozess des Entsorgens meist circa alle sechs Monate in Gang gesetzt wird. Nämlich immer zum Wechsel der Jahreszeiten, wenn es wieder notwendig wird, zu überprüfen, was vom vergangenen Sommer beziehungsweise Winter noch passt und für schön befunden wird. Dann wird der besagte Wäschekorb hervorgekramt und entschieden, welche Teile sich noch in einem Zustand befinden, in dem eine Weitergabe nicht zur Peinlichkeit werden muss, und welche guten Gewissens endgültig in die Tonne wandern dürfen. Geht dieser Riss an der üblichen Knie-Sollbruchstelle wohl noch als „typisch Mode von heute“ durch? Kann man den blassgelb gewordenen Karottenbreifleck vielleicht doch mit Gallseife behandeln? Und ist diese Arbeit dem zukünftigen Besitzer wohl zumutbar? Was tun mit diesem grauenhaften Glitzer-Weihnachts-Plastikpulli, der schon beim Ansehen Funken sprüht und den man selbst immer zutiefst verabscheut hat? Ist es fair, den auch in die Weitergabe-Kategorie einzuordnen, wo man doch weiß, dass Kinder einen sehr eigenen Geschmack haben und sich dieses Prachtstück ganz sicher nicht wieder ausreden lassen werden? Aber warum soll es den anderen besser gehen als einem selbst? Letztlich muss doch jeder einen kleinen Tribut zollen, wenn er von der Großzügigkeit seiner Mitmenschen profitieren möchte. Und so wandern alle diese Teile auf den Brauchbarhaufen, zusammen mit ein paar einzelnen Socken, von denen man zwar weiß, dass sie niemandem mehr etwas nützen, die man aber trotzdem wirklich gerne endlich los sein möchte.

Auf der anderen Seite werden diese überflüssigen Beigaben ohne Murren hingenommen, denn am Ende ist man ja dankbar, wieder ein paar Wochen bis Monate mit den nötigsten Kleidungsstücken versorgt zu sein. Mag die Matschhose auch nicht die präferierte Farbe haben und der Plastikpullover nicht nur dem ästhetischen Empfinden, sondern auch den persönlichen Vorstellungen von moralisch vertretbarem Kaufverhalten widersprechen – von der Idee, dass das Kind in seinem Leben ausschließlich in Wollwalk und Echtlederschuhen herumspazieren wird, wie man es sich einst vorgenommen hatte , musste man sich ohnehin verabschieden, als einem klar wurde, was Kleidung so kostet und wie lang beziehungsweise wie verdammt kurz ihre Halbwertzeit ist. Da erscheint es den Durchschnittseltern dann doch besser zu sein, ein bis zwei schönheitsliebende Augen zuzudrücken, zu nehmen, was da kommt und das gesparte Geld lieber in Eis und Zoobesuch zu investieren. Abgesehen davon dankt es am Ende höchstwahrscheinlich auch das jeweilige Kind, denn ehrlich gesagt sind diese ganzen Öko-Leinen-Fairtrade-Klamotten in der Regel nicht halb so attraktiv wie der pinke Pailletten-Tüllrock von H&M.

Als Geber sollte man es trotz dieses Gleichmuts auf Empfängerseite allerdings nicht übertreiben und nicht zu viel Unbrauchbares in die Taschen schmuggeln. Hat man nicht das große Glück, jemanden mit ausgeprägter Sammelleidenschaft im Bekanntenkreis zu haben, kann es nämlich sonst passieren, dass bei der nächsten Runde dankend abgelehnt wird. Dann bleiben einem nur noch die umständlicheren Varianten der Spende und müssen die gut gemeinten Gaben zur Tafel oder auch zum Sozialkaufhaus von ProArbeit gekarrt werden, wo der Ramsch allerdings von Vorneherein auszusortieren ist. Der Vorteil ist, dass man dort auch jede Menge anderen Kram loswerden kann. Wer ältere Kinder hat, hat auch hiervon jede Menge, denn mit zunehmender Selbständigkeit erweitert sich der Kreislauf sukzessive. Ihr Teenie liest gerne? Dann müssen Sie damit rechnen, dass er oder sie regelmäßig neue alte Bücher anschleppt, zum Beispiel aus dem öffentlichen Bücherregal am Rathausplatz. Zu groß ist die Versuchung, hier auf dem Heimweg von der Schule ein bisschen zu stöbern. Und auch wenn Erwachsene das meiste hier Vorhandene eher als Ramsch einstufen und zwischen den gesammelten Simmel-, Konsalik- und Rosamunde-Pilcher-Werken nur selten auf echte Perlen stoßen – das Kind findet immer irgendwas, und sei es nur einen Band mit besonders buntem Titelbild, der so gar nicht für junge Leser geeignet ist.

Dann heißt es, schnell sein

Wie man es mit dem Transfer des Wäschekorbs und all der anderen Dinge auch angestellt haben mag – noch ist dadurch keine Kreislaufwirtschaft erreicht. Aber keine Sorge, das ergibt sich ganz von selbst. Schließlich neigen Menschen dazu, mehr als ein Kind zu bekommen. So kommt dann spätestens mit der nächsten Familienerweiterung so Manches, was man schon auf Nimmerwiedersehen verabschiedet geglaubt hatte, zu einem zurück. Mit etwas Glück ist es das selbstgestrickte Jäckchen von Oma, von dem man sich damals nur schweren Herzens trennen konnte. Mit etwas Pech (aber auch mit ziemlicher Sicherheit) ist es der unsägliche Weihnachtspulli. Trotzdem sind dies schöne nostalgische Momente, in denen man all die winzigen Teile eins nach dem anderen aus der Ikea-Tüte zieht. Was waren das für Zeiten, als der Erstgeborene noch so klein und niedlich war, dass er in diesen Bärenstrampler passte? Was hat das Kind damals die Jeans mit dem in nächtlicher Notfallaktion selbst entworfenen und stümperhaft angebrachten Monster-Flicken geliebt! So sehr, dass es sie gar nicht mehr ausziehen wollte und man sie quasi gewaltvoll von ihm abreißen musste. Was den süßen Blick in die Vergangenheit stört, mag lediglich der Geruch eines fremden Waschmittels sein, der der Erinnerungskiste entströmt. Und die einzelne Stoppersocke, die man damals voller Genugtuung aus seinem Hirn gestrichen hatte. Wenn es ganz schlecht läuft, starrt einem auch das ungeliebte Spielzeug aus Chinaplastik entgegen, dessen Batterie wundersamerweise auch über die Jahre hinweg nichts an Leistungskraft eingebüßt zu haben scheint und das sofort enthusiastisch losblinkt und mindestens eine ätzende Melodie oder anderen Krach von sich gibt. Dann heißt es, schnell sein und diesen wohlbekannten Auslöser von mittelschweren Nervenzusammenbrüchen verschwinden lassen, bevor die lieben Kleinen ihn zu fassen kriegen. Verpasst man den Moment, muss man das Ding nicht nur weitere zwei bis fünf Jahre in seinem Haushalt dulden, sondern möglicherweise auch noch einen Krieg verhindern. Dass das Erstgbeorene sein wiederentdecktes Lieblingsstück kampflos aufgibt, ist nämlich eher nicht zu erwarten. Aber was soll’s, da muss man dann durch – es ist ein Geben und Nehmen.

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