Gespräch mit Barbara Hagedorn über ihre Kampagne „Frau am Bau“
Interview: Markus Corsmeyer . Fotos: Hagedorn
Es ist erstaunlich: In kaum einem anderen Wirtschaftszweig sind so wenige Frauen beschäftigt wie im Baugewerbe. Der Anteil weiblicher Beschäftigter liegt bei gerade einmal 13 Prozent. Und das, obwohl die Branche hart getroffen ist vom zunehmenden Fachkräftemangel. Hinzu kommt, dass ein Viertel der Baufacharbeiter in den kommenden zehn Jahren in Rente geht.
Es ist Zeit, etwas zu verändern, beschloss der Gütersloher Familienbetrieb Hagedorn und setzte sich das Ziel, mindestens drei weibliche Auszubildende außerhalb der Verwaltung einzustellen. Zum Auftakt der „Frau am Bau“-Kampagne im Dezember 2020 hatte das Unternehmen im Kreis Gütersloh Plakate, Banner und City-Light-Poster aufgehängt. Das Motiv: starke Frauen, die Teil des Hagedorn-Teams sind. Denn eine von Hagedorn in Auftrag gegebene Umfrage mit 800 Teilnehmer:innen in der Baubranche ergab, dass es allzu oft an richtigen Vorbildern fehlt. Die Kampagne zündete: Zum Ausbildungsstart am 1. August 2021 starteten gleich vier weibliche Auszubildende bei der Hagedorn Unternehmensgruppe auf dem Bau.
Was hier in Gütersloh begann, ist inzwischen zum Thema der ganzen Branche geworden. Auf die lokale „Frau am Bau“-Kampagne folgten nationale Fernsehauftritte, Vorträge sowie die Gründung eines branchenweiten Netzwerks, um mit gebündelten Kräften Vorbilder zu schaffen, Vorurteile abzubauen und Strukturen auf dem Bau zu verändern. Darüber hinaus wurde auch ein eigener Instagram-Kanal des Netzwerks mit dem Namen „WIR.KÖNNEN.BAU“ ins Leben gerufen, auf dem sich die Frauen aus der Branche präsentieren und so wiederum auch andere Frauen für den Bau begeistern.
Frau Hagedorn, was raten Sie jungen Frauen, die Lust haben, auf dem Bau zu arbeiten?
Wenn mich jemand fragt, was ich den jungen Frauen mit auf den Weg geben sollte, sage ich immer: „Traut euch und seid mutig“. Wir müssen immer noch mit vielen alten Klischees, die es über unsere Branche gibt, aufräumen. „Eine Frau kann nicht mit einem Bagger arbeiten oder einen LKW fahren“ – das sind bekannte Vorurteile, die wir aus dem Weg schaffen müssen. Wichtig ist es auch, die Familien miteinzubeziehen. Ich lade bei den Bewerbungsgesprächen zum Beispiel oft auch die Eltern mit ein, damit sie persönlich mitbekommen, was ihre Tochter hier bei uns für Möglichkeiten hat.
Wie ist die aktuelle Situation von Frauen in der Branche? Hat sich etwas verändert?
Wir sprechen hier leider aktuell immer noch über kleine Veränderungen – Nuancen. Vor kurzem ist bei einem Unternehmen jedoch durch unsere Aktion wieder einmal etwas ins Rollen gekommen. In dieser Firma vernetzen sich jetzt viele Frauen intern, und sie suchen nach Verbesserungsvorschlägen. Wenn wir immer wieder diese Funken zünden können, freut mich das. Wichtig ist es vor allem, dass in den Unternehmen wirklich alle mitziehen, damit sich Erfolge einstellen. Veränderungen müssen durch die gesamte Organisation gehen: Jeder Geschäftsführer und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sensibilisiert werden, um einen dauerhaften Veränder-ungsprozess einzuleiten. Nur so kann es funktionieren. Dieser Prozess dauert aber. Irgendwann wird es hoffentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass mehr Frauen in der Baubranche tätig sind.
Kann es sich die Baubranche vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels überhaupt leisten, auf Frauen zu verzichten?
Nein, natürlich nicht. Daher müssen wir die Berge nicht nur auf den Baustellen, sondern auch in den Köpfen versetzen. Es bewegt sich ja schon etwas in der Branche, und damit müssen wir zunächst einmal zufrieden sein. Wir haben ein erstes, wichtiges Fundament gelegt, doch bis es tragfähig genug ist, liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Können Sie eigentlich schon mal eine kleine Zwischenbilanz Ihrer Kampagne ziehen?
Wir haben uns keinen zeitlichen Rahmen gesetzt und versuchen, immer wieder auf uns und die Kampagne aufmerksam zu machen. Ziel ist es auch, den Mittelstand und weitere Firmen aus der Baubranche zu motivieren, Teil unseres Netzwerks zu werden und etwas bewegen zu wollen. Aktuell haben sich mehr als 25 Firmen dem Netzwerk angeschlossen, darunter auch kleinere Handwerksbetriebe.
Was macht den Job für Frauen so interessant?
Es gibt natürlich gute Verdienstmöglichkeiten. Darüber hinaus ist es für junge Menschen insgesamt ein spannendes Feld. Ich denke an die Bereiche Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Revitalisierung. Junge Menschen möchten ja auch einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Wir revitalisieren zum Beispiel ganze Grundstücke, Altindustrie-brachen oder auch Kraftwerke und bieten ein interessantes und facettenreiches Arbeitsumfeld.
Was wollen Sie noch mit der Kampagne an den Start bringen?
Wir möchten natürlich wieder junge Frauen als Auszubildende im Jahr 2022 ansprechen – und wir hoffen, dass es in Zukunft leichter wird, weibliche Fachkräfte zu gewinnen. Unser Wunsch ist es außerdem, dass andere Unternehmen unserem Beispiel folgen und wir gemeinsam Strukturen wandeln. Wir wollen Frauen in allen Bereichen motivieren und sie fragen: „Was braucht ihr noch? Wo können wir euch unterstützen?“ Wenn wir jetzt aufhören, dann haben wir schnell wieder den alten Zustand erreicht. Allen Frauen, die zum Bau wollen, aber noch zögern, den Schritt zu gehen, müssen wir zeigen: „Du bist nicht allein – und du kannst das auch!“
Ihr persönlicher Appell an alle Frauen …
Macht den letzten Schritt und habt den Mut, in die Braubranche zu gehen. Tauscht euch auch mit anderen Frauen aus, die bereits Erfahrung gesammelt haben. Das ist ganz wichtig.
Glauben Sie, dass sich die Situation der Frauen in der Baubranche in 20 Jahren evident verändern wird?
Ich denke schon, dass die nächste Generation etwas verändern wird. Für uns ist es wichtig, ständig etwas zu verändern – auch wenn es aktuell immer nur kleine Schritte sind. Die Hagedorn Unternehmensgruppe wird auf jeden Fall die Kampagne weiterführen und versuchen, noch mehr Frauen dafür zu begeistern, eine berufliche Laufbahn am Bau einzuschlagen. So können wir einen Beitrag zur positiven Veränderung leisten.