Text: Birgit Compin
Foto: Bronson XL und WizdomBeatz

Für die Gütersloher Hip-Hop-Produzenten Bronson XL und WizdomBeatz ist jeder Beat ein Lotto-Ticket

Es gibt eine erstaunliche Verknüpfung von Unternehmen und Hip-Hop. Schaut man sich die aktuellen Werbeclips an, fällt eines auf: Kaum ein Hip-Hop-Superstar, der nicht gerade die bedeutendsten Marken der Werbewelt mit seinen Beats oder Songs werbewirksam intoniert. Nur eine kleine Zeiterscheinung? Wohl kaum. Ob Streetwear-Modeketten, Lebensmittelkonzerne oder in die Jahre gekommene Produktwelten – sie alle gieren seit Jahrzehnten danach, mit der hippen Kultur ihre Marken ordentlich zu verjüngen. Von verführerischen Gadges für Technikfreaks ganz zu schweigen. Da gehören Rapper und Hip-Hoper ganz einfach zum richtigen Ton. Den wiederum zu treffen, ist nicht einfach. Wieviele Marken machten sich in der Vergangenheit lächerlich, weil sie versuchten, die Sprache der gewünschten Zielgruppe zu imitieren.
Kann man überhaupt den Spirit der Hip-Hop-Kultur hinein in die Unternehmenswelt tragen? „Auf jeden Fall“, sagen Marlon und Dominique. Die beiden Gütersloher Musikproduzenten sind als Bronson XL und WizdomBeatz international für ihre Beats bekannt. Auch sie haben das Thema längst im Blick und beobachten das Business ganz genau. Doch ihnen geht es weniger um die Verbindung von Hip-Hop-Kultur und Kaufkraft. Darum sollen sich diejenigen kümmern, die ihre Marken mit den Beats verbinden wollen. „Wir wissen, wie attraktiv sie für die unterschiedlichsten Werbebranchen sind, doch unser Ziel ist ein anderes.“ Marlon und Dominique bieten ihre Produktionen denjenigen an, die daraus die Songs entwickeln, die anschließend die Hip-Hop-Charts erstürmen. Dass dann auch die Werbebranche Schlange steht, ist da eher zweitrangig.
Warum der Hip-Hop für die Werber so verlockend scheint, liegt an der Szene selbst. Keine ist so kommunikativ und trifft den Zeitgeist so sehr wie die Hip-Hop-Szene. Seit ihrem Aufstieg in den 1970er-Jahren ist sie kreativ, energiegeladen und vor allem eins: authentisch. Warum? Der Hip-Hop war von Beginn an gezwungen, innovativ zu sein. Statt in die Clubs ging die Szene aus Geldmangel auf die Straße, stellte selbstgebaute Boxen auf, schmiss Partys und erfand dabei Rap und Breakdance.

Der endgültige Ritterschlag kam im Herbst 2021 mit der Ankündigung der NFL Football-Liga, die Halbzeit-Show des Super Bowl 2022 im kalifornischen Inglewood den absoluten Schwergewichten der Branche zu überlassen. Gleich fünf Musikgrößen sollen beim 56. Super Bowl 2022 auftreten: Rapper Snoop Dogg und Eminem, Dr. Dre, Kendrick Lamar und die R&B-Sängerin Mary J. Blige teilen sich das größte Werbespektakel des Planeten. „Das ist eine Bestätigung für den Hip-Hop“, sagt Marlon. Jedes Jahr krönt die NFL die Halbzeitpause des Football-Finales mit den teuersten Superstars und lässt sich den Werbebreak von der Werbewirtschaft höchstdotiert vergolden – und spätestens jetzt ist der Hip-Hop zum perfekten Innovationstreiber der Werbewirtschaft geworden.

Unter dem Radar

French Montana und Jim Jones nutzen ihre Beats, genauso wie der französische Sänger und Rapper Tito Prince. Doch einfach zu finden sind sie nicht. „Meinen Eltern wohnen in direkter Nähe zu diesem Bürokomplex und doch wussten weder sie noch ich, dass sich hier drin seit Jahren Studios und Proberäume befinden“, sagt Marlon. Und weil Mieter im Laufe der Jahre hin und wieder wechseln, konnten er und Dominique hier ihr Studio einrichten. „Das war mitten in der Pandemie“, erzählen sie mir eines Mittags, als ich ihnen endlich gegenübersitze. Mit Abstand natürlich und nach einer kleinen Odyssee. Die brauchte es, um die Klingel zum Studio der beiden Musikproduzenten zwischen all den anderen Bürogebäuden und Lagerhallen unten auf der Straße überhaupt zu finden. Dass sie hier unter den international bekannten Namen Bronson XL und WizdomBeatz produzieren, steht natürlich auf keinem Schild. Wie gesagt: Soll auch nicht. Marlon und Dominique arbeiten quasi unter dem Radar.

Ursprünglich kommen beide aus der Gütersloher Hip-Hop-Szene. „Wir kennen uns seitdem ich Musik mache“, erzählt Marlon. Während der heute 30-Jährige seinen Traum vom Schauspiel- oder Tontechnikstudium für eine Krankenpflegerausbildung hinten anstellte, hatte Dominique schon in frühester Kindheit das Glück, Erfahrungen am Computer zu sammeln. „Mein erstes Keyboard bekam ich mit sieben.“ Der heute 36-Jährige fing an, Melodien zu komponieren und begann Anfang der 2000er erste Samples zu produzieren. „Im Kinderzimmer hing das Mikrofon von der Decke, und wir machten mit Familie und Freunden Recording Sessions.“ Dazu drehte er bereits 2007 erste Videos mit dem Camcorder. Doch später direkt als Berufsmusiker in die Branche einzusteigen, war auch Dominique zu heiß. Er begann eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton. Heute ist er selbstständig und produziert Videos, Imagefilme, Musikvideos und alles, was dazu gehört. Das klingt eigentlich gut, kann er doch beide Leidenschaften miteinander verbinden. „Momentan mache ich mehr Filme als Musik, und das würde ich gerne umdrehen“, sagt er – und deshalb sind wir auch da, wo wir jetzt sitzen.

Jeder Beat ein Lotto-Ticket

Natürlich arbeiten beide auch unabhängig voneinander mit anderen Rappern und Produzenten zusammen. Dominique ist als WizdomBeatz erfolgreich mit eigenen Rap-Titeln in der Szene unterwegs und zeigt sich und seine Solo-Projekte auf Instagram und Co. „So ist auch die Zusammenarbeit mit Tito Prince entstanden“, erklärt er. „Er fand meine dort eingestellten Beats so gut, dass er sie für sein neuen Album verwenden wird.“
Und Marlon? Als Bronson XL arbeitet er mit einem internationalen Netzwerk zusammen. Mit dabei Produzenten, die mit Bushido arbeiten, oder eben solche wie Jim Jones. „Ich hatte ihn vergangenes Jahr einfach mal angeschrieben.“ Das US-amerikanische Rap-Schwergewicht mit 2,7 Millionen Followern schrieb zurück. Sie tauschten Mails und Beats aus, die Marlon mit einem Kollegen gemacht hatte, und Monate später erschien ein Song, der Elemente ihrer Musik enthielt. Credits oder gar Tantiemen? Nö. Ärgerlicherweise wurde der angebotene Beat in „Übersee“ von einem zum anderen gereicht, nochmals abgemischt und landete am Ende gemeinsam mit Jim Jones in einem Song von Rap-Superstar French Montana. „Du musst wissen, dass die alle schon zig Grammys gewonnen haben. Hätten die uns namentlich im Abspann des Videos erwähnt, stünden wir jetzt auf der Paylist der einflussreichsten Rapper dieser Welt.“ „Im Prinzip ist jeder Beat, den du machst, ein Lotto-Ticket“, fügt Dominique hinzu – ihre Eintrittskarte in den Rap-Olymp. Und jetzt?

Auf Platz 9 der Hip-Hop-Charts

Egal, sagen beide und arbeiten weiter dran. „Das Gute ist doch, dass unsere Sounds bei den Leuten mega ankommen. Und natürlich nutzen wir das French Montana-Video für uns.“ Doch schon vorher klingelte es in der Kasse: Im vergangenen Jahr erreichte ein Projekt, auf dem beide mit unterschiedlichen Arbeiten zu hören sind, Platz 9 der deutschen Hip-Hop-Charts, in den normalen Charts erreichten sie die Top 50.
Doch einsam im stillen Kämmerlein muss man sich ihre Arbeit beileibe nicht vorstellen. Ihren Input füttern sie aus ihrem Netzwerk. Niemand arbeitet im Rap-Bereich allein vor sich hin, erfahre ich. Man trifft sich, macht Musik, bekommt Beats und Files übers Internet zuschickt, die dann zu gemeinsamen Projekten werden.

Respekt muss sein

Um dann aber nicht noch mal so eine Nummer wie mit den Amerikanern zu erleben, sollte jeder, der an einem Album beteiligt ist, auch namentlich erwähnt werden. Das hilft denen, die ihre Beats im Web zur Verfügung stellen, um so das eigene Marken Branding zu schärfen. Vorreiter könne da auch Kanye West sein, sagt Marlon. Der hatte jetzt auf seinem Album tatsächlich sämtliche Mitwirkenden erwähnt. Und vielleicht ziehen andere Künstler nach. Denn eigentlich hat es ja auch mit Respekt untereinander zu tun, ein Wort, das im Rap ja gefühlt ständig bemüht wird.

Von wegen „Business as usual“

Ein Studio wie dieses hier zu leiten, bedeutet auch eine Menge Arbeit neben dem eigentlichen Kern, dem Musikmachen. Eben weil kein großes Label dahinter steht, das Marketing und andere wichtige Elemente der Vermarktung übernehmen kann. „So wie wir das Business aufziehen, macht Musik eigentlich nur 20 Prozent aus, der Rest ist Networking, Social Media, Leute gezielt anschreiben“, sagt Dominique. Es ist also der gleiche Prozess, den große Labels leisten. „Nur dass du alles selbst erledigt und dein Geld nicht teilen musst.“ So bekommt das Wor Musikbusiness hier sein wahres Gewicht. Einnahmen, Ausgaben – all das ist etwas, dass kreative Köpfe gerne zur Seite schieben. Wie also machen es die beiden? „Ich denke“, sagt Marlon, „auch da geht es um Teamwork. Wenn du selbstständig bist, musst du Leute in dein Team holen, die die Dinge erledigen, die du als Kreativer vielleicht nicht machen möchtest, weil sie dich in deiner Kreativität blockieren.“

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