Text: Christian Horn | Fotos: Detlef Güthenke

Das lebhafte Gemurmel der letzten Minuten ist verstummt und fast schlagartig einer gespannten Stille gewichen. Nun sind die zwanzig kleinen Augenpaare auf Heidi Hellweg gerichtet, die sich vor ihre kleine Schar gestellt hat. Noch ein kurzes aufmunterndes Nicken der Chorleiterin, dann geht es los und die erste Strophe des Liedes „Singen ist ne coole Sache“ von Reinhard Horn erfüllt den Raum. Die wöchentliche Chorprobe der Kindertageseinrichtung Sonnenschein aus Rheda-Wiedenbrück ist eröffnet.

Jeden Dienstag treffen sich die kleinen Sänger und Sängerinnen im Alter von vier bis sechs Jahren, um gemeinsam zu singen und zu musizieren. Maximal eine Stunde dauert eine Probe, „aber wenn es mal nicht so gut passt, machen wir auch schon mal früher Schluss“, erzählt mir Heidi Hellweg nach dem Ende der heutigen Probe. Die 62-jährige, die in der vierzügigen Einrichtung mit insgesamt 84 Kindern als Erzieherin und Fachkraft arbeitet, begleitet den Chor seit seinen Anfängen und ist damit Frau der ersten Stunde. Die schlug für den Kinderchor bereits 2007, als die Einrichtung mit den Schwerpunkten Bewegung und christliche Erziehung nach weiteren ergänzenden Angeboten für ihre kleinen Gäste suchte. „Bewegung und Musik haben sehr viel miteinander zu tun. Da lag es fast auf der Hand, auch dieses Thema zu vertiefen und in unseren Betreuungsalltag einzubinden“, erzählt Marlen Harre, Leiterin der Einrichtung.

Schon im Jahr 2008 erste Auszeichnung

Um die Kinder auch bei dem neuen Thema von Anfang an kompetent und altersgerecht betreuen zu können, absolvierte Heidi Hellweg eine zweijährige Zusatzausbildung als Fachkraft für musikalische Förderung im sozialpädagogischen Arbeitsfeld. Auch wenn mittlerweile weitere Mitarbeiterinnen den Schwerpunkt der musikalischen Früherziehung haben, ist sie immer noch mit Leib und Seele bei der Sache und leitet die Geschicke des Chors. „Es ist nach wie vor wunderschön, mit den Kindern zu arbeiten und zu sehen, wie toll sie sich auch dank der Musik entwickeln. Ohne meine Chorprobe würde mir auch wirklich was fehlen“, schmunzelt sie. Eine Begeisterung, die geradezu ansteckend ist und unter anderem dazu geführt hat, dass die engagierte Chorarbeit auch extern wahrgenommen und gewürdigt wurde. Bereits im Dezember 2008 erfolgte die Auszeichnung mit dem Gütesiegel Felix, das seit 2015 unter dem Titel „Die Carusos“ vergeben wird. „Auch wenn wir diese Zertifizierung nicht immer wieder verlängert haben, ist dieser Schritt für den Kindergarten schon sehr wichtig gewesen und hat dazu beigetragen, dass das Thema Musik bei uns einen so großen Stellenwert einnimmt“, schildert Marlen Harre die Entwicklung der letzten Jahre.

„Musik ist die eigentliche Muttersprache des Menschen“

(Sir Yehudi Menuhin)

Kinder finden Lösungen

Heute ist das Singen und Musizieren auch abseits des Chores im Alltag des Kindergartens fest verankert. Ob das allmorgendliche Lied im Morgenkreis, das Singen im Spielkreis oder das Üben an den angeschafften Orff-Instrumenten – Musik gehört in der Kindertageseinrichtung Sonnenschein einfach mit dazu, gerade weil es neben der musischen Qualität viele andere Lernbereiche und Fähigkeiten bei den Kindern anspricht. So fördert das Singen nachweislich die frühkindliche Sprachkompetenz, stärkt die Koordinationsfähigkeit der Kinder und unterstützt ihre sozialen Kompetenzen. „Außerdem spürt man, wie das Selbstvertrauen der Kinder wächst, die beim Singen ihre ersten Erfolgserlebnisse haben. Darum legen wir ja auch so großen Wert auf die musikalische Früherziehung“, ergänzt Marlen Harre. Ein Engagement, das allerdings in den vergangenen Jahren auf eine harte Probe gestellt wurde. „Das wir wegen Corona monatelang nicht mehr singen durften, war nicht nur für uns und die Eltern schlimm, sondern vor allem für unsere Kinder. Sie haben daher auch gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften nach Lösungen gesucht. Schließlich sind wir auf die Idee gekommen, die Liedtexte zu klatschen. So wurde der bekannte Tisch-Rap bei uns wieder mit neuen Leben gefüllt“, berichtet Heidi Hellweg.
Wie intensiv die Kinder das Chor-Angebot wahrnehmen, zeigt auch die Zahl derer, die sich zu den Proben anmelden. „Auch wenn wir das Thema eher spielerisch angehen, wollen wir Verbindlichkeit reinbekommen und führen daher auch eine Anmeldeliste. Natürlich nehmen wir lieber ein Kind mehr als zu wenig auf, aber nur, wenn es notwendig und möglich ist. Schließlich ist es unser Ziel, auch in diesem Bereich den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Daher müssen wir das Angebot schon ein wenig limitieren“, berichtet Heidi Hellweg. Einzige Voraussetzung zur Teilnahme ist der Spaß an der Musik, den die Kinder mitbringen müssen. „Alles andere kommt dann mit der Zeit oder ist schon von Anfang an da. So haben wir schon ein paar kleine Talente in unseren Reihen, die bei Auftritten auch schon dem ein oder anderen lokalen Musikexperten aufgefallen sind.“

Erste Bühnenerfahrung

Drei bis vier Auftritte im Jahr absolviert der Kindergartenchor, der unter anderem von dem Förderverein der Kita „Schritt für Schritt“ und der Stiftung der evangelischen Versöhnungs-Kirchengemeinde „Via Nova“ sowie zahlreichen lokalen Förderern unterstützt wird. Grund für das Engagement des Chors sind allerdings nicht nur interne Anlässe, sondern auch Auftritte in der Öffentlichkeit wie beispielsweise beim alljährlichen Adventskrämchen in Rheda. Hier begeistern die kleinen Sangeskünstler regelmäßig die Veranstaltungsbesucher und sorgen bei vielen für ein echtes Gänsehautfeeling. „Natürlich sind diese Auftritte für die Kinder echte Highlights und bleiben in der Regel in positiver Erinnerung. Für uns Erzieherinnen ist es darüber hinaus vor allem die Bestätigung, dass unsere Schwerpunktsetzung nach wie vor absolut richtig ist“, berichtet Marlen Harre. Diesen persönlichen Eindruck bestätigen ihrer Ansicht nach auch jene Eltern, die bei der Neuanmeldung ihres Kindes nach diesem Angebot fragen. „Die wenigsten machen die Anmeldung ihres Kindes davon abhängig, ob es in den Chor kommt oder nicht. Für viele ist diese Möglichkeit aber dennoch das Sahnebonbon, das wir ihnen obendrein anbieten. Und wer kann das schon abschlagen?“

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