Ein Konzert, dessen Besuch nichts kostet, bei dem Sie keine 3G-Regeln beachten müssen und dann auch noch auf den besten Plätzen sitzen? Gibt es nicht? Gibt es doch und zwar näher als Sie denken. Allerdings ist das morgendliche Konzert unserer heimischen Gartenvögel in der Regel eher etwas für Frühaufsteher und Naturliebhaber, die ab April allmorgendlich das Konzert der ganz besonderen Art genießen können.

Dann läuten Amsel, Drossel, Fink und Co. mit ihrem Gesang die langersehnte wärmere Jahreszeit ein, nicht selten zum Leidwesen der Langschläfer unter uns. Denn einige Vogelarten beginnen schon vor dem Sonnenaufgang zu singen, wenn es noch fast vollständig dunkel ist. Dabei halten sich unsere kleinen gefiederten Freunde an eine feste Reihenfolge. Den Anfang macht der Gartenrotschwanz, der bereits 80 Minuten vor Sonnenaufgang seine Stimme erklingen lässt. Ihm folgen mit beginnender Dämmerung Hausrotschwanz, Rauchschwalbe, Singdrossel, Amsel, Kuckuck und so fort. Buchfink und Grünfink gehören dagegen zu den Langschläfern unter den Vögeln. Ihr Einsatz erfolgt erst wenige Minuten, bevor die Sonne aufgeht. Auf die Spitze treibt es der Star, der seinen Auftritt geradezu verschläft und erst bei hellem Tageslicht sein Ständchen präsentiert.

Wie in einem gut eingespielten Ensemble üblich, weiß auch bei den Vögeln jedes Orchestermitglied auf die Minute genau, wann sein Einsatz kommt. So nutzt jede Vogelart einen anderen Zeitpunkt für den Gesangsbeginn, der einzig durch das zunehmende Tageslicht vorgegeben wird. Nur der Konzertbeginn verändert sich mit den zunehmend länger werdenden Sommertagen. Besucher, die pünktlich zum ersten Ton ihre Plätze im Gartenstuhl oder auf dem Balkon eingenommen haben, kommen also nicht nur in den Genuss eines einmaligen Erlebnisses, sondern können auch lernen, Vogelstimmen zu erkennen und zu unterscheiden. Wer hingegen erst später in die Vorführung einsteigt, bekommt dafür das Orchester in seiner ganzen Stärke geboten – auch keine schlechte Wahl, singen die Vögel doch gerade in den Morgenstunden am intensivsten.

„Entweder man sieht gut aus oder man kann was“

Was dem einen den so gesunden Morgenschlaf raubt, beschert dem anderen einen unvergesslichen Tagesauftakt. Lange Zeit dachten unsere Vorfahren, das liebliche Zwitschern, Pfeifen und Tirilieren sei nur gedacht, um die Menschen zu erfreuen. Selbst der deutsche Astronom und Naturphilosoph Johannes Kepler (1571-1630) war überzeugt, dass es nicht wichtig sei zu fragen, „welchen Nutzen der Gesang der Vögel hat, denn singen ist ihre Leidenschaft und dafür wurden sie erschaffen“. Inzwischen wissen wir, dass die Motivation der Vögel, ihre Stimme am frühen Morgen erklingen zu lassen, eine ganz andere ist. Bernhard Walter, Ornithologe und Geschäftsführer der Biologischen Station Gütersloh/Bielefeld e.V.: „Der morgendliche Auftritt dient vor allem zwei Zielen. Zum einen grenzt das Männchen damit sein Revier ab und zeigt Artgenossen, dass er noch da ist, um es zu verteidigen. Zum anderen will er mit seinem Gesang Weibchen anlocken. Je kräftiger seine Stimme ist, umso besser sind seine Chancen, hier Erfolg zu haben.“ Gerade für Vögel, die nicht mit einem attraktiven und bunten Federkleid wie beispielsweise der knallrote Gimpel beeindrucken können, ist der Gesang oft die einzige Chance, um Weibchen für sich zu gewinnen. Beispielsweise bringt der von Bernhard Walter liebevoll zum „Soundkönig“ ernannte Zaunkönig trotz seiner nur neun Gramm Lebensgewicht einiges an Dezibel auf die Scala. „Es ist halt wie bei uns Menschen. Entweder man sieht gut aus oder man kann was – und gute Sänger erobern auch in der Vogelwelt die Herzen ihrer weiblichen Fans“, schmunzelt Bernhard Walter.

Artenvielfalt schützen und stärken

Für ihn und sein Team hat der Gesang der Vögel aber noch eine weitere wichtige Funktion. So zeugt ein vielstimmiges Vogelkonzert von einer hohen Artenvielfalt und einer funktionierenden Natur. Beides ist in den von der Biostation betreuten Naturschutzgebieten im Kreis Gütersloh und der Stadt Bielefeld noch vorhanden. In einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft mit extensiven Wiesen und Weiden finden heimische Vögel ausreichend Nahrung, geeignete Nistplätze und sichere Rückzugsmöglichkeiten. „Dagegen bringen die Licht- und Lärmeinflüsse in den Städten, die häufig nichts mehr mit den natürlichen Tages- und Nachtzeiten zu tun haben, den Biorhythmus der Vögel zum Teil völlig durcheinander. Dies führt mitunter zu absurden Situationen, beispielsweise, wenn Vögel im Winter brüten, weil sie aufgrund der permanenten Helligkeit glauben, das Frühjahr hätte schon begonnen“, erzählt Walter. Auch in Ostwestfalen-Lippe sind zahlreichen Vogelarten stark bedroht. Insbesondere um den Kiebitz macht sich Bernhard Walter große Sorgen. „Hier haben die Bestände in den letzten Jahren dramatisch abgenommen. Von ehemals 1.200 Brutrevieren sind nur noch knapp 350 erhalten und auch die sind langfristig in Gefahr.“ Um eine weitere Reduktion der Population zu stoppen, empfiehlt er unter anderem mehr und umfassendere Aktivitäten im Bereich der Biodiversität. „Das Insektenhotel oder die Blumenwiese auf dem Betriebsgelände sind gut gemeint, aber bei weitem nicht mehr ausreichend. Um die Arten- und Pflanzenvielfalt in unserer Region zu stärken, können Behörden, Verwaltungen, Unternehmen und Organisationen, aber auch jeder Einzelne sicherlich mehr tun“, ist Bernhard Walter überzeugt.
Die Kraft der Natur nutzen

Schließlich ist Vogelgesang nicht nur ein akustisches Highlight. Das Hören von Vogelstimmen dient dem Menschen nachweislich auch zur Entspannung und Regeneration, sei es als Tonträger für entsprechende Übungen oder in der Originalversion beim Morgenspaziergang. „Es gibt nichts Schöneres als am frühen Morgen durch den Wald zu gehen und den Vögeln bei ihrem Gesang zu lauschen. Ich denke, wir haben da noch was aus unserer Hominiden-Evolution mitgenommen: wenn die Vögel singen, ist alles in Ordnung, wenn sie verstummen, dann ist ein Raubtier auf der Pirsch.“, lacht Bernhard Walter, der sich seine Auszeiten am liebsten im Naturschutzgebiet Versmolder Bruch gönnt. Eine Eigenerfahrung, die er auch all jenen empfiehlt, die dieser wunderschönen Laune der Natur bisher wenig Beachtung geschenkt haben: „Einfach mal morgens nicht als Erstes aufs Handy schauen und gucken, was an Nachrichten aufgelaufen ist, sondern das Fenster aufmachen und der Natur beim Erwachen zuhören. Viel schöner kann ein Tag nicht beginnen.“

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